Al-Dschasiras Top-Reporter in Gaza getötet
Israel hat im Gazastreifen gezielt sechs Medienschaffende getötet, weil einer von ihnen ein Terrorist sein soll. Für das Vorgehen gibt es laute Kritik.

Das Wichtigste in Kürze
- Israel hat ein Presse-Zelt im Gazastreifen bombardiert und sechs Medienschaffende getötet.
- Einer der Reporter sei ein Terrorist, begründet das Land den Angriff.
- Journalistenvereinigungen kritisieren die erneute gezielte Tötung von Medienschaffenden.
Israels Militär hat bei einem Luftangriff im Gazastreifen nach Angaben des arabischen TV-Senders Al-Dschasira den Korrespondenten des Senders sowie fünf weitere Mitarbeiter getötet.
Anas al-Scharif und seine Kollegen seien bei einem gezielten Angriff auf ein Zelt für Journalisten in der Stadt Gaza im Norden des Gazastreifens ums Leben gekommen.
Grosse Menschenmengen säumten am Tag danach den letzten Weg der sechs Getöteten zum Scheich-Radwan-Friedhof in der Stadt Gaza, wie Al-Dschasira unter Berufung auf verifizierte Clips in den sozialen Medien berichtete. Freunde, Kollegen und Verwandte umarmten und trösteten einander. Ein Mann reckte eine Schutzweste mit der Aufschrift «Press» in die Höhe, während andere ihre Tränen wegwischten.
186 Medienmitarbeiter in Gaza getötet
Journalisten stehen immer wieder im Fadenkreuz israelischer Angriffe im Gazastreifen. Nach Angaben des Komitees zum Schutz von Journalisten (CPJ) wurden seit Beginn des Gaza-Kriegs 186 Medienmitarbeiter bei solchen Angriffen getötet. Allein der arabische Sender Al-Dschasira beklagte schon vor dem letzten Angriff den Tod von fünf Korrespondenten, Kameraleuten und Technikern.
Israels Militär bestätigte den Tod von al-Scharif. Der 28-Jährige habe sich als Al-Dschasira-Journalist ausgegeben, aber eine Terrorzelle der islamistischen Hamas angeführt, behauptete das Militär.

Es berief sich auf Informationen der Geheimdienste und im Gazastreifen gefundene Dokumente, die die militärische Zugehörigkeit al-Scharifs zur Hamas belegen sollen. Al-Scharif sei verantwortlich für die Durchführung von Raketenangriffen auf israelische Zivilisten und Soldaten gewesen. Zu den anderen vier Opfern des Angriffs äusserte sich das Militär nicht.
Wenig Transparenz bei Anschuldigungen
Die israelischen Angaben sind nicht überprüfbar. Die angeblichen Geheimdienstinformationen sind der Öffentlichkeit nicht zugänglich, ihr Kontext nicht transparent. Auch in früheren Fällen begründete die Armee die Tötung palästinensischer Journalisten mit ihrer angeblichen Zugehörigkeit zur Hamas.
«Israel hat eine langwährende, dokumentierte Praxis, Journalisten als Terroristen zu beschuldigen, ohne glaubhafte Beweise vorzulegen», schrieb das Journalistenschutzkomitee CPJ in einer Erklärung, in der es die Tötung der fünf Al-Dschasira-Mitarbeiter scharf verurteilte.

Al-Scharif war von Israel offenbar schon länger zum Abschuss freigegeben. Avichai Adraee, der israelische Militärsprecher für die Kommunikation in arabischer Sprache, hatte im Juli mehrere Videos auf sozialen Plattformen gepostet, in denen er den Fernsehreporter unter anderem als «Sprachrohr für intellektuellen Terrorismus» beschimpfte.
«Ich lebe mit dem Gefühl, dass ich jederzeit bombardiert und zum Märtyrer gemacht werden kann», vertraute der so Bezeichnete damals dem CPJ an. Dieses forderte, dass ihn die internationale Gemeinschaft schütze.
DJV: «Jagd auf Medienschaffende nicht hinnehmbar»
Der Deutsche Journalistenverband (DJV) verurteilte den israelischen Angriff. Selbst falls al-Sharif ein Terrorist gewesen sein sollte, rechtfertige das nicht den Luftangriff auf ein Journalistenzelt, sagte der DJV-Bundesvorsitzende Mika Beuster. Dass auf Grundlage von nicht überprüfbaren Vorwürfen gezielt Jagd auf Medienschaffende gemacht werde, sei nicht hinnehmbar, fügte er hinzu.
Der Auslandspresseverband in Israel (FPA) zeigte sich empört über die Tötung al-Sharifs und seiner Kollegen. «In den letzten 22 Monaten hat das israelische Militär palästinensische Journalisten wiederholt als Militante abgestempelt, oft ohne nachprüfbare Evidenz, und sie damit zu Angriffszielen gemacht», schrieb der Verband in einer Stellungnahme.
Die FPA kritisierte darüber hinaus, dass ausländischen Journalisten der Zutritt zum Gazastreifen seit Kriegsbeginn weitgehend verboten ist. Die Berichterstattung liegt deshalb allein in Händen lokaler Reporter und Reporterinnen, die damit ihr Leben riskieren. Israel wiederum stellt die Berichterstattung aus dem Gazastreifen als einseitig und durch die Hamas manipuliert dar.
Al-Dschasiras Gesicht im Gazastreifen
Al-Scharif war einer der bekanntesten Reporter des arabischsprachigen Senders im Gazastreifen. Er berichtete seit Ausbruch des Gaza-Kriegs am 7. Oktober 2023 über die Geschehnisse vor Ort. Besonders in der arabischen Welt galt der 28-Jährige als prominentes Gesicht der Berichterstattung aus Gaza.
Der in Katar ansässige Sender verurteilte den Angriff als einen weiteren «vorsätzlich geplanten Angriff auf die Pressefreiheit.» Al-Scharif und seine Kollegen seien unter den letzten öffentlichen Stimmen aus Gaza gewesen.
Al-Dschasira ist einer der führenden Nachrichtensender in der arabischen Welt und erreicht dort ein Millionenpublikum. Israel blockiert immer wieder die Arbeit von Journalisten des Senders und hat bereits deren Büro im Westjordanland geschlossen. Israel wirft Al-Dschasira unter anderem vor, «Sprachrohr» der Hamas und der proiranischen Hisbollah zu sein – ein Vorwurf, den der Sender zurückweist. Reporter ohne Grenzen wirft hingegen Israel vor, eine «Strategie des Medienblackouts» zu verfolgen.