Piraten-Präsident: Darum bin ich als «Nerd» gegen die E-ID
Die elektronische ID (E-ID) stösst ausgerechnet bei Technik-Fans auf Skepsis. Der Ostermundiger Jorgo Ananiadis, Präsident der Piratenpartei, erklärt, weshalb.

Das Wichtigste in Kürze
- Am 28. September stimmt das Volk über die E-ID ab.
- Die Piratenpartei wirbt für ein Nein, obschon deren Mitglieder sehr Technik-affin sind.
- Deren Präsident, der Ostermundiger Jorgo Ananiadis, erklärt den scheinbaren Widerspruch.
Eigentlich ist er Elektroingenieur und Erwachsenenbildner. Aber auch Solarplaner und das, was man gemeinhin als «Nerd» bezeichnet: ein von der Technik Faszinierter.
Jorgo Ananiadis sitzt im Ostermundiger GGR, ist Präsident der Piratenpartei Bern und der Piratenpartei Schweiz. Und vehementer Gegner der E-ID, der elektronischen Identitätskarte. Über deren Einführung stimmt das Stimmvolk am 28. September ab.

Die zahlreichen Befürworter – praktisch alle im Bundeshaus vertretenen Parteien – haben ihre Kampagne Ende Juni lanciert.
Im Interview mit dem BärnerBär erklärt Ananiadis, warum ausgerechnet der Technik-Begeisterte gegen die Digitalisierung anreitet. Und ob das mehr wird als ein aussichtsloser Kampf.
BärnerBär: Was war eigentlich zuerst da: Die Faszination für die Elektronik oder der Wunsch, politisch Einfluss zu nehmen?
Jorgo Ananiadis: Bereits als Kind hat mich Technik immer interessiert. Mit Lehre und Studium wurde ich in der Elektronik verwurzelt und die EWR-Abstimmung 1992 hat mich politisiert.
Ich habe seither viele Parteien kennengelernt, doch die Piratenpartei hat meine Überzeugungen und Grundwerte immer am besten abgedeckt. Für meine Familie und die nächsten Generationen setzte ich mich deshalb seit Jahren ehrenamtlich in Technik und Politik ein.
BärnerBär: Im Vorstand der Piratenpartei sind nebst Ihnen als Elektroingenieur auch ein Business Analyst, eine Fachfrau für Information und Dokumentation, ein Webentwickler, ein IT-Administrator, ein ICT-Techniker, ein IT-Spezialist, ein IT-Unternehmer und ein Innovationsexperte. Trotzdem sind die Piraten jedes Mal dagegen, wenn gerade ein innovatives IT-Projekt wie die E-ID ansteht. Wie kommt das?
Ananiadis: Nicht trotzdem, sondern genau deswegen! Die Politik sollte eigentlich dafür sorgen, dass Technik im Sinne der Bürger eingesetzt wird. Stattdessen erleben wir leider seit Jahren genau das Gegenteil: Mittels Technik werden wir Bürger kontrolliert und überwacht.

Der Nachrichtendienst legt Hunderttausende neue Fichen an. Beim Patientendossier werden Ärzte und Patienten zu etwas genötigt, das kaum jemand will. Oder bei Events und im öffentlichen Verkehr kann man kaum noch ein Ticket kaufen, ohne dass alle möglichen Personalien ausgewertet werden.
Die Piraten setzen sich hier immer im Sinne des normalen Bürgers ein, meistens halt gegen die alteingesessenen Sesselkleber und Parteien.
BärnerBär: Das heisst, die Technik-Begeisterten sind gleichzeitig sehr skeptisch, wenn es um Technik geht. Dabei haben die uns doch diese ganze schöne neue Welt eingebrockt?
Ananiadis: Unsere Faszination für Technik geht mit einem kritischen Blick einher. Gerade durch unsere Fachkenntnis erkennen wir auch die damit verbundenen Gefahren. Deshalb machen wir auch laufend Technologiefolgenabschätzungen.

Die E-ID könnte beispielsweise den Abschluss eines Natelabos oder Datenauskunftsbegehren geringfügig vereinfachen.
Aber es ist allem voran die technologische Grundvoraussetzung für folgende Entwicklungen: Ständige Altersverifikation und -überprüfung, Analyse von Verhaltens- und Nutzungsdaten im Internet, Überwachung politischer und gesellschaftlicher Aktivitäten, Profilbildung und Social Scoring.
BärnerBär: Die Befürworter betonen: Dieses Mal ist die E-ID rein staatlich, sicher und freiwillig. Das heisst, man hat den Bedenken von 2021 Rechnung getragen, als die E-ID an der Urne scheiterte.
Ananiadis: Das E-ID-Gesetz wiederholt einige alte Fehler, und freiwillig ist sie definitiv nicht. De facto wird jeder gezwungen eine E-ID zu haben. Es sei denn, man verzichtet auf die meisten Online-Aktivitäten wie Videos anschauen oder auf das Unterzeichnen eines Referendums oder einer Volksinitiative.
Und der Hauptgrund, weshalb 2021 die E-ID versenkt wurde, waren Bedenken zu Datenschutz und Sicherheit. Nur weil nun der Staat (teilweise) die IT-Lösung liefert, heisst das noch lange nicht, dass es jetzt grünes Licht für ausufernde Datensammelei gibt.
Wir befürworten eine vertrauenswürdige E-ID für uns Menschen. Aber auch diese E-ID wurde hauptsächlich im Sinne von Grosskonzernen und (Überwachungs-)Behörden gestaltet. Vielleicht hören die Politiker im dritten Anlauf dann auf uns …
BärnerBär: Es ist die Rede von «völlig neuen Massstäben im Datenschutz», der Alltag wird vereinfacht, ein digitaler Service Public. Sogar Unterschriftensammlungen wären dann digital möglich. Verbaut sich die Schweiz nicht sehr viel, wenn wir keine E-ID haben?
Ananiadis: Eine E-ID wäre in gewissen Fällen schon nützlich. Aber das aktuelle Gesetz ist so ausgestaltet, dass vollkommen unnötig massenhaft Daten von allen Bürgerinnen und Bürgern gesammelt werden. Gute Digitalisierung braucht keine Massenüberwachung.
Doch genau das bringt das E-ID-Gesetz. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis ist für das Volk nicht gegeben, während sich Grosskonzerne und der (Überwachungs-)Staat die Hände reiben können.
BärnerBär: Was sind die Befürchtungen, wenn die E-ID so, wie sie jetzt ist, eingeführt würde?
Ananiadis: Viele Behauptungen der E-ID-Befürworter stehen leider so nicht im Gesetz. Gegen ein Gesetz kann ein Referendum ergriffen werden, doch bei der Umsetzung können die Behörden dann frei schalten und walten. Wir wollen niemandem den guten Willen absprechen, doch laufend werden neue Begehrlichkeiten geweckt.
Das kann schleichend beginnen, mit zunehmender Alters- oder Identitätsüberprüfung und wird dann ausgebaut für die lückenlose Überwachung jeglicher Online-Aktivität.
Das Parlament behandelt bereits Vorstösse, die eine Identifikationspflicht von Nutzern von Social-Media-Plattformen, Kommentarschreibern auf News-Portalen oder Käufern von Tickets vorsehen.
Und aktuell will der Bundesrat jeden Nutzer von Threema, Signal, Proton und jeder Kommunikationsplattform mit über 5000 Nutzern identifizieren können. Das sind nicht unsere Befürchtungen, das ist die Realität.

BärnerBär: Sie kämpfen gegen fast das ganze Parlament, gegen alle grossen und mittelgrossen Parteien. Wie wollen Sie da mehr als 50 Prozent der Bevölkerung überzeugen?
Ananiadis: Natürlich mit unseren Argumenten (schmunzelt). Und seien wir ehrlich: Die Parlamentarier politisieren oft komplett am Volk vorbei. Bereits beim ersten E-ID-Referendum war das Parlament praktisch geschlossen für eine sehr schlechte E-ID und wurde dann vom Stimmvolk mit 64 Prozent Nein in die Schranken gewiesen.
Wir erhalten heute Zuspruch von vielen Menschen, gerade auch aus dem bürgerlichen oder linken Lager. Unzählige Schweizer haben grosse Bedenken gegen diese E-ID. Nur die Parteieliten und Personen mit wirtschaftlichen Interessen sind dafür.

BärnerBär: Die Piratenpartei lässt sich im Links-Rechts-Schema schwer verorten. Bei der E-ID kämpft sie jetzt mit Gruppierungen wie Mass-Voll und «Aufrecht Schweiz», die im rechten bis rechtspopulistischen Bereich anzusiedeln sind. Findet man da überhaupt eine gemeinsame Strategie und Argumente?
Ananiadis: Wir Piraten führen das Komitee für die ganze Breite der Gesellschaft. Das E-ID-Gesetz hat noch so viele Fehler, dass es alle Schweizer betrifft. In allen politischen Lagern finden sich besorgte Bürgerinnen und Bürger, welche nicht zur Kasse gebeten werden wollen, damit man ihre Daten und ihre digitale Integrität gefährdet.
In unserem Komitee finden sich Menschen aus allen Gruppierungen, Parteien und auch Firmen haben uns die Unterstützung zugesichert. Wir sind wahrscheinlich sogar weniger gespalten als die Befürworter, die ja ebenso aus unterschiedlichsten Motiven die E-ID fordern.