Longchamp: E-ID- & Eigenmietwert-Gegner haben noch nicht mobilisiert
Gemäss Umfragen gibt es am 28. September zweimal ein Ja zu den nationalen Vorlagen E-ID und Eigenmietwert. Ist eine Kehrtwende noch möglich?

Das Wichtigste in Kürze
- Zurzeit zeichnet sich Zustimmung zu den beiden Vorlagen E-ID und Eigenmietwert ab.
- Die Kampagnen sind teilweise erst am Anlaufen, analysiert Politologe Claude Longchamp
- Beim Eigenmietwert wird zudem das Ständemehr wieder zum Thema.
Wäre bereits jetzt über die Vorlagen vom 28. September abgestimmt worden, hätte es zweimal ein Ja gegeben. Gemäss Umfrage von GFS Bern im Auftrag der SRG sagen 58 Prozent Ja zum Eigenmietwert. Für die Einführung der E-ID würden 60 Prozent stimmen.
Vor einer Woche ergab die Umfrage von Tamedia noch leicht andere, insgesamt aber ähnliche Werte. Ist das Rennen damit gelaufen? Nicht unbedingt, sagt Politologe Claude Longchamp in seiner Einordnung für Nau.ch.

Nau.ch: Eigenmietwert und E-ID – beides sehr abstrakte Themen und nicht gerade zuvorderst im Sorgenbarometer der Bevölkerung. Wie könnte sich eine tiefe Stimmbeteiligung auswirken?
Longchamp: Die gegenwärtigen Beteiligungsabsichten liegen gemäss GFS Bern bei 41 Prozent. Das begünstigt eine treue Stammwählerschaft, die sich regelmässig beteiligt, überdurchschnittlich alt und verstärkt parteigebunden ist. Sie stimmt meist regierungstreu.
Den Oppositionen ist es bisher nicht gelungen, namhaft zusätzliche Wählende zu involvieren und mobilisieren. Das Setting der E-ID-Gegner via Soziale Medien ist dafür zu einseitig.

Nau.ch: Aktuell sieht man eine Ja-Mehrheit zur Abschaffung des Eigenmietwerts. Einerseits ist die klassische, linke Gegnerschaft nicht geschlossen, umgekehrt erhält sie aber auch Unterstützung von namhaften Gewerbevertretern. Kann diese Allianz das Feld noch von hinten aufrollen?
Longchamp: Die politische Nein-Kampagne hat spät eingesetzt, da kann aus Erfahrung noch etwas kommen. Ich denke aber nicht, dass das für ein Nein beziehungsweise ein Volksmehr reichen könnte. Eine Kollision mit dem Ständemehr kann indessen bei 50 bis 55 Prozent Ja-Stimmen nie ganz ausgeschlossen werden.
Dafür müsste es aber kantonale Kampagnen geben, die von interessierten Kantonen ausgehen müssten und sie zum Nein-Stimmen bewegen würde. Die krass unterlegenen finanziellen Mittel der nationalen Gegnerschaft reichen da nicht.

Nau.ch: Je älter, desto eher ist man für die Abschaffung des Eigenmietwerts. Kann man daraus schliessen: Je älter, desto eher Hausbesitzer, desto eher vertraut mit dem Thema. Und viele, vor allem jüngere, wissen gar nicht so genau, worum es geht?
Longchamp: Das Alter ist vor allem ein Thema der Ja-Kampagne. Es hat sich in der GFS-Bern-Umfrage nicht wirklich bestätigt, denn es sind alle Altersklassen mehrheitlich dafür. Der Hausbesitz ist wichtiger – die Unterschiede in den Stimmabsichten sind hier stärker.
Da bräuchte es aber noch den Schub des Mieterverbandes, der die Folgen klarer kommuniziert. Der Verband der ist an der Spitze gespalten und hält sich deshalb wenigstens bis jetzt auffällig zurück.
Nau.ch: Von den grossen Parteien ist nur die SVP gegen die E-ID, wobei die Basis nur bedingt mitzieht. Trotzdem kommt das Nein-Lager aktuell auf 40 oder mehr Prozentpunkte. Wie kommt das zustande?
Longchamp: Die Nein-Seite liegt zwischen 33 und 40 Prozent. Das ist etwas mehr als das SVP-nahe Potenzial. Es rekrutiert sich im wesentliche aus Behörden-misstrauischen Menschen, seien sie durch die Pandemie-Massnahmen politisiert worden oder vornehmlich rechtsaussen, aber parteiungebunden. Das linke Nein von 2021 ist dagegen weitgehend verschwunden.
Der Argumententest bei GFS Bern legt aber nahe, dass die Hauptbotschaft des Überwachungsstaates kaum mehrheitsfähig ist. Eingespielter wäre es, auf den potenziellen Ausschluss von digital-affinen Bevökerungsgruppen durch die E-ID zu zielen. Ich denke da an die soziale Exklusion durch Internet.

Nau.ch: Welche Faktoren könnten bis zur Abstimmung dazu beitragen, dass das Resultat in die eine oder andere Richtung kippt?
Longchamp: Generell müssten die Nein-Seiten viel besser mobilisieren. Beim Eigenmietwert wäre es eine effiziente Kampagne in der Westschweiz und Bergkantonen, denen Einnahmen wegbrechen werden.
Bei der E-ID bräuchte es eine Nein-Botschaft ausserhalb der behördenmisstrauischen Bewegungen, vermittelt von glaubwürdigen Kommunikatoren. Kolumnist Claude Cueni wäre da besser als Mass-Voll-Chef Nicolas Rimoldi.