Jugendliche sollen eine Nutzen-Risiko-Analyse machen beim Impfentscheid, empfiehlt das BAG. Die Entscheidgrundlagen sind aber lückenhaft.
Coronavirus Impfung Jugendliche
Fabrice wartet mit seiner Mutter und Schwester im Covid-19-Impfzentrum Messe Zürich, aufgenommen am Montag, 26. Juni 2021. Das Impfzentrum impft ab diesem Datum Jugendliche im Alter von 12 bis 15 Jahren. - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Die Corona-Impfung für 12- bis 18-Jährige ist empfohlen.
  • Es gelte aber, Für und Wider persönlich abzuwägen, schreibt das BAG.
  • Welche Punkte gegen eine Impfung sprechen könnten, erfahren die Jugendlichen nicht.

Die Impfung von Teenagern gegen das Coronavirus hat für das BAG, die Taskforce und Impfkommission keine Priorität. Sie ist empfohlen, der Impfstoff von Pfizer/Biontech ist zugelassen, derjenige von Moderna wohl demnächst. Doch gebe es Gründe für und gegen die Impfung, lässt das BAG die Jugendlichen in einem neuen Merkblatt wissen. «Wäge sie sorgfältig ab und mach so deine persönliche Nutzen-Risiko-Analyse» – doch was sind denn diese Risiken überhaupt?

BAG bleibt vage

Auch auf Nachfrage bleibt das BAG eine konkrete Antwort schuldig, welche Risiko-Faktoren die Jugendlichen in ihre Analyse miteinbeziehen sollten. Erwähnt wird lediglich, dass bei der Impfung seltene schwere Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen werden können. Eine Binsenweisheit, die gleichermassen für künstliche Süssstoffe, Tabakkonsum und Open Airs gilt. Für die «persönliche Nutzen-Risiko-Analyse» wäre aber hilfreich zu wissen, welcher Art die Nebenwirkungen sind und wie selten «selten» ist.

Impfung Coronavirus Jugendliche BAG
Ein neues BAG-Plakat mit dem aktuellen Leitspruch der Corona-Kampagne «Ein Herz für uns alle» wird auf dem Bundesplatz installiert, am Dienstag, 18. Mai 2021 in Bern (rechts). Mit einem Merkblatt informiert das BAG Jugendliche, dass auch sie sich impfen lassen können (links). - bag-coronavirus.ch / Keystone

Ein Grund für die vornehme Zurückhaltung des BAG ist sicher darin begründet, dass laufend neue Erkenntnisse hinzukommen. Das gilt insbesondere bei der Altersgruppe der 12- bis 18-Jährigen, wo Daten erst seit einigen Monaten überhaupt vorliegen. In einigen Ländern wurden mittlerweile aber schon Millionen von Jugendlichen geimpft. Wie bei Erwachsenen ist noch längst kein abschliessendes Urteil möglich, aber für die Entscheidungsfindung hilfreiche Aussagen sind durchaus möglich.

Es ist das Herz!

Schon bei Erwachsenen hat man festgestellt, dass nach einer Corona-Impfung mit einem mRNA-Impfstoff Entzündungen des Herzmuskels auftreten können. Daten des CDC aus den USA zeigen, dass eine solche Myokarditis genannte Erkrankung insbesondere auch bei männlichen Jugendlichen gehäuft vorkommt. Ob 15- oder 150-mal häufiger lässt sich trotz über sechs Millionen geimpfter junger Amerikaner nicht genau sagen. Denn oft verheilt eine Myokarditis spontan oder mit etwas Bettruhe und ohne Symptome wieder.

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Eine Highschool-Schülerin in San Pedro, Kalifornien, wird im schuleigenen Impfzentrum gegen Coronavirus geimpft. - Keystone

Damit zu spassen ist trotzdem nicht, je nach Vorerkrankungen und Verzögerung, bis die Erkrankung diagnostiziert wird. Insgesamt 0,01 Prozent der US-Jugendlichen wurden nach der Impfung mit einer Myokarditis oder anderen Erkrankung hospitalisiert. Myokarditis wegen einer mRNA-Impfung ist damit mehr als doppelt so wahrscheinlich wie eine Thrombose durch den Impfstoff von AstraZeneca. Im Spital blieben die jungen Herzpatienten aber meist nur wenige Tage, Todesfälle wurden keine verzeichnet.

Die Wahl: Impfung oder Coronavirus

Dieses Risiko müsse man aber nicht mit «weiterleben wie bisher» vergleichen, sondern «weiterleben und sich mit Coronavirus anstecken», warnen Ärzte. Denn sie gehen davon aus, dass früher oder später jede ungeimpfte Person mit dem Coronavirus in Kontakt kommt und erkrankt. Stellt man diesen Vergleich an, mit allen Vorbehalten des aktuellen Wissensstands, steht das Impf-Risiko in anderem Licht da. Denn nicht nur die Impfung, auch das Coronavirus selbst kann Myokarditis und andere Entzündungen verursachen.

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Biontech und Pfizer haben mit Studien zu Wirkung und Sicherheit ihres Corona-Impfstoffs bei Kindern unter 11 Jahren begonnen. - dpa

Selbst bei konservativer Schätzung mussten so 0,02 Prozent der jugendlichen Corona-Patienten in Spitalbehandlung. Also doppelt so viele wie bei der Impfung, ein Drittel davon musste auch auf die Intensivstation und über 300 starben. Hinzu kommen aber auch noch zusätzliche 0,04 Prozent, die nachträglich infolge Covid an PIMS erkranken. In der Schweiz benötigen rund die Hälfte der an PIMS erkrankten Kinder Pflege auf der Intensivstation.

Abwarten und Impfstoff verschenken

Nebst dem Erkrankungsrisiko bei der mRNA-Impfung, das rund sechsmal kleiner ist als bei einer Ansteckung, gibt es auch andere Erwägungen. Für viele Jugendliche wäre es wohl wünschenswert, sie könnten noch mehr Daten und Erfahrungswerte abwarten bis zu ihrem individuellen Impfentscheid. Mediziner befürworten teilweise ein solches Vorgehen unter dem Aspekt «besser spät als nie». Es wird aber auch betont, dass der Kinder-Bonus nicht ewig halte: Je älter, desto wahrscheinlicher sind schwere Verläufe einer Covid-Erkrankung.

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Eine Lieferung mit Impfstoffen der Covax-Initiative, mit der Impfstoff global verteilt wird. - AFP

Gerade weil bei Kindern und Jugendlichen eine Covid-Erkrankung meist milde verläuft, wird auch der moralische Aspekt aufgeworfen. Sollten Impfdosen nicht prioritär den älteren Bevölkerungsgruppen zugutekommen? In der Schweiz scheint dieses Thema aber erledigt, nachdem die Impftermine zunächst gestaffelt vergeben und aktuell genügend Impfstoff gelagert ist.

Andere Experten halten es für ethisch fragwürdig, Kinder zu impfen, während in ärmeren Ländern selbst Risikogruppen noch ungeimpft sind. Diese Haltung vertritt auch Oxford-Professor Andrew Pollard, der an der Entwicklung des AstraZeneca-Impfstoffs beteiligt war. Diese politische Frage dürfte den Impfentscheid von Schweizer Jugendlichen aber wenig beeinflussen. Eine einzelne eingesparte mRNA-Impf-Dosis wird kaum exportiert, hingegen spendet die Schweiz Millionen Dosen von AstraZeneca, die hierzulande nicht zugelassen sind.

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