Der Ukraine-Krieg und die von Putin angeordnete Teil-Mobilmachung haben in Russland eine aufkommende psychische Krise der Bevölkerung verschärft.
Isoliert Ukraine Krieg
Russland ist international isoliert: Der Ukraine-Krieg macht offenbar vielen Russen psychisch zu schaffen. - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Mit dem Ukraine-Krieg hat Putin in Russland eine aufkommende psychische Krise verschärft.
  • Mehr und mehr Menschen müssen in dem Land auf Antidepressiva zurückgreifen.
  • Für viele Russen wird es jedoch immer schwieriger, die benötigten Medikamente zu erhalten.

In Russland gibt es keine offiziellen Daten zu Depressionsraten. Doch bei einer Umfrage der Moskauer Sechenov-Universität zu Beginn des Jahres gab jeder dritte Teilnehmer an, depressiv zu sein oder sich ängstlich zu fühlen. Diese Zahlen lagen damals etwa auf dem gleichen Niveau wie 2020 – also auf dem Höhepunkt der Pandemie.

Wichtiger Punkt: Die Umfrage wurde noch vor Putins Invasion in die Ukraine durchgeführt. Wie ein Bericht der «Moscow Times» nun zeigt, dürfte sich die aufkommende psychische Krise im Land wegen dem Ukraine-Krieg und der Teil-Mobilmachung nochmals verschärft haben.

Glauben Sie, dass der Ukraine-Krieg bald endet?

Die Zeitung beruft sich dabei auf Interviews mit Patienten und Experten und wiederholt eindrückliche Zahlen vom Oktober. So sollen Russens laut Daten einer Agentur für digitale Kennzeichnung in den ersten neun Monaten dieses Jahres 50 Prozent mehr Antidepressiva gekauft haben als im gleichen Zeitraum 2021.

Die klinische Psychologin Galina Laysheva urteilt: «Für einige Menschen war die Mobilisierung ein derartiger Schock, dass es ihren Geisteszustand erheblich veränderte. Viele erlebten neben dem Gefühl der Unwirklichkeit, starke Angstgefühle.» Während solche akuten Reaktionen zwar nicht lange anhalten, weist Laysheva darauf hin, dass sie oft durch langfristige Zustände wie chronische Angstzustände und Depressionen ersetzt werden.

«Seit Beginn von Ukraine-Krieg auf Antidepressiva angewiesen»

Marketingspezialistin Polina (35), die mit «MT» über ihre psychische Gesundheit sprach und um Anonymität bat, sagte, dass sie im Oktober medizinische Hilfe suchte. Ihr wurde demnach Cipralex in Kombination mit Xanax verschrieben, um ihr bei der Bewältigung von Angstzuständen und Panikattacken zu helfen.

«Meine soziale Blase ist ziemlich homogen – alle sind gegen den Ukraine-Krieg und alle haben Angst», sagte die junge Frau und fügte hinzu, dass sie viel Bekannte habe, die dieses Jahr mit der Einnahme von Antidepressiva begonnen hätten.

Ukraine-Krieg
Zahlreiche Russen nehmen seit Beginn des Ukraine-Krieges Antidepressiva ein. - Sina Schuldt/dpa

Auch Boris (33) hat Ende Februar zum ersten Mal in seinem Leben Antidepressiva eingenommen. Das war kurz nach dem Beginn vom Ukraine-Krieg. Der Chefingenieur eines Moskauer Bauunternehmen, der ebenfalls anonym bleiben möchte, hatte gemäss dem Bericht bereits eine schwere psychische Krise während der Pandemie, welche er aber ohne Tabletten überwinden konnte.

Dieses Mal stellte er aber fest, dass er alleine nicht zurechtkommen würde. «Sobald der Krieg begann, wurde mir klar, dass meine Familie auswandern müsste. Mir wurde klar, dass wir vielen Kämpfen gegenüberstehen werden. Wenn ich versucht hätte, alles zu lösen, ohne mich um mich selbst zu kümmern, wäre es schlimm ausgegangen.»

Immer mehr Russen haben Mühe ihre Medikamente zu besorgen

Laut dem russischen Medienunternehmen RBC, welches mit Psychologen und Organisationen für psychische Gesundheit gesprochen hat, ist das Gefühl, in einem Zustand der «Vorhölle» zu leben, eines der häufigsten Probleme, für das Russen Hilfe bei Therapeuten suchen.

Häufig scheinen die Spitzen in den Depressionsraten mit dramatischen Ereignissen im Verlauft vom Ukraine-Krieg zusammenzuhängen. So gaben die Russen etwa unmittelbar nach der Invasion im Februar viermal mehr als normal für Antidepressiva aus. Zudem stieg die Nachfrage nach psychologischen Hilfsdiensten nach der Ankündigung der Teil-Mobilmachung im September stark an.

Ukraine Krieg
Wladimir Putin lässt sich von seinen Freunden feiern, während die russische Bevölkerung unter dem Ukraine-Krieg leidet. - Keystone

Ein grosses Problem: Gleichzeitig mit dem Anstieg der Depressionsraten wird es für viele Russen wegen kriegsbedingten Lieferketten- und Logistikproblemen, internationalen Sanktionen und dem Rückzug grosser westlicher Pharmaunternehmen aus dem russischen Markt immer schwieriger, die benötigten Medikamente zu erhalten.

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