83 Prozent der Gaza-Getöteten sind Zivilisten
Im Gazastreifen sind laut einer Recherche 83 Prozent der Getöteten Zivilisten. Dabei dürfen Soldaten die Zahl der eliminierten Kämpfer aufblähen.

Das Wichtigste in Kürze
- Gemäss einer Armee-Datenbank hat Israel 8900 Hamas-Kämpfer ausgeschaltet.
- Gemäss diesen Zahlen beträgt der Anteil getöteter Zivilisten 83 Prozent.
- Laut einer Expertin ist er «ungewöhnlich hoch» für einen so lange dauernden Krieg.
Seit bald zwei Jahren tobt der Krieg im Gazastreifen. Laut den örtlichen Gesundheitsbehörden sind weit über 50'000 Menschen getötet worden. Zwischen Zivilisten und Kämpfern wird dabei nicht unterschieden.
Der «Guardian» hat nun den Anteil der getöteten Zivilisten bei einer Recherche mit einem israelisch-palästinensischen und einem hebräischen Magazin ermittelt. Demzufolge sind 83 Prozent der Todesopfer Zivilisten.
Die Zeitung beruft sich dabei auf eine geheime Datenbank der israelischen Armee. Darin waren bis Mai 8900 namentlich bekannte Kämpfer der Hamas oder des Islamischen Dschihads als tot aufgelistet. Zum gleichen Zeitpunkt meldeten die Gesundheitsbehörden knapp 53'000 Getötete.
Therése Pettersson vom «Uppsala Conflict Data Program», das zivile Kriegsopfer zählt, sagt: «Der Anteil getöteter Zivilisten ist ungewöhnlich hoch. Vor allem für einen Konflikt, der schon so lange andauert.» Es seien Zahlen, wie man sie sonst von einer einzelnen Schlacht oder aus einer einzelnen Stadt kenne.
So gab es laut dem UCDP seit 1989 bloss drei Fälle mit einem noch höheren Anteil getöteter Zivilisten: der Genozid in Ruanda (99%), die Belagerung von Mariupol (95%) und in Srebrenica (92%). Im gesamten Bosnien-Krieg (57%) und im Ukraine-Krieg (11%) war der Anteil getöteter Zivilisten aber deutlich tiefer.
Israelische Politiker sprechen von 20'000 getöteten Kämpfern
Die israelische Armee teilt gegenüber dem «Guardian» bloss mit, dass die Zahlen «nicht korrekt» seien. Sie würden nicht jenen in den Datenbanken der Armee entsprechen. Fragen zu der für die Recherche verwendete Datenbank wurden nicht beantwortet. Schon seit Langem bezeichnet Israel auch die Zahlen der Gesundheitsbehörde als falsch und als Propaganda.
Israelische Politiker und Militärs haben von bis zu 20'000 getöteten Hamas-Personen gesprochen. Das würde bedeuten, dass – sollten die Zahlen der Gesundheitsbehörden stimmen – knapp über die Hälfte der Opfer Zivilisten waren. Möglich ist, dass auch Personen, die zwar zur Hamas gehören, aber nicht aktive Kämpfer sind, mitgezählt werden.
Der «Guardian» geht auch darauf ein, dass die Todeszahlen der Gesundheitsbehörde zu tief sein könnten: Denn gezählt werden nur Opfer, deren Leichen geborgen werden konnten. Unklar ist, wie viele Getötete weiterhin unter den Trümmern liegen.
Doch auch die Zahlen aus der Datenbank der Armee könnte zu tief sein. Viele Hamas-Kämpfer tragen keine Uniform, sind also von den Soldaten nur schwer als Terroristen zu identifizieren. Möglich ist auch, dass die Armee nicht die Namen aller neuen Rekruten der Hamas besitzt.
Noch fast 40'000 Kämpfer am Leben
Eine Quelle aus dem Geheimdienstumfeld geht aber nicht davon aus, dass Israel die Zahl der getöteten Hamas-Kämpfer zu tief angibt. «Soldaten werden dazu verleitet, anzugeben, dass die Getöteten Terroristen sind.» So dürften Opfer als «militärische Verluste» angegeben werden, ohne sie zu identifizieren.
Der Geheimdienst-Insider sagt: «Wenn ich auf die Armee gehört hätte, wäre ich zum Schluss gekommen, dass wir 200 Prozent der Hamas-Aktivisten getötet hätten.»
In der Datenbank werden 47'653 Palästinenser als Kämpfer von Hamas oder Islamischer Dschihad aufgelistet. Wurden bislang tatsächlich rund 8900 davon getötet, heisst das, dass immer noch fast 40'000 Kämpfer leben.