Coronavirus: Religions-Professor über erneuten Mitgliederschwund
Das Coronavirus stellt die Kirche vor neue Herausforderungen, bietet aber auch Chancen. Der Umgang mit der Krise war dabei bisher nicht ideal, so ein Experte.

Das Wichtigste in Kürze
- Religiöse Veranstaltungen sind von den Bundesrats-Massnahmen ausgenommen.
- Trotzdem sind 2020 erneut viele Mitglieder aus der Kirche ausgetreten.
- Ein Theologie-Professor
Skandale in der Kirche werden oft als Begründung angegeben, weshalb die Menschen aus dieser austreten. 2020 gab es zwar keine grossen Skandale in der Kirche. Trotzdem geht der Mitgliederschwund unvermindert weiter.
Liegt es also am Coronavirus? Welche Rolle spielt die Pandemie für die Kirchen?
«Die Religion ist für viele Menschen eine Stütze in der Krise.» Das sagt Professor Daniel Bogner, Dozent für Allgemeine Moraltheologie und Theologische Ethik an der Universität Fribourg.

Eine Stütze in der Coronavirus-Pandemie haben viele momentan bitter nötig. Durch Lockdowns und Mutationen entsteht eine grosse Unsicherheit, psychische und physische Probleme haben markant zugenommen.
Zu fest auf Hygiene-Massnahmen fokussiert
Hier sollte die Kirche ansetzen, so Bogner. «Die Kirchen sollten viel deutlicher und unverzagter die Botschaft von einem Gott verkünden, der rettet und Gerechtigkeit für alle verheisst.»
Doch dies ist nicht geschehen. Stattdessen bilanziert Bogner: «Die Kirchen sind in der ersten Zeit der Pandemie vor allem damit aufgefallen, dass sie peinlich genaue Hygiene-Vorschriften erlassen haben.»

Das sei natürlich nicht falsch, erklärt Bogner weiter. Aber das Problem sei ein anderes: «Wo ist die Kirche als wortmächtige Anwältin einer Lebensbotschaft gegen die lebenseinschränkende Realität der Pandemie?» Das sei die grosse Baustelle der Religion, und da sei die Stimme der Kirche oft zu zaghaft gewesen.
Die Folge: «Menschen, die bislang noch irgendwie kirchlich gebunden waren, aber in innerer Distanz zu ihr standen, werden sich wohl endgültig abwenden.»
Die Corona-Krise wirke wie ein Katalysator für die «Selbstklärungsprozesse vieler Menschen», die schon lange mit der Gestalt und Form der Kirche hadern. Der Abstand zum kirchlichen Routinebetrieb verstärke dies.
Sonntagsgottesdienst ein Prä-Corona-Relikt?
Das Coronavirus wird die Religion und deren Ausübung nachhaltig verändern, ist Bogner überzeugt. Gehören die sonntäglichen Gottesdienstbesuche also der Vergangenheit an?

«Die Hoffnung, nach der sozialen Corona-Eiszeit würden die Gotteshäuser wieder dankbar mit neuem Leben erfüllt werden, bleibt wohl realitätsferne Romantik.» Stattdessen würden viele nun merken, dass mit der Distanz gar nicht so viel gefehlt habe, glaubt der Religions-Professor.
Viele könnten realisieren, dass sie dem Kirchenbetrieb mit seiner «knirschend-elenden Reformverzögerung» und den «geschönten Selbstbildern» fernbleiben können.
Coronavirus als Erneuerungsimpuls
Sieht die Zukunft für die Kirchen also schwarz aus? Nicht unbedingt. Denn dafür sieht Bogner neue Möglichkeiten, die sich mit dem Coronavirus eröffnen. Man könne etwa digitale Gottesdienste abhalten.

Und: Die Krise ermögliche es der Kirche, von unten zu wachsen. Will heissen: Es gibt Menschen, die viele kreative Initiativen im Lockdown erlebt haben. «Sie haben gemerkt, dass sie selbst etwas tun können, um ihre Religion aktiv zu erleben.»
Das werde mitgenommen in den Religionsbetrieb nach der Krise. «Und das ist sehr gut so. Es ist ein Erneuerungsimpuls für die Kirchen», sieht Bogner das Positive in der Krise.