«US-Präsident Donald Trump und seine Sekte»
«Donald Trump war enger Freund von Jeffrey Epstein. Warum interessiert das seine Anhänger nicht?», fragt sich Marko Kovic in seiner Kolumne.

Das Wichtigste in Kürze
- Der bekannte Sozialwissenschaftler Marko Kovic schreibt regelmässig Kolumnen auf Nau.ch.
- Heute schreibt Kovic über Donald Trump und seine fanatischen Anhänger.
- «Die demokratischen Schutzwälle sind gebrochen», schreibt Kovic.
Anfang September wurde der Brief veröffentlicht, den Donald Trump 2003 an seinen Freund Jeffrey Epstein zu dessen 50. Geburtstag geschickt hatte.
Im Brief schreibt Trump, er und Epstein hätten «gewisse Gemeinsamkeiten» und Rätsel würden «nie altern». Auf dem Brief ist die Kontur eines Mädchens aufgemalt.
Jeder Mensch, der halbwegs bei Verstand ist, versteht, was hier los ist: Trump wusste von Epsteins Pädokriminalität. Und war mit nicht-trivialer Wahrscheinlichkeit auch einer von Epsteins Klienten.
Epstein-Fall habe Barack Obama erfunden
Das ist keine Überraschung. Epstein und Trump waren 15 Jahre lang eng befreundet. Die Freundschaft endete erst mit einem Streit über eine Immobilie.
Trump und seine Regierung behaupteten noch im Wahlkampf, sie würden alle Informationen zu Epstein publik machen. Nun aber haben sie eine totale Kehrtwende vollzogen. Sie weigern sich, Informationen zu veröffentlichen. Und bezeichnen den Epstein-Fall sogar als «Schwindel», den Barack Obama erfunden habe.

Trumps jüngster Pädo-Skandal würde in einer normalen Welt das Ende von Trump und seiner Regierung bedeuten. Aber wir leben nicht in einer normalen Welt.
Trump behauptet einfach, das sei nicht seine Unterschrift auf dem Brief (in Wahrheit entspricht die Unterschrift sehr klar seiner Unterschrift von damals).
Trumps Anhänger, in den USA und international, ignorieren, was sie mit den eigenen Augen sehen, und machen stattdessen, was Trump ihnen vorsagt: Alles verharmlosen oder leugnen.
Die Anhänger von MAGA («Make America Great Again») sind angeblich gegen Menschenhandel und Kindesmissbrauch. Aber dann, wenn ihr politisches Idol so tief im Pädophilie-Sumpf steckt, wie man darin nur stecken kann, schauen sie in atemberaubendem Tempo weg.
Keine politische Bewegung – eine Sekte
Trumps Epstein-Skandal ist nur die Spitze des Eisbergs, nur ein Symptom eines breiteren Phänomens.
In der jüngeren Geschichte gibt es kaum einen Politiker in einem demokratischen Land, der politisch und charakterlich derart defizitär, antisozial und vulgär wie Trump ist.
Wobei es vielleicht unpassend ist, Trump überhaupt Politiker zu nennen. Er ist vielmehr ein offen und lautstark korrupter Machiavellist.
Als Präsident hat Trump über drei Milliarden Dollar ergaunert. Grosse Teile davon nicht nur mit unethischen Geschäften und Schrottprodukten wie Turnschuhen und Uhren, sondern ganz direkt mit Betrugsmaschen wie den Trump-Kryptowährungen. Oder mit Bestechung wie dem 150-Millionen-Flugzeug, das er von Qatar erhalten hat. Alles Dinge, die vor Trump schlicht undenkbar waren.
Fanatisierte Anhänger halten zu Trump
Egal, was Trump macht: Seine fanatisierten Anhänger halten zu ihm. Trump und die MAGA-Bewegung sind keine normale politische Bewegung. Alles an MAGA ist abnormal.
Die psychosozialen Dynamiken rund um Trump gleichen einer Sekte. Das charismatische Oberhaupt der Sekte ist eine Autorität, die immer absolut recht hat – und die man nicht hinterfragen darf. Auch dann nicht, wenn die Autorität offenkundig lügt und betrügt.
In der Trump-Sekte dürfen nur ausgewählte Informationen genutzt werden. Alle Quellen, die Trump hinterfragen oder kritisieren, sind «Fake News», sind die Lügenpresse.

Nur Informationsquellen und Meinungen, die Trump genehm sind, sagen die Wahrheit. Die Wahrheit ist natürlich, dass Trump immer recht hat. Trump hat jüngst sogar verkündet, dass es «richtig illegal» sei, ihn zu kritisieren.
Und vor allem: Wer im Team Trump sein will, muss sich Trump komplett hingeben. Es gibt keine halben Sachen, nur das totale Auflösen in der anonymen Masse des Trump-Kollektivs.
Viele prominente Trump-Anhänger sind nicht beiläufig Trump-Fans. Ihre gesamte Identität besteht aus der Verehrung des Oberhauptes, aus der totalen und unbedingten Hingebung für ihren Guru.
Einige Leute, die diese Kritik lesen, dürften spätestens jetzt so richtig wütend sein. Für all jene, denen es so geht, habe ich schlechte Nachrichten: Du bist wahrscheinlich auch Teil der Sekte.
Das Kirk-Attentat als Beschleuniger des Irrsinns
Nicht falsch verstehen: Wenn ich das Trump-Phänomen als Sekte beschreibe, werfe ich nicht alle konservativen Menschen in diesen Topf. Überhaupt nicht.
Zu einer gesunden Demokratie gehören ideologische Differenzen und hitzige Debatten. Das ist normal.
Trump und die politische (Un-)Kultur, für die er steht, sind aber fundamental abnormal. Trump und MAGA haben keine wirkliche Ideologie; sie haben nur Unterwürfigkeit gegenüber einem Populisten, der mit Demagogie und Krawall von seiner Korrumpiertheit ablenkt. Mit grossem Erfolg.
Das jüngste Ablenkungsmanöver ist die politische Ausschlachtung der schrecklichen Ermordung des Aktivisten Charlie Kirk. Das Trump-Regime hat aus dem Attentat ein spektakuläres Ablenkungsmanöver gemacht.
Christlicher Nationalismus ist als nächste Eskalationsstufe
Trump und seine Gehilfen liessen sich auf Charlie Kirks Gedenkveranstaltung als Krieger feiern, die von Gott auserwählt wurden, um gegen die Dunkelheit, gegen das Böse zu kämpfen.
Christlicher Nationalismus ist die nächste Eskalationsstufe im autoritären Umbau der USA durch das Trump-Regime. Krawall in maximaler Lautstärke, eine Ekstase des Irrsinns, mit der die Bevölkerung abgelenkt wird, während die politische Elite weiter Macht konsolidiert.
Und ich befürchte, es wird nie mehr besser.
Nicht nur in den USA. Politik mutiert auf der ganzen Welt zu Trumpismus. Nicht sofort über Nacht, aber mit stetem Schritt.
Die verschärfte Aufmerksamkeitsökonomie in Zeiten von Social Media begünstigt schrille, irrationale Stimmen. Etablierte politische Parteien desillusionieren mit ihrer Ideenlosigkeit und ihrer Unfähigkeit, die grossen gesellschaftlichen Herausforderungen von heute anzugehen, Scharen an Wählern. Die Rahmenbedingungen für Trumpismus werden immer besser.
Politik war immer schon irrational. Immer schon hatten politische Präferenzen viel damit zu tun, zu welchem ideologischen Team wir gehören wollen.
Und immer schon haben wir irrationalerweise die Dinge, die unser Team macht, weniger streng beurteilt als die Dinge, die die gegnerischen Teams machen.

Demokratische Schutzwälle gebrochen
Die Steigerung dieser Dynamik ins Sektenhafte, in die bedingungslose Unterwürfigkeit und Gehorsamkeit auch dann, wenn zentrale Werte verletzt werden, ist neu. Oder vielleicht nicht komplett neu.
In der Geschichte gab es immer wieder Phasen des sektenhaften politischen Fanatismus – Hitler, Stalin, Mao, Pol Pot, um nur einige bekannte Figuren des Fanatismus zu nennen.
Neu ist aber, dass wir solchen politischen Fanatismus nun auch in liberalen Demokratien haben. Das ist alarmierend. Denn der Sinn von Demokratie ist es eigentlich, vor solchem Fanatismus zu schützen und Politik einigermassen rational zu halten.
Das funktioniert eindeutig nicht mehr. Die demokratischen Schutzwälle sind gebrochen. Die Sektenführer haben gewonnen.
Zum Autor: Marko Kovic ist Gesellschaftskritiker. Er interessiert sich für gesellschaftlichen Wandel und die Frage, ob wir noch zu retten sind. Er lebt in Uzwil SG.