Als Chefarzt beschäftigt sich Infektiologe Hansjakob Furrer tagtäglich mit dem Coronavirus. Mit Nau.ch spricht er über Spitäler, Massnahmen und Impfstoffe.
Coronavirus Interview Furrer
Ein Krankenwagen vor dem Inselspital. Die zweite Welle war eine Herausforderung für die Spitäler. Chefarzt Hansjakob Furrer erlebte das an vorderster Front. - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Hansjakob Furrer ist Klinikdirektor der Universitätsklinik für Infektiologie in Bern.
  • Als Chefarzt betreut er Covid-Patienten auf der Intensivstation des Berner Inselspitals.
  • Im Gespräch mit Nau.ch redet er über die Spital-Situation, Massnahmen und das Impfen.

Nau.ch: Es ist nachmittags um 16 Uhr und Sie haben tatsächlich Zeit für ein Gespräch. Das klingt nach ruhigen Zeiten.

Hansjakob Furrer: Nein, ich habe im Moment gerade keinen «Frontdienst». Ich habe Zeit, die administrativen Dinge aufzuarbeiten und meine Vorlesungen vorzubereiten – auch das ist mein Job.

Nau.ch: Mittlerweile sind auch die Hospitalisierungszahlen wieder leicht zurückgegangen. Bemerken Sie bereits eine Entspannung?

Hansjakob Furrer: Es ist so, dass die Neuhospitalisationen nicht mehr zunehmen. Wir hatten in den vergangenen Wochen meist über 100 hospitalisierte Covid-Patienten, darunter einige aus überfüllten Intensivstationen aus der Romandie. Inzwischen ist die Zahl wieder etwas gesunken. Die Anzahl der Covid-Patienten auf den Intensivstationen bleibt allerdings hoch.

Coronavirus Interview Hansjakob Furrer
Hansjakob Furrer ist Chefarzt und Direktor der Universitätsklinik für Infektiologie am Berner Inselspital. - zVg

Nau.ch: Die Diskussion drehte sich in den vergangenen Wochen stark um die Zahl der Intensivbetten. War die Bettenkapazität tatsächlich der entscheidende Punkt?

Hansjakob Furrer: Bettenkapazität ist ein gutes Wort. Man könnte problemlos eine Menge Betten irgendwo hinstellen. Es geht darum, dass die Menschen, die intensivmedizinische Hilfe brauchen, schwer krank und gesundheitlich instabil sind. Da braucht es sehr gut ausgebildete Pflegekräfte, Ärzte mit Spezialausbildung und tägliche interdisziplinäre Besprechungen im Team für einzelne Patienten.

Die Angst war, dass die Betreuung nicht mehr in der Qualität gewährleistet werden kann, wie wir wollen. Das würde dazu führen, dass wir Patienten, die kritisch krank sind und sich erholen, nicht mehr am Leben halten könnten.

«Es hat gerade noch gereicht»

Nau.ch: Hat sich Ihre Angst bestätigt? Wie angespannt war die Personalsituation?

Hansjakob Furrer: Im Inselspital haben sich alle voll eingesetzt: Viele arbeiten mehr, als sie müssten. Wir konnten Spezialkräfte aus der Anästhesie einsetzen, weil weniger operiert wird. So hat es gerade noch so gereicht. Wir konnten eine gute medizinische Behandlung gewährleisten.

Coronavirus Interview Infektiologe Furrer
Ein Corona-Patient des Universitätsspitals Lausanne auf dem Weg zum Rega-Helikopter. Das Berner Inselspital übernahm Patienten aus vollen Spitälern. - Keystone

Nau.ch: Wenn nicht-dringliche Operationen abgesagt werden müssen, kann man doch nicht mehr von «guter medizinischer Behandlung» reden.

Hansjakob Furrer: Ich rede von guter medizinischer Behandlung für die Patienten auf der Intensivstation. Abgesehen davon müssen wir ständig beobachten, was wir noch tun können. Damit beschäftigt sich eine ganze Arbeitsgruppe, die täglich prüft, wo wir wie viele Operationen machen können.

Manche Operationen kann man ein wenig herausschieben. Man muss allerdings genau prüfen, was man wie lange herausschieben kann, ohne dass wir die Person gefährden.

Nau.ch: Die Schweiz hat eine der schwersten zweiten Wellen in Europa erlebt. Hat Sie das überrascht?

Hansjakob Furrer: Ja und nein. Wenn wir zurückblicken, sind die Zahlen schon seit dem Sommer gestiegen. Wenn man nichts dagegen macht, muss man damit rechnen, das es so herauskommt. Und wir haben in der Schweiz keine zusätzlichen wirksamen Massnahmen eingeführt.

Nau.ch: Das könnte auch noch ein drittes Mal so kommen.

Hansjakob Furrer: Ja, ich befürchte es. Es ist extrem schwierig, unsere ganze Gesellschaft sensibilisiert zu halten.

Coronavirus Interview Infektiologe Chefarzt
Gesundheitsminister Alain Berset vor den Corona-Plakaten der BAG-Sensibilisierungskampagne. Was ist der richtige Weg – «harte» Massnahmen oder «weiche» Sensibilisierung? - Keystone

«Strenge Massnahmen werden in der Schweiz nicht akzeptiert»

Nau.ch: Der Weg aus der Krise geht also eher über Sensibilisierung als über Massnahmen?

Hansjakob Furrer: Ich glaube, in der Schweiz können wir strenge, teils polizeiliche Massnahmen wie anderswo nicht einführen. Das wird nicht akzeptiert. Massnahmen können aber mithelfen, zu sensibilisieren.

Wichtig sind die banalen Sachen: Abstand, keine Anlässe mit vielen Menschen, Maske tragen, Hände desinfizieren. Das müssen wir durchziehen. Das ist schwierig, und es kommen Zweifel auf, man wird nachlässig.

Gleichzeitig war die Reaktion auf den explosionsartigen Zahlenanstieg vor allem in der französischsprachigen Schweiz gut. Ein Grossteil der Bevölkerung hat realisiert: Es ist nicht vorbei. Das Virus ist noch hier, und es hat immer noch Kapazität, unserer Gesellschaft zu schaden.

Coronavirus Impfstoff Forschung Fortschritt
Eine Impfstoff-Kanüle ist bereit zur Injektion. Bald dürften die ersten Impfstoffe verfügbar sein. - Keystone

Nau.ch: Vielversprechende Nachrichten um mögliche Impfstoffe mehren sich. Teilen Sie den Optimismus aus der Pharmazie, dass wir in absehbarer Zeit zur Vor-Corona-Normalität zurückkehren können?

Hansjakob Furrer: Ich hoffe das – und bin ein wenig optimistisch. Ich habe die zugänglichen Daten gesehen, eine Detailanalyse liegt mir nicht vor. Ein Grossteil der Studien wurde sehr gut gemacht, nach allem, was ich weiss.

Verschiedene Impfstoffe sind in der Lage, zumindest kurzfristig die Krankheitshäufigkeit massiv zu senken. Wie lange es anhält, weiss noch niemand. Aber es ist eine Hoffnung: Zumindest gibt es keine Hinweise, dass bei den Impfstoffen kurzfristig schwere Nebenwirkungen auftreten.

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