Nahost-Experte zu Palästina: «Zweistaaten-Lösung ist vom Tisch»

Stephan Felder
Stephan Felder

Israel,

Erste G7-Staaten erkennen Palästina an. Experte Simon Wolfgang Fuchs sieht darin nur Symbolik – und warnt vor neuer Eskalation im Westjordanland.

Palästina Simon Fuchs
Nahost-Experte Simon Fuchs sieht die Anerkennung Palästinas derzeit vorab als Symbolik. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Erste G7-Staaten haben Palästina offiziell anerkannt.
  • Israel lehnt einen palästinensischen Staat geschlossen ab.
  • Experte Simon Wolfgang Fuchs: «Eine Zweistaaten-Lösung ist vom Tisch.»

Es ist ein historischer Schritt: In den letzten Tagen haben mit Kanada, Grossbritannien und Australien erste G7-Staaten Palästina offiziell als Staat anerkannt.

Gleichzeitig setzt Israel seine Offensive im Gazastreifen unvermindert fort. Auch im Westjordanland verschärft sich die Lage. Dort droht eine neue Eskalation, sollte Israel seine Drohung wahr machen und Gebiete annektieren.

Simon Wolfgang Fuchs, Professor für Islamwissenschaften und Nahoststudien an der Hebräischen Universität Jerusalem, ordnet die jüngste Entwicklung für Nau.ch ein.

Anerkennung als Signal – und als möglicher Hebel

«Die Anerkennung Palästinas als Staat wird allenfalls längerfristig eine Bedeutung haben», sagt Fuchs.

Konkret könnte das so aussehen: Denkbar sei, dass Produkte aus israelischen Siedlungen in den anerkennenden Ländern künftig nicht mehr importiert werden könnten.

«Kurzfristig zeigt die internationale Staatengemeinschaft, dass sie genau auf Palästina blickt. Dies in einer Zeit, in der das mögliche Staatsgebiet mehr und mehr verschwindet.»

Sollte auch die Schweiz Palästina als Staat anerkennen?

Gemeint sind die immer neuen Siedlungen im Westjordanland und die akute Gefahr einer formellen Annexion.

Parallel zur Anerkennung läuft eine französisch-saudische Initiative. Sie entwirft ein Szenario für einen Gazastreifen ohne Hamas. Zudem fordert sie die sofortige Freilassung der israelischen Geiseln und will die Palästinensische Autonomiebehörde stärken.

Doch auf den Bodenkrieg in Gaza habe dieses Szenario keinen direkten Einfluss, erklärt Fuchs: «Israel will sich nicht darauf einlassen.»

Gefahr einer zweiten Front

Die grössere Sprengkraft liege ohnehin im Westjordanland, warnt Fuchs. «Falls die israelische Regierung ihre Drohung wahr macht und das Westjordanland annektiert, könnte es dort zu Aufständen kommen.»

Das israelische Militär habe selbst darauf hingewiesen. Eine Folge wäre, dass Truppen aus Gaza abgezogen und ins Westjordanland verlegt würden.

«Die finanziell geschwächte Palästinensische Autonomiebehörde wäre wohl nicht in der Lage, mit ihren eigenen Sicherheitskräften für Ordnung zu sorgen.»

Breite Ablehnung in Israel

Die israelische Regierung lehnt einen Palästinenser-Staat kategorisch ab. «Es wird unter keinen Umständen einen zusammenhängenden palästinensischen Staat geben», so Fuchs.

Bevorzugt werde stattdessen eine Zerstückelung mit Selbstverwaltung für Städte wie Ramallah, Nablus oder Hebron. Bezeichnend sei, dass auch die Opposition gegen die Anerkennung sei.

Benjamin Netanjahu
In der Palästina-Frage ist auch die Opposition auf seiner Seite: Benjamin Netanjahu. - keystone

«Sie verbinden das mit Kritik an Netanjahu, werfen ihm ein diplomatisches Desaster vor. Dennoch stimmen sie mit ihm überein, dass eine Anerkennung eine Belohnung für Hamas und ein Sicherheitsrisiko für Israel sei.»

Auch die israelische Bevölkerung teile diese Skepsis. «Das Vertrauen in einen palästinensischen Staat tendiert gegen null.»

Rolle der Verbündeten

Die USA spielen für Israel eine Schlüsselrolle. «Die israelische Regierung begreift die amerikanische Haltung als grünes Licht für ihr Vorgehen in Gaza und im Westjordanland», erklärt Fuchs.

Ist Frieden in Gaza möglich?

Washington betone, dass es sich um Israels Krieg handle und man sich nicht einmische. Deutschland wiederum halte sich nach dem Teilembargo auf Waffenexporte zurück. «Berlin wird scheuen, noch weitergehende Schritte zu unternehmen.»

Zweistaaten-Lösung vom Tisch

Eine Rückkehr zur viel diskutierten Zweistaaten-Lösung sieht Fuchs nicht mehr. «Eine solche Lösung erscheint mir vom Tisch», sagt er klar.

Israel sei militärisch und wirtschaftlich stark genug, um sich die dauerhafte Kontrolle leisten zu können. «Israelische Siedler haben seit dem Angriff der Hamas eine Fläche unter ihre Kontrolle gebracht, die ca. drei Mal so gross ist wie der Gazastreifen. Das zeigt, wohin die Reise geht.»

Simon Wolfgang Fuchs
Nahost-Experte Simon Wolfgang Fuchs glaubt nicht mehr an eine Zweistaaten-Lösung. - simonwolfgangfuchs.com

Auch wirtschaftlich sei die Machtasymmetrie enorm. Israel halte Milliarden an Steuereinnahmen zurück, die eigentlich der Palästinensischen Autonomiebehörde zustehen.

Zudem seien Arbeitsgenehmigungen für Palästinenser in Israel gestrichen worden. «Stattdessen importiert man Arbeitskräfte aus Indien und Südostasien.» Das schwäche die palästinensische Seite zusätzlich.

Kommentare

User #5193 (nicht angemeldet)

Die europäische Politik macht Fehler um Fehler.

User #2802 (nicht angemeldet)

Macht einen Golfplatz draus, den kann man dann anerkennen

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