Vorbild Greta: Jetzt wollen auch 44 Schweizer nach Gaza segeln!
Im August wollte Greta Thunberg nach Gaza segeln und wurde dann gestoppt. Nun nehmen Aktivisten einen neuen Anlauf – mit einer Schweizer Delegation.
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Das Wichtigste in Kürze
- In Teilen des Gazastreifens gibt es offiziell eine Hungersnot.
- Internationale Beobachter geben Israel die Schuld dafür, da Hilfsgüter blockiert werden.
- Nun wollen Aktivisten per Segelschiff die Blockade in einer Riesen-Aktion durchbrechen.
- Auch 44 Schweizerinnen und Schweizer wollen mit fünf Booten nach Gaza segeln.
- Bei Nau.ch spricht ein Schweizer Arzt über seine Beweggründe.
Diese Bilder gingen um die Welt: Im Juni wollte die schwedische Klima-Ikone Greta Thunberg (22) gemeinsam mit elf Aktivistinnen und Aktivisten nach Gaza segeln. Mit an Bord nahmen sie Hilfsgüter wie Babynahrung und medizinische Güter.
Doch das israelische Militär stoppte das Segelschiff «Madleen» in internationalen Gewässern. Die Crew wurde nach Israel überführt und von dort medienwirksam ausgeschafft.
Das israelische Verteidigungsministerium bezeichnete Thunberg damals als «antisemitisch» und verspottete das Schiff als «Selfie-Yacht».
Hintergrund: Seit 2007 riegeln Israel und Ägypten den Gazastreifen teilweise ab. Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel wurde die Blockade verschärft. Während Monaten gelangten gar keine Güter mehr nach Gaza.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnt vor einer Hungerkrise mit verheerenden Folgen. Die Initiative für Ernährungssicherheit IPC teilte kürzlich mit, in Nord-Gaza seien die Kriterien für eine Hungersnot erreicht worden. Diese sei menschengemacht.
Israel weist die Vorwürfe von sich. Premierminister Benjamin Netanjahu sprach von einer «glatten Lüge». Es gebe keine Hungersnot, Israel würde eine «Politik der Hungerprävention» verfolgen.
Nun wollen Schweizer Aktivistinnen und Aktivisten Greta Thunberg nacheifern.
44 Schweizer sollen nach Gaza segeln
Die Organisation «Waves of Freedom» will nächste Woche mit fünf Segelbooten Richtung Gaza in See stechen. Insgesamt haben sich 600 Personen aus der Schweiz dafür angemeldet.
Davon sollen 44 Personen tatsächlich an Bord gehen. Über 500'000 Franken an Spenden wurden für die Aktion bereits gesammelt.
Noch diese Woche reisen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach Catania (Italien). Von dort soll die Flotte am 4. September Richtung Gaza aufbrechen.
Unter den 44 Personen finden sich Ärztinnen, Künstler, Schiffsführer und Kapitäne – ausgewählt nach einem strengen Verfahren.
«Wir mussten sicherstellen, dass die Leute mit der Situation umgehen können. Es gibt Risiken. Von Blockaden bis zu einer möglichen Gefangennahme durch Israel», sagt Hicham El Ghaoui im Gespräch mit Nau.ch.
Der Walliser Arzt ist Präsident der Schweizer Delegation. «Als Vater macht mich die Situation umso betroffener. Wir dürfen nicht schweigen.»

Ob alle 44 Personen tatsächlich lossegeln können, ist noch offen. Die fünf Boote müssen erst zugelassen werden. «Wenn ein Boot ausfällt, verlieren wir sofort 15 Plätze», erklärt El Ghaoui.
Derzeit haben 27 Personen aus der Schweiz bereits grünes Licht, der Rest wartet noch.
Schweizer Gaza-Aktivist: «Wir bleiben pazifistisch»
Die Flotte versteht sich als internationale Koalition. «Wir wollen bewusst die Crews mischen: 50 Prozent Schweizerinnen und Schweizer, 50 Prozent andere Nationalitäten. So erhöhen wir den diplomatischen Druck.»
Denn: «Wenn ein Boot gestoppt wird, sind gleich mehrere Staaten betroffen», so El Ghaoui. Insgesamt sind Aktivistinnen und Aktivisten mit mehr als 100 Nationalitäten beteiligt.
Der Präsident der Schweizer Delegation rechnet fest mit einem Eingreifen Israels und sieht drei mögliche Szenarien: Die Flotte könnte frühzeitig gestoppt werden, Gaza tatsächlich erreichen oder aber könnten die Teilnehmenden verhaftet werden.

«Das wahrscheinlichste ist, dass sie uns einfach stoppen und zurückschicken», sagt er. Gewalt sei für die Mission ausgeschlossen. «Wir bleiben strikt pazifistisch. Wenn man eine Blockade mit Gewalt durchbrechen will, provoziert man noch mehr Gewalt.»
Sollte es dennoch zu Festnahmen kommen, ist gewaltfreier Widerstand angekündigt. «In dem Fall treten wir alle in den Hungerstreik. Damit wollen wir nicht nur Druck auf Israel, sondern auch auf unsere Regierungen ausüben», so El Ghaoui.
Schweizer Arzt war schon in Gaza: «Babys im Spital verbrannten»
Die Schweizer Delegation will Babynahrung und Wasserfilter nach Gaza bringen. «Wir wollen nichts anderes als humanitäre Güter liefern», betont er.
Seine Motivation ist persönlich: Dreimal war er im vergangenen Jahr als Arzt in Gaza.
«Ich habe Kinder mit Schusswunden gesehen, Babys, die im Spital verbrannten. Die medizinische Versorgung ist völlig zusammengebrochen.»
Medizinische Einsätze seien daher kaum noch möglich, erklärt er. Ärztinnen und Ärzte kommen kaum noch rein – und wenn, dann nur ohne medizinische Güter.
Nur öffentlicher Druck könne etwas verändern. «Wir müssen die Blockade sichtbar, aber gewaltfrei herausfordern. Es geht nicht nur um Gaza, sondern darum, dass das humanitäre Völkerrecht respektiert wird.»
Boote heissen «Heidi» und «Wilhelm Tell»
Auch bei der Namensgebung der Boote setzten die Organisatoren auf Symbolik. Neben «Wilhelm Tell» und «Heidi» soll ein Schiff «Henry Dunant» heissen – nach dem Gründer des Roten Kreuzes.
«Wir hoffen, dass die Schweizerinnen und Schweizer sich bei diesen Namen mehr betroffen fühlen. Heidi verkörpert ein unschuldiges Kind – genauso wie alle Kinder in Gaza.»

Auf mögliche Vorwürfe Israels – wie beim Stopp von Greta Thunbergs Boot – reagiert El Ghaoui gelassen.
«Israel nutzt seit Jahren immer wieder dieselben Argumente. Aber wir sind transparent. Jeder kann sehen, wer wir sind und was wir transportieren. Wir haben nichts zu verbergen.»
Von der Schweiz fordert er deshalb klare Rückendeckung.
Er fordert die Regierung in Bern auf, die Boote und die Teilnehmenden zu schützen. Dafür soll sie bei Israel vorstellig werden. «Wir handeln im Einklang mit internationalem Recht. Die Schweiz darf hier nicht schweigen – Neutralität angesichts eines Genozids gibt es nicht.»

Israels Vorgehen im Gazastreifen wird international teilweise als möglicher Völkermord bewertet. Südafrika hat dazu Klage vor dem Internationalen Gerichtshof eingereicht.
Eine juristisch eindeutige Einstufung als Genozid steht noch aus. Doch Experten und NGOs sehen die rechtliche Schwelle als überschritten und fordern Aufklärung.
EDA will Segel-Aktion mit Schweizer Bürgern nicht kommentieren
Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) sagt auf Anfrage von Nau.ch zur Aktion: «Das EDA hat Kenntnis von der Organisation einer Flottille für Gaza und der Beteiligung von Schweizer Bürgern genommen. Es kommentiert diese jedoch nicht.»
Das Departement verweist stattdessen auf eine Erklärung mehrerer Staaten zur humanitären Lage in Gaza. Diese war Mitte August veröffentlicht worden und die Schweiz hat sich ihr angeschlossen.
Gefordert wird darin ein sicherer und umfassender Zugang für humanitäre Hilfe, der Schutz der Zivilbevölkerung und des humanitären Personals. Ebenso fordert die Erklärung eine dauerhafte Waffenruhe sowie die Freilassung aller Geiseln.
Weiter verweist das EDA auf seine Reisehinweise. «Von touristischen Reisen und von nicht dringenden Reisen nach Israel abgeraten. Von Reisen in das besetzte palästinensische Gebiet wird abgeraten.»
Jemanden daran hindern können die Schweizer Behörden allerdings nicht. «Gemäss dem Auslandschweizergesetz ist jede Person für ihre Reise in ein anderes Land selbst verantwortlich.»
Die israelische Botschaft in Bern wollte sich trotz mehrmaliger Anfrage von Nau.ch nicht zur Aktion äussern.