Kurz vor dem Ende der Brexit-Übergangsphase sind die Verhandlungen fast auf Eis gelegt. Schwere Vorwürfe und wenig Fortschritte stehen auf der Tagesordnung.
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Am 31. Dezember 2020 wurde der EU-Austritt des Vereinigten Königreichs (Brexit) vollzogen. (Symbolbild) - dpa
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Das Wichtigste in Kürze

  • Die Verhandlungen zwischen der EU und Grossbritannien fast zu einem stillstand gekommen.
  • Beide Seiten machen sich schwere Vorwürfe.
  • Aus Verhandlungskreisen hiess es, die Atmosphäre sei teils unterkühlt gewesen.

Nur vier Monate vor dem Ende der Brexit-Übergangsphase sind die Verhandlungen über ein Anschlussabkommen fast zum Stillstand gekommen.

Die Chefunterhändler der EU und Grossbritanniens zeigten sich nach Abschluss der siebten Verhandlungsrunde am Freitag in Brüssel tief enttäuscht. Sie machten sich gegenseitig schwere Vorwürfe. Die nächste Runde soll in der zweiten Septemberwoche in London stattfinden.

Gegenseitige Vorwürfe

«Ich verstehe einfach nicht, warum wir wertvolle Zeit verschwenden», sagte der EU-Chefunterhändler Michel Barnier. Es gelte nach wie vor, was er bereits Ende Juli gesagt habe: Es sei unwahrscheinlich, dass ein Abkommen rechtzeitig – also bis Ende Oktober – zustande komme.

Es habe sich diese Woche zu oft so angefühlt, als würde man rückwärts- statt vorwärtsgehen, sagte der Franzose. Die Übergangsphase läuft bis Ende des Jahres. Ein Deal müsste aber zuvor vom Europaparlament, von den EU-Staaten und dem britischen Parlament ratifiziert werden.

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David Frost, Brexit-Berater in Grossbritannien, verlässt im August 2019 den EU-Hauptsitz in Brüssel nach einem Treffen mit weiteren Verhandlungsführern. - dpa

Der britische Chef-Unterhändler David Frost warf hingegen der Europäischen Union vor, die Verhandlungen zu erschweren. «Wir hatten nützliche Diskussionen in dieser Woche, aber es gab nur wenig Fortschritte», teilte Frost mit. Eine Einigung hält der Brite zwar noch für möglich, «aber es wird nicht leicht zu erreichen sein».

Die EU poche darauf, dass man sich erst in strittigen Bereichen einigen müsse, bevor man über andere Felder verhandeln könne. «Das macht Fortschritte unnötig schwierig», sagte Frost. Es gebe noch andere Fragen, die gelöst werden müssten. «Die Zeit ist für beide Seiten knapp.»

Aus Verhandlungskreisen hiess es, die Atmosphäre bei den Gesprächen sei teils unterkühlt gewesen.

Harter wirtschaftlicher Bruch droht

Grossbritannien hat die Staatengemeinschaft nach fast einem halben Jahrhundert Ende Januar verlassen. Dennoch gehört das Land noch bis Jahresende zum EU-Binnenmarkt und zur Zollunion. Kommt kein Anschlussabkommen zustande, droht ein harter wirtschaftlicher Bruch mit Zöllen und Handelshemmnissen. Angesichts des Verhandlungsstandes sei man sehr besorgt, betonte Barnier.

Die aktuelle Verhandlungsrunde hatten er und Frost am Dienstag mit ihren Teams begonnen. Die EU bietet Grossbritannien ein Abkommen an. Mit dem könnten britische Waren auch künftig ohne Zölle und Mengenbegrenzung in den Binnenmarkt exportiert werden.

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Stephen Barclay (2.v.l), Brexit-Minister für Grossbritannien, sitzt zusammen mit David Frost (l), Brexit-Berater von Grossbritannien, und Tim Barrow, britischen EU-Botschafter, bei einem Treffen mit dem EU-Chefunterhändler Barnier am Hauptsitz der Europäischen Kommission in Brüssel. - dpa

Dafür verlangt Brüssel jedoch gleich hohe Umwelt- und Sozialstandards sowie einheitliche Regeln zur Wirtschaftsförderung, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Das Stichwort heisst «Level Playing Field». Grossbritannien lehnt die EU-Forderungen hierzu ab.

Er sei enttäuscht, besorgt und auch ein wenig überrascht, sagte Barnier nach den jüngsten Verhandlungen. Denn der britische Premierminister Boris Johnson habe im Juli selbst betont, dass er die Arbeit im Sommer vorantreiben wolle.

Zu viele Streitpunkte

Stattdessen habe das britische Verhandlungsteam keinen Willen gezeigt, sich bei den für die EU entscheidenden Themen zu bewegen. Dabei hätten sich die Prioritäten seit 2017 nicht geändert. Ausführlich ging Barnier darauf ein, dass die Standards für britische Unternehmen in der EU nicht abgeschwächt werden dürften.

Das «Level Playing Field» sei eine nicht verhandelbare Voraussetzung. Doch auch bei Themen wie der Fischerei und Strafverfolgung lägen die Positionen noch weit auseinander.

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Michel Barnier (r), Chefunterhändler der Europäischen Union für den Brexit, spricht mit David Frost, Europa-Berater des britischen Premierministers, während des Beginns der ersten Runde der Handelsgespräche zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich nach dem Brexit im EU-Hauptquartier. - dpa

Zugleich erkannte Barnier an, dass es zumindest bei einigen Themen Fortschritte gegeben habe. Er nannte etwa die Zusammenarbeit bei Energiefragen und den Kampf gegen Geldwäsche. Trotz der wenigen verbleibenden Zeit sei ein Abkommen noch möglich, sagte Barnier. Dazu müsse die britische Seite in der nächsten Verhandlungsrunde aber endlich konkrete und konstruktive Vorschläge vorlegen.

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