Coronavirus: Deutsche setzen auf «stille» Intensivstationen

Für am Coronavirus erkrankte Patienten kann der Aufenthalt auf der Intensivstation enorm belastend sein. In Deutschland setzen Spitäler nun auf Stille.

In Deutschland wird vermehrt auf «stille» Intensivstationen gesetzt. Für am Coronavirus erkrankte Patienten, die beatmet werden müssen, ist die Belastung enorm. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Vermehrt werden in deutschen Spitälern «stille» Intensivstationen eingeführt.
  • Das grelle Licht, ständige Piepsen und die schrillen Alarmtöne können sehr belastend sein.
  • Geräuschlose Intensivstationen sollen dazu beitragen, Traumata möglichst zu vermeiden.

Eine Infektion mit dem Coronavirus kann psychisch sehr belastend sein – insbesondere für Menschen, die auf der Intensivstation landen. Ein solcher Spitalaufenthalt kann zu Ängsten, Depressionen und Traumata führen. In Deutschland werden nun spezielle Massnahmen eingeführt, die dem vorbeugen wollen.

So setzen in unserem Nachbarland immer mehr Spitäler auf «stille» Intensivstationen. Denn inzwischen weiss man, wie «unglaublich belastend» der Faktor Lärm sein kann. Das sagt der deutsche Allgemeinmediziner Jochen Gensichen im Interview mit dem «Spiegel».

Piepsen, Alarme und medizinische Geräte: Die Intensivstation ist kein einladender Ort. - Keystone

«Dort sind die Warnsignale der Intensivgeräte leise gestellt. Die Mitarbeiter hören diese nur in der Zentrale und über ihre Headsets.»

Alarmtöne und Dauerpiepsen können traumatisieren

Gensichen erklärt: «Wir alle können uns glücklich schätzen, dass die Intensivmedizin Leben rettet. Dazu setzen wir die stärksten medizinischen Mittel und Medikamente ein, die wir haben. Auch wenn sie teilweise extrem belastend sind.»

Doch für die Patienten bedeuten nicht nur Medikamente grosse Strapazen: Auch die Umgebung auf der Intensivstation kann traumatisierend wirken. «Grelles Licht, das Dauerpiepsen der medizinischen Geräte, die schrillen Alarmtöne.» Als selbst lebensbedrohlich erkrankte Person bekomme man es zudem mit, wenn sich die Situation anderer Patienten dramatisch verschlechtert.

Coronavirus: Das Risiko eines schweren Verlaufs ist bei Männern höher als bei Frauen. - Keystone

Das Sterben auf einer Intensivstation sei auch mit innerlicher Aufregung im medizinischen Team verbunden. «Auch wenn dort ruhig, sicher und professionell gehandelt wird», ergänzt der Hausarzt.

Am Coronavirus Erkrankte haben grosses Trauma-Risiko

Patienten, die beatmet wurden, leiden laut «Spiegel» später besonders häufig unter einem Trauma. Das Coronavirus ist eine Lungenkrankheit – Patienten, die auf der Intensivstation landen, müssen immer wieder auch beatmet werden.

Gensichen erklärt, warum eine künstliche Beatmung eine derartige psychische Belastung darstellt: «In der Aufwachsituation nehmen diese Patienten schon sehr viele Eindrücke auf, können sie aber nicht einordnen.»

Als Patient auf der Intensivstation bekommt man es unter Umständen mit, wenn es der Zimmernachbarin immer schlechter geht. (Symbolbild) - Keystone

Dabei entstehe oft eine Fehlverknüpfung zwischen der aktuellen Wahrnehmung und der langfristigen emotionalen Einordnung. «Das kann dann zu so einer posttraumatischen Belastungsstörung führen, die oft erst nach drei bis sechs Monaten auftritt.»

Manche Covid-Patienten würden berichten, dass sich ihre Aufwachsituation immer wieder innerlich wiederhole. Das sei bei längerer Behandlungsdauer häufiger der Fall. Und am Coronavirus Erkrankte werden oft länger beatmet als andere Intensivpatienten.

Schweizer Spitäler kennen keine «stillen» Intensivstationen

In der Schweiz sieht die Trauma-Prävention anders aus. Auf Anfrage von Nau.ch erklärt das Berner Inselspital, keine «stillen» Intensivstationen zu kennen. Doch welche Massnahmen gibt es sonst, um die psychische Belastung der Patienten möglichst tief zu halten?

«Wir aktivieren nur die nötigen Alarme und halten die Lautstärke so tief wie möglich», so Sprecher Adrian Grob. Zudem gebe es Seelsorge-Teams und einen Raum der Stille für sterbende Patienten und ihre Angehörigen.

Hiesige Spitäler waren in den letzten Jahren stark ausgelastet. Das bekommen nun auch die Krankenkassen zu spüren. - Keystone

Auch im Wallis setzt man nicht auf komplette Geräuschlosigkeit. Eine ganz stille Intensivstation könne eher bedrohlich wirken, so Hugo Burgener, Direktor des Spitalzentrums Oberwallis.

Es sei aber seit Langem bekannt, dass Lärm die Rekonvaleszenz des intensivmedizinischen Patienten erschweren könne. «Nicht umfassend geklärt scheint allerdings, welche Form von Lärm unterbunden werden sollte», so der Arzt.

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«Sehr störend scheinen aber insbesondere stimmliche Geräusche – sei es bei Telefonaten oder Visiten – zu wirken», ergänzt er. Deswegen werde im Spital auf Zurückhaltung bei lauter Kommunikation geachtet.

In anderen Bereichen ist man ebenfalls um Ruhe bemüht: «Auf der Intensivstation in Visp sind nur die Alarme für vitale Bedrohung des Patienten eingeschaltet.» Man gebe sich Mühe, ein gutes Mittelmass zu finden, ohne die sicherheitsrelevanten Alarme ausklammern zu müssen.