Die Proteste gegen Massnahmen und Impfungen zur Eindämmung der Pandemie wirken immer aggressiver. Denn hier demonstrieren nicht nur besorgte Bürger.
Teilnehmer einer Demonstration gegen die Corona-Massnahmen tragen Deutschland-Fahnen. Foto: Stefan Sauer/dpa
Teilnehmer einer Demonstration gegen die Corona-Massnahmen tragen Deutschland-Fahnen. Foto: Stefan Sauer/dpa - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Erst ein Fackelmarsch vor dem Haus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping, dann Morddrohungen gegen den Ministerpräsidenten des Landes, Michael Kretschmer:

Politiker, Polizei und Verfassungsschützer sind zunehmend alarmiert über radikale Proteste gegen die Corona-Politik. Und auch ein Stück weit ratlos. Was steckt dahinter? Und was ist zu tun? Die wichtigsten Antworten:

Sind das nicht einfach legitime Meinungsäusserungen?

An Corona-Demonstrationen und «Spaziergängen» der vergangenen Tage nahmen viele «ganz normale Bürger» teil, auch Kinder. Teils wurden die Proteste angemeldet und Auflagen eingehalten, wie etwa im thüringischen Saalfeld am Mittwoch. Teils werden Verbote und Regeln aber auch gezielt missachtet. In Sachsen etwa dürfen sich derzeit öffentlich nur zehn Menschen versammeln und dann auch nicht vom Fleck bewegen. Trotzdem zogen vielerorts Hunderte durch die Strassen, auch ohne Masken und Abstände. Nach dem bedrohlich inszenierten Aufmarsch vor ihrem Haus vorige Woche betonte die SPD-Politikerin Köpping, das seien keine Proteste, sondern Einschüchterungsversuche von Rechtsextremisten und Verschwörungsgläubigen.

Wer organisiert die Proteste in den ostdeutschen Ländern?

Behörden und Experten gehen davon aus, dass rechtsextreme Gruppen mitmischen, die seit Jahren auch gegen Migration und gegen staatliche Strukturen mobilisieren. Sachsens Verfassungsschutzpräsident Dirk-Martin Christian erklärte Ende November: «Auch unter dem Einfluss von Rechtsextremisten, sogenannten Reichsbürgern und Antisemiten sind die Anti-Corona-Proteste im Verlauf der Pandemie immer aggressiver geworden.» Er verwies auf Gewalt gegen Polizisten, Journalisten und Verbalattacken gegen Kretschmer. Als «Mobilisierungsmaschine» benannte der Verfassungsschützer die rechtsextremistische Gruppierung Freie Sachsen, gegründet im Februar 2021. Sie stehe für eine zunehmende Gewaltbereitschaft der Proteste in Sachsen. Ihr Einfluss reicht aber über Landesgrenzen hinaus, wie der Verfassungsschutz Thüringens feststellte.

Ist der Corona-Protest ein ostdeutsches Phänomen?

Nein. Lautstarke Kundgebungen gibt es auch im Westen, zuletzt etwa in Würzburg und Schweinfurt. Vergangenen Freitag zogen vier Impfgegner vor die Kölner Privatwohnung des SPD-Gesundheitspolitikers Karl Lauterbach. Die Polizei beendete die unangemeldete Versammlung. Inzwischen ist Lauterbach Gesundheitsminister. In einem Bericht des nordrhein-westfälischen Innenministeriums war kürzlich von einer zunehmenden «Emotionalisierung und Radikalisierung» durch die jüngsten Corona-Beschlüsse von Bund und Ländern die Rede. Diese bedeuten vor allem Einschränkungen für nicht-immunisierte Menschen.

Sind die Proteste im Westen anders?

Zum Teil. Der Anteil der Rechtsextremen ist im Westen geringer. Vor allem zu Beginn der Pandemie lag der Schwerpunkt der Querdenker-Proteste in Baden-Württemberg. Corona-Leugner und Impfskeptiker kommen hier oft aus esoterischen und pietistischen Milieus. «Es ist eine Bewegung, die teilweise eher von links kommt, sich aber nach rechts bewegt», heisst es in der aktuellen Studie «Quellen des Querdenkertums». Einige prominente Verbreiter von Verschwörungserzählungen zum Coronavirus haben sich ins Ausland abgesetzt, andere aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Ein möglicher Grund: Der Verfassungsschutz schaut seit einigen Monaten genauer auf dieses Milieu, wenn staatliche Institutionen «in sicherheitsgefährdender Art und Weise delegitimiert und verächtlich gemacht» werden.

Wie vernetzen sich die Corona-Kritiker?

Der Kanal der Wahl ist oft Telegram. Der Messenger-Dienst hat den Ruf, jegliche Inhalte ohne Moderation zuzulassen. Neben individueller Kommunikation sind auch öffentliche Kanäle möglich. Laut einer Untersuchung des Institute for Strategic Dialogue finden sich auf Telegram besonders viele rechtsextremistische und rechtspopulistische Kanäle. Zugleich fehlen Meldewege und in Deutschland greifbare Verantwortliche, um gegen rechtswidrige Inhalte vorzugehen. Die Amadeu Antonio Stiftung weist darauf hin, dass die Freien Sachsen zur Mobilisierung für Corona-Proteste einen Telegram-Channel mit mehr als 100 000 Nutzern hätten. Auch die von ZDF-Reportern entdeckten Chats mit Todesdrohungen gegen Ministerpräsident Kretschmer liefen nach Angaben des Senders über Telegram.

Wie lässt sich Telegram einhegen?

Die Regulierung des Anbieters fiel bisher schwer. Das Bundesamt für Justiz vertritt die Auffassung, Telegram sei kein reiner Messengerdienst, sondern ein soziales Netzwerk. Das bedeutet, dass Telegram sich an die Vorgaben des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes halten muss, so wie etwa Facebook und Twitter. Dazu gehört, die Einrichtung eines leicht zugänglichen Meldeweges für strafbare Inhalte und die Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten für Ersuchen deutscher Gerichte. Deshalb laufen zwei Bussgeldverfahren gegen das Unternehmen mit Sitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten. «Die Vorgaben des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes sind verbindlich - und das Gesetz kennt keine pauschale Ausnahme für Messenger-Dienste», sagte der neue Justizminister Marco Buschmann (FDP) dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Welche Rolle spielt die AfD bei den Corona-Protesten?

Die AfD wird von anderen Parteien für die aufgeheizte Stimmung mitverantwortlich gemacht. Die Rechtspopulisten sind strikt gegen eine Impfpflicht. Ihre Nachwuchsorganisation Junge Alternative will am Wochenende unter dem Motto «Impfstreik» in Berlin demonstrieren. Der AfD-Bundesvorstand scheut sich jedoch vor zentralen Kundgebungen gegen die Corona-Politik. Zu gross ist die Sorge, dass sich Verwirrte oder Rec tsextremisten einreihen oder dass es zu Gewalt kommen könnte. Das käme zur Unzeit vor der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln, ob der Verfassungsschutz die gesamte Partei als rechtsextremistischen Verdachtsfall beobachten dürfte. Die AfD plant nach Angaben aus Parteikreisen nun eine Kampagne gegen die Spaltung der Gesellschaft - Geimpfte gegen Ungeimpfte.

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