Wie gross ist die Gefahr für einen Atomkrieg im Nahen Osten?

Dina Müller
Dina Müller

Deutschland,

Israel geht zurzeit knallhart gegen Irans Atomwaffen vor. Genau dadurch könnte sich der Iran allerdings zu deren Verwendung gezwungen fühlen, so ein Experte.

Netanyahu Israel
Der Konflikt zwischen Israel und dem Iran eskaliert. Könnte es zu einem Atomkrieg kommen? - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Konflikt zwischen Israel und dem Iran eskaliert.
  • Insbesondere von Seiten des Irans ist die Verwendung von Atomwaffen nicht auszuschliessen.
  • Der deutsche Nahost-Experte Carsten Wieland ordnet das Gefahrenpotenzial ein.

Die erste Atombombe wurde vor fast 80 Jahren über der japanischen Küstenstadt Hiroshima abgeworfen. Drei Tage später folgte der Abwurf einer zweiten US-Bombe in Nagasaki, ebenfalls Japan.

In der Folge entbrannte weltweit eine ethische Debatte: Ist das Einsetzen von Atombomben, die Hunderttausenden von Menschen das Leben kosten, ethisch vertretbar?

Einig wurde man sich bis heute nicht. Allerdings wurden seither keine weiteren Bomben abgeworfen.

«Seit dem Zweiten Weltkrieg ist die Logik hinter Atomwaffen, dass man sie nicht einsetzen muss. Sie dienen zur Abschreckung», sagt der deutsche Nahost-Experte Carsten Wieland.

Doch: «Seit dem Ukraine-Krieg und jetzt dem Israel-Iran-Konflikt kommen daran Zweifel auf.»

Bisherige Strategie des Irans: Die «Fast-Bombe»

Der Iran habe bisher eine Politik der Drohkulisse verfolgt, erklärt Wieland: «Seine Strategie war, knapp an der Herstellung einer Bombe zu sein.»

Damit sei der Iran zu einem gefragten Gesprächspartner und «wichtigen Player» geworden, ohne tatsächlich eine Atombombe zu haben, mit allen Konsequenzen.

«Diese ‹Fast-Bombe› war in Bezug auf die Risikokalkulation ein guter Standpunkt», so Wieland. Und bis vor ein paar Tagen habe das auch funktioniert.

Doch die Situation ist eskaliert: «Der Iran wollte mit Drohungen seine Schwächen verdecken und hat in den letzten Tagen verbal sehr stark ausgeteilt und gedroht gegen Israel, statt verbal abzurüsten.»

Ziel davon war wohl nicht eine derartige Reaktion Israels: «Die iranische Führung wurde wahrscheinlich von dem Angriff überrascht. Sie hat sich total verkalkuliert», sagt Wieland.

Israels Interessen im Iran-Konflikt

Israel seinerseits strebe hingegen durchaus eine militärische Lösung an und setze auf «Hard Power». «Netanjahu hat kein Interesse daran, die Front gegen den Iran zu beenden.» Für ihn zahle sich der Krieg zurzeit am meisten aus.

Denn: Dieser lenke von der katastrophalen Situation im Gaza-Streifen und der Westbank ab. «Er braucht ein grösseres Feuer, um kleinere Feuer zu überdecken. Das ist seine Strategie, um innenpolitisch zu überleben – und da hat Diplomatie keinen Platz», so Wieland.

Wird sich die Lage im Nahen Osten weiter zuspitzen?

Ausserdem sei das Stoppen des iranischen Atomwaffenprogramms seit Jahrzehnten ein Ziel Israels. «Netanjahu sieht sich in einer Mission und möchte diese Chance nutzen.»

Anstelle einer Waffenruhe versuche die israelische Regierung derzeit, einen Regime-Wechsel im Iran herbeizuführen. «Netanjahu hat die iranische Bevölkerung dazu aufgerufen, das Regime zu stürzen», sagt der Nahost-Experte.

Das sei grundsätzlich im Interesse vieler Staaten, da das iranische Regime eine überaus konfrontative und destabilisierende Rolle in der Region gespielt habe. Ein Sturz der schiitischen Machthaber könne sich also positiv auf die Dynamik im ganzen Nahen Osten auswirken.

Verhandlungen scheitern wegen unentschiedener USA

Israels Regierung habe ausserdem versucht, Trump auf ihre Seite zu bringen und mit den USA gemeinsam den Iran anzugreifen.

Dies gelang allerdings nur zu Teilen: «Netanjahu erhielt von den USA grünes Licht für den Angriff, allerdings – zumindest bisher – keine direkte Unterstützung. Die Eskalation die wir jetzt sehen, war nicht wirklich in Trumps Plan A.»

Allerdings könnte Trump seit dem G7-Gipfel wieder umgeschwenkt sein und die Chance sehen, eine militärische Kapitulation des Iran auch mit US-Bomben erzwingen zu wollen.

Die USA seien nämlich grundsätzlich offen für Verhandlungen. Allerdings habe die Grossmacht ihre Forderungen immer wieder geändert. «Es war keine klare Verhandlungslinie zu erkennen», was durchaus auch mit Netanjahu zu tun gehabt habe, sagt Wieland. Dieser habe beim US-Präsidenten interveniert.

Trump hatte im Wahlkampf versprochen, Kriege zu beenden. Davon sei er weit entfernt – er giesse stattdessen oft Öl ins Feuer, wie auch im Ukraine-Krieg. Das lasse ihm aber grundsätzlich Verhandlungen als erste Option offen, so Wieland. Trump sei grundsätzlich aber auch ein erratischer und schlechter Verhandler.

All diese Aspekte hätten zu mangelndem Vertrauen und unklaren Zielen geführt – verhandlungstechnisch keine guten Grundlagen.

Iran wird in Ecke getrieben

Die Konsequenzen sind von grossem Ausmass: «Durch das Verhalten der israelischen Regierung wird der Iran fast dazu gezwungen, eine Bombe zu haben und vielleicht auch einzusetzen, da ausschliesslich Hard Power entscheidet», sagt Wieland.

Bisher gebe es noch eine sogenannte «Fatwa» im Iran, dass der Einsatz von Atomwaffen kein Bestandteil der Aussenpolitik sei, so der Nahost-Experte. Allerdings sei das menschenverachtende Regime in Teheran, das Israel mit Drohungen überzogen und in der Region in den letzten Jahrzehnten viel Blutvergiessen und Instabilität verursacht habe, für viele wenig glaubwürdig.

Es sei ein «Existenzkampf» des Regimes ohne Ausschöpfung der diplomatischen Mittel eingeleitet worden. «Und die Frage ist, ob, wenn alle mit dem Rücken zur Wand stehen, vielleicht doch auf die Atomwaffen zurückgegriffen wird.»

Allerdings sei unklar, «inwieweit der Iran überhaupt noch koordiniert seine Militär- und Atomstrategie fahren kann», gibt Wieland zu bedenken.

Befürchtest du, dass der Iran eine Atomwaffe benutzen wird?

Israels Angriffe haben gemäss dem Nahost-Experten nämlich dazu geführt, dass gleich in den ersten Tagen «wichtige Köpfe» eliminiert worden sind. Dadurch würden dem Iran jetzt wohl Führungskräfte für die Endmontage und den Einsatz einer Bombe fehlen – oder gar überhaupt für eine militärische Strategie.

Desweiteren könnten Russland, die Türkei oder Katar den Iran noch von einem solchen Vorhaben abhalten. «Diese Länder haben sehr etablierte Kontakte.»

Insbesondere Putin dürfte sich eine schnelle Beendigung des Krieges wünschen: «Russland bezieht viele Drohnen aus dem Iran für den Ukraine-Krieg und ist daran interessiert, dass diese Versorgung nicht in Gefahr gerät.» Der Iran sei für Putin ein wichtiger Partner in seinem ressourcenverschlingenden Vernichtungskrieg.

Donald Trump bremst Israel aus

Auch auf Seiten Israels gibt es Hindernisse für eine weitere Eskalation: «Der grösste Hebel ist, dass Trump Netanjahu sagt ‹Jetzt ist genug›.» Ähnlich, wie er es Berichten nach dieser Tage getan habe, um eine gezielte Tötung von Revolutionsführer Chamenei durch Israel zu verhindern. Und damit die Tür zu Verhandlungen einen minimalen Spalt offen zu halten.

Denn: «Netanjahu wird für sein Regierungshandeln international immer stärker kritisiert und isoliert. Er ist daher sehr auf die USA als Verbündete angewiesen», sagt Wieland

Carsten Wieland
Der deutsche Nahost-Experte Carsten Wieland. - carsten-wieland.de

An die USA wiederum könnten Forderungen der umliegenden arabischen Staaten kommen – besonders aus den Golf-Staaten, mit denen er gut im Geschäft steht. «Der Krieg könnte Dimensionen annehmen, die keiner möchte», so der Nahost-Experte.

«Dadurch könnten die arabischen Staaten Druck auf Trump ausüben, welcher diesen dann an Netanjahu weitergibt.»

Atomangriff für Israel «grösste Katastrophe seit Staatsgründung»

Dass Netanjahu zur Atomwaffe greift, sieht Wieland als äusserst unwahrscheinlich. «Da sehe ich kein strategisches Interesse. Das würde ihn international nur noch mehr an den Pranger stellen.»

Israel verfüge ja bereits über eine konventionelle Überlegenheit, mit der er in den letzten Monaten viele Ziele erreicht habe.

Falls hingegen der Iran tatsächlich zum letzten Mittel greifen würde, wären die Auswirkungen verheerend: «Israel hat keine strategische Tiefe und keine Rückzugsmöglichkeiten», sagt Wieland. «Ein Atomangriff wäre die grösste Katastrophe für Israel seit der Staatsgründung.»

Machst du dir Sorgen um einen Atomkrieg?

Die Dimensionen der Katastrophe hangen stark von der Grösse der Bombe sowie dem Wind ab. Aber: «Es gäbe auf jedenfall einen sehr grossen Radius, der radioaktiv betroffen wäre – über das Einschlagsgebiet hinaus.»

Somit wären auch die Palästinenser, Jordanien, der Libanon und sogar Teile Ägyptens betroffen, schätzt Wieland. Schwierig zu sagen ist, ob sogar der Iran selbst Schaden erfahren könnte.

Grösser sei die radioaktive Gefahr eher durch Schäden an Irans Atomanlagen selbst. Das würde die Golf-Staaten in unmittelbarer Nachbarschaft betreffen und könnte das Wasser im Persischen Golf verseuchen. Woraus einige Staaten durch Entsalzungsanlagen Trinkwasser gewinnen.

Was wären die Auswirkungen einer Hiroshima-Bombe in Israel?

Zum Vergleich: Die Atombombe in Hiroshima führte in einem Umkreis von 2,5 bis 3 Kilometern für messbar steigende Krebserkrankungen. Dieser Umkreis läge also noch deutlich innerhalb der israelischen Grenzen.

Dabei handelte es sich allerdings um eine vergleichsweise kleine Bombe. Ein grösserer Sprengkopf dürfte auch einen grösseren radioaktiven Niederschlag mit sich ziehen.

Hinzu kommt, dass die Verstrahlung je nach Wetterlage lange Distanzen zurücklegen kann. So wurden etwa nach dem Unglück in Tschernobyl noch in der fast 2000 Kilometer entfernten Schweiz erhöhte Strahlungswerte gemessen.

Der Iran liegt ungefähr 1000 bis 1500 Kilometer von der israelischen Grenze entfernt, und würde somit in einem ähnlichen Umkreis liegen. Zwar ist ein Reaktorunfall nicht direkt vergleichbar mit einer Atombombe. Er zeigt jedoch die Transportfähigkeit der tödlichen Strahlung auf.

Atomkrieg bleibt aktuell unwahrscheinlich

Um sicher zu gehen, nicht selbst Schaden zu nehmen und zugleich Raum für Eskalation nach oben zu lassen, könnte der Iran kleinere atomare Sprengköpfe nutzen: Sogenannte taktische Atomraketen, wie sie auch Putin schon gegen die Ukraine angedroht hat.

Kleinere Bomben hätten dann auch einen geringeren Radius und würden weniger Schaden anrichten. «Leider senkt das zugleich die Hemmschwelle, diese bei einer Eskalation auch tatsächlich einzusetzen, was in der Ukraine wie im Nahost-Konflikt ein gefährlicher internationaler Tabubruch wäre», so Wieland.

Aber all diese taktischen Spekulationen stünden unter dem Vorbehalt, ob der Iran dazu überhaupt in der Lage wäre.

Nahostkonflikt - Iran
Irans oberster Führer Chamenei droht Israel. - dpa

Es würde sich bald zeigen, welchen Weg die verbleibenden politischen Entscheidungsträger im Iran einschlagen: Entweder sie würden in eine ideologische und emotionale Hass-Blase abdriften, die sie immer weiter von der Realität entfremdet und zu irrationalen Entscheidungen führt.

Oder: sie würden sich ihre Unterlegenheit eingestehen und retten, was sie retten können – zuletzt ihr politisches Überleben.

«Deshalb kann man schliessen, dass zumindest Teile der Elite wohl weiterhin Interesse hat, den Verhandlungsweg offen zu halten. Und wenn sie sich wieder stärker fühlen, erneut zu verbalen Drohungen zu greifen.»

Kommentare

User #2864 (nicht angemeldet)

Ohne Impfungen wäre ich schon lange tot. Gruss Chrigeli B

User #2065 (nicht angemeldet)

Wann geht es endlich zur Sache auf beiden Seiten, will Action sehen

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