Die Lage in den Spitälern hat sich etwas entspannt. Doch die Fallzahlen des Coronavirus steigen wieder – Infektiologe Hansjakob Furrer erklärt die Situation.
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Alain Berset besichtigt Anfang Februar die Intensivstation in Münsterlingen. - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Inselspital-Chefarzt Hansjakob Furrer sieht einen neuen Corona-«Flächenbrand» entfachen.
  • Die Ausgangslage für die Intensivstationen hat sich trotz Geimpfter bisher kaum verändert.

Seit einem Jahr betreut Hansjakob Furrer, Chefarzt der Infektiologie am Berner Inselspital, mit seinem Team am Coronavirus erkrankte Patienten. An vorderster Behandlungs-Front erlebte er den rasanten Anstieg des vergangenen Frühlings und die lange zweite Welle im Herbst mit.

Jetzt steigen die Zahlen erneut. Zweifelsohne wäre eine dritte Welle anders als die vorherigen. Doch auch wenn der Chefarzt mittlerweile optimistischer klingt: Trotz Impfung wäre ein erneuter Flächenbrand ein Problem für die Spitäler.

Zweite Welle brachte Gesundheitssystem an die Grenze

Der drohende Engpass auf den Intensivstationen ist eine der grössten Sorgen hinsichtlich des Coronavirus. Die zweite Welle war diesbezüglich eine grosse Herausforderung für das Gesundheitssystem. Die Kapazitäten waren gerade eben genügend, um einen akuten Engpass auf den Intensivstationen zu vermeiden.

Doch das gelang nur durch das Absagen von nicht dringlichen Operationen und der Umschichtung von Personal. Immer wieder mussten Spitäler aufgrund voller Intensivstationen Patienten in andere Spitäler verlegen.

Vielen bleibt der Hilferuf aus Schwyz in Erinnerung – eines von vielen Beispielen für den Ernst der Lage. Damals befürchtete Hansjakob Furrer, «dass die Betreuung nicht mehr in der Qualität gewährleistet werden kann, wie wir wollen».

Coronavirus Interview Hansjakob Furrer
Hansjakob Furrer ist Chefarzt und Direktor der Universitätsklinik für Infektiologie am Berner Inselspital. - zVg

Auch wenn nicht von Normalität gesprochen werden könne, hat sich die Situation mittlerweile spürbar entspannt: «Derzeit sind noch rund 20 Prozent der Intensivbetten von Covid-Patienten belegt.»

Seit zwei Wochen hätte sich die bis anhin sinkende Zahl der Covid-Intensivpatienten schweizweit in etwa stabilisiert. Im Kanton Bern, der zu den weniger betroffenen gehört, merke man einen deutlichen Anstieg wie in anderen Kantonen noch nicht.

Zunahme des Coronavirus ohne Lockerungen

Jetzt sehen sich die Spitäler erneut mit steigenden Infektionszahlen konfrontiert. Furrer spricht lieber von einem «Flächenbrand» als einer dritten Welle: «Wir löschen weniger, als sich entzündet.» Die Metapher beschreibt nichts anderes als einen R-Wert, der über 1 liegt.

Erneut angefacht wurden die Flammen von der britischen Variante: «Anfang des Jahres war die Mutation des Coronavirus für etwa fünf Prozent der Fälle verantwortlich, jetzt sind es achtzig Prozent.»

Aufgrund der Verbreitung ansteckenderer Varianten genügen die Massnahmen, welche vor zwei Monaten genügten, inzwischen nicht mehr. «Wir sehen wieder ein exponentielles Wachstum», so Furrer. «Das ist nicht gut für die Bevölkerung, wenn wir es nicht stoppen können.»

Kaum Impf-Effekt auf Intensivstationen

Mittlerweile haben rund 5,4 Prozent der Schweizer Bevölkerung beide Impfdosen gegen das Coronavirus erhalten. Angesichts dessen liegt der Rückschluss nahe, dass eine neue Welle die Spitäler nicht mehr so eine grosse Herausforderung wäre. Einen besonders grossen Effekt auf die Situation auf den Intensivstationen erwartet Furrer deswegen jedoch noch nicht.

«Bisher sind vor allem Personen über 75 geimpft», erklärt Furrer. Viele Bewohner der Alters- und Pflegeheime seien ohnehin nicht ins Spital gekommen, sondern starben auf eigenen Wunsch im Heim.

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Bisher wurden viele Bewohner von Altersheimen geimpft. Im Falle einer Corona-Infektion wären manche von ihnen nicht mehr auf eine Intensivstation verlegt worden. - Keystone

«Auf den Intensivstationen landen viele Personen, die jünger als 75 Jahre sind, die aber häufig Risikofaktoren haben. Menschen, die eigentlich noch mehrere Jahre oder Jahrzehnte zu leben hätten.» Für diese Menschen wende man in den Spitälern besonders viele Ressourcen auf. Viele von ihnen sind jedoch noch nicht geimpft.

Kampf ums Überleben hat Fortschritte gemacht

Die Belastung in den Spitälern bleibt also weiterhin hoch. Auch wenn es nicht mehr so viele sind: Tagtäglich kämpfen die Ärzte um das Überleben von Covid-Patienten – das geht auch am gestandenen Chefarzt nicht spurlos vorbei.

«Eine gesunde schwangere Frau kam mit Covid zu uns», berichtet Furrer. «Das Kind musste per Kaiserschnitt geboren werden, die Mutter liegt auf der Intensivstation. Ich bin mit solchen Fällen konfrontiert, die mich berühren, und ich wäre froh, wenn ich sie nicht erleben müsste.»

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Eine Packung des hoffnungsträgers Dexamethason. Forscher aus Oxford konnten die Wirksamkeit in der Behandlung des Coronavirus bestätigen. - Keystone

Auch ein Jahr nach Pandemiebeginn hat man das langersehnte «Wundermittel» noch nicht gefunden. Die Pflege der Covid-Patienten ist immer noch sehr aufwändig. Viele Patienten benötigen intensive Pflege und Betreuung, um die lebenserhaltenden Körperfunktionen aufrechtzuerhalten: «Es gibt kein Mittel, das man den Patienten geben kann, und dann geht es ihnen einfach wieder gut.»

Trotz allem hat Furrer den Optimismus noch nicht verloren. «Wir sind weiter», beurteilt Furrer die Betreuung der Covid-Patienten. «Wir verstehen das Coronavirus besser, können die Krankheit besser beurteilen. Wir kennen übliche Komplikationen und können darauf achten.»

Langfristig werden bessere Mittel zur Bekämpfung des Virus zur Verfügung stehen, glaubt Furrer. «Die Entwicklung und Zulassung neuer Wirkstoffe – das dauert einfach einen Moment.»

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