Grossbritannien: Der neue Corona-Musterschüler wird lockern
Im Winter wurde Grossbritannien wegen der Mutationen vom Rest abgeschottet. Nun beginnen erste Öffnungen – dank eines harten Lockdowns und geringem Widerstand.

Das Wichtigste in Kürze
- In Grossbritannien lässt die Corona-Lage Lockerungen zu.
- Ein harter Lockdown machte dies möglich.
- Die Leute rebellierten nicht – dank der Perspektive, die Premier Johnson gab.
Pub-Besitzer in London rollen die ersten Fässer Richtung Zapfhahn und putzen ihre Sitzmöbel im Biergarten. Friseure vergeben Termine im Akkord und die Ferienwohnungen in Cornwall sind so gut wie ausgebucht. In Grossbritannien stehen die Zeichen auf Lockerung. Am Montag öffnen unter anderem Biergärten, etliche Geschäfte und erste Unterkünfte.

Aber Moment – Grossbritannien!? War da nicht was? Spult man rund drei Monate zurück, schien undenkbar, dass der Chaot im Klassenzimmer der Pandemie einmal zum Musterschüler werden könnte.
England, das war die Brutstätte einer gefürchteten Variante – ein Ort, vor dem sich die Welt vor Weihnachten abzuschotten versuchte. Ein Land mit einer verheerenden Todesbilanz von mittlerweile fast 150'000 Toten im Zusammenhang mit Corona. Und mit einer Regierung, die in Sachen Pandemiebekämpfung so ziemlich alles falsch gemacht hatte, was man nur falsch machen konnte. Was ist also passiert?
Schnelle Impfkampagne
Die Antwort liegt nahe: Es wurde geimpft. So viel wie sonst fast nirgendwo, knapp die Hälfte der Bevölkerung hat mindestens eine erste Corona-Impfung hinter sich. Die ersehnte Herdenimmunität sei in greifbarer Nähe, jubelt bereits die erste regierungsnahe Zeitung.
Der Erfolg der britischen Impfkampagne versetzt das Land in eine Situation, von der der Grossteil der Welt nur träumen kann. Doch das Impfen ist nur ein Teil der Antwort.
Harte Massnahmen ohne Widerstand
Zur Wahrheit gehört auch: Seit Monaten leben die Briten ohne viel Murren unter härtesten Massnahmen. Über Monate hinweg durften die Menschen – bis auf wenige Ausnahmen – keine einzige Person ausserhalb des eigenen Haushalts treffen. Auch aus dem eigenen Viertel durften sie sich nicht ohne triftigen Grund bewegen.
«Bleibt zu Hause, schützt das Gesundheitssystem, rettet Leben», so das allgegenwärtige Mantra. Private Reisen ins Ausland sind seit Monaten strikt verboten.

Schottland, Wales und Nordirland, die ihre Corona-Massnahmen unabhängig von London entscheiden, fahren einen ähnlich harten Kurs. Und das bei einer deutlich entspannteren Infektionslage. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag zuletzt bei 39 Neuinfektionen pro 100'000 Einwohner in einer Woche. Auf dem europäischen Kontinent liegt sie zumeist weit höher.
Im katastrophalen Winter wachte man in London in dessen dunklen Januarwochen zu den Tönen von Krankenwagen-Sirenen aufwachte und wieder einschlief. Die konservative Regierung scheint aus den damaligen Fehlern gelernt zu haben. Im Februar zeigte Premier Boris Johnson den Menschen in England seinen Weg aus dem Lockdown auf. Davon ist er seither nicht abgewichen.

Offene Schulen seit März, Biergärten und Shoppen ab Mitte April, private Besuche und möglicherweise Reisen ab Mitte Mai: Das sieht es der «vorsichtige, aber unwiderrufliche Weg» vor, den Johnson nicht müde wird zu betonen.
Auf die Zwischenetappen freut er sich auch offenbar selbst. «Am Montag, den 12., werde ich selbst zu einem Pub gehen und vorsichtig, aber unwiderruflich, ein Bier an meine Lippen führen.» Dies verriet der Premier am Ostermontag.
Lockerungen bis 21. Juni abgeschlossen
Der Lockerungsprozess endet am 21. Juni, an dem der Grossteil aller Corona-Massnahmen in England aufgehoben werden soll. Ein Datum, mit dem mittlerweile Textilfirmen für ihre Post-Lockdown-Outfits werben und Twitter-Accounts die Tage bis zur grossen Freiheit zählen.
Das Bemerkenswerte: Der Grossteil der Menschen macht mit. Einige hundert versammelten sich hin und wieder auf Anti-Lockdown-Demos oder illegalen Partys von Jugendlichen. Dies löste die Polizei jedes Wochenende auf. Ansonsten hielt sich der Widerstand in Grenzen – vielleicht, weil es eine Perspektive gab.