So viele Soldaten hat die Schweizer Armee wirklich
Zu viele gehen zum Zivilschutz: Fehlt der Armee wirklich Personal und wie viel davon hat es tatsächlich?

Das Wichtigste in Kürze
- Der Armee fehle Personal, kritisieren VBS und Armeeverbände.
- Zu viele wechseln zum Zivildienst, deshalb brauche es wieder die Gewissensprüfung.
- Doch wie viele Personen die Armee tatsächlich aufbieten könnte, ist umstritten.
In der nächste Woche beginnenden Sommersession kommt der Zivildienst unter Druck – denn die Armee ist unter Druck. Schon seit Jahren stören sich die Bürgerlichen daran, dass immer mehr Dienstpflichtige sich in den Zivilschutz verabschieden. Die Einsatzfähigkeit der Armee gefährdet, weil sich auch während und nach der RS noch Soldaten für den Zivildienst entschieden.
So schreibt es die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats in einem Vorstoss. Statt 70 Prozent Militärdienstleistende pro Jahrgang reduziere sich der Anteil bis zum 30. Altersjahr auf noch 35 Prozent. Mit dem Vorstoss verlangt die Kommission darum die Wiedereinführung der Gewissensprüfung, in der dritten Sessionswoche wird im Nationalrat darüber beraten.
«Eine Brigade an Wehrleuten» in Zivilschutz statt Armee
Die Gewissensprüfung gab es in der Schweiz bis 2009: Militärdiensttaugliche mussten schriftlich und in einer mündlichen Anhörung glaubhaft darlegen, warum sie aus Gewissensgründen keinen Militärdienst leisten konnten. Damals wurden pro Jahr rund 1500 Männer zum Zivildienst zugelassen – heute wählen knapp 7000 Personen jährlich diesen Weg.

Stefan Holenstein, Präsident des Verbandes Militärischer Gesellschaften Schweiz, sagt darum gegenüber SRF: «Das ist eine Brigade an Wehrleuten, die wir Jahr für Jahr verlieren.» Sein Verband befürwortet deshalb die Wiedereinführung der Gewissensprüfung als zusätzliche Hürde.
Fehlen der Armee Soldaten – oder hat sie zu viele?
Gesetzlich ist an sich genau festgelegt, wie viele Angehörige der Armee (AdA) es braucht: Einen Sollbestand von 100'000 und, weil bei einem Aufgebot nicht alle einrücken, einen Effektivbestand von 140'000. Das ist derzeit erfüllt.
Oder sogar übererfüllt, gemäss SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf: «Wir haben momentan einen gesetzwidrigen Überbestand beim Effektivbestand von 147’000 AdA seit der letzten Zählung.» Umgekehrt rechnet das VBS damit, dass diese Zahl 2028 und 2029 deutlich zurückgeht, weil dann jeweils zwei Jahrgänge entlassen werden. Dann sinkt nämlich die Dienstpflicht von zwölf auf zehn Jahre.
Reicht es dann nicht trotzdem noch, um genügend Soldaten aufbieten zu können? Seiler Graf wollte genau wissen, was alles zum Armeebestand gezählt werde, denn: «In den zahlreichen Interpellationen zum Thema überrascht der Bundesrat immer wieder mit neuen ‹Interpretationen›.»
Effektivbestand könnte auch über 170'000 Armeeangehörige betragen
Das sei ein durchschaubares Manöver, findet Seiler Graf, und folge dem berühmten Satz des 33. US-Präsidenten Harry S. Truman: «If you can’t convince them, confuse them» – wenn du sie nicht überzeugen kannst, verwirre sie.

Die SP-Sicherheitspolitikerin reichte deshalb eine weitere Interpellation ein und wollte unter anderem wissen: Sind es nicht sogar mehr als 170'000 AdAs, die zu einem Aktiv- oder Assistenzdienst aufgeboten werden könnten? Nämlich dann, wenn man auch Durchdiener und weitere Militärdienstpflichtige dazuzählt, die nicht mehr in Formationen eingeteilt sind. Das wäre im letzten Jahr ihrer Dienstpflicht der Fall.
Bundesrat: Soldaten «nur administrativ geführt»
Vor zwei Wochen hat der Bundesrat sehr ausführlich Stellung genommen, allerdings ohne konkrete Zahlen zu erwähnen. Er bestätigt: Rechtlich wäre es möglich, auch die von Priska Seiler Graf erwähnten Armeeangehörigen zu einem Assistenz- oder Aktivdienst aufzubieten.

Theoretisch also ja, aber: Nicht alle könnten gleichzeitig vollständig ausgerüstet, einsatzbezogen ausgebildet und untergebracht werden. Das gelte insbesondere für die Durchdiener, die nach vier Jahren ihre persönliche Ausrüstung abgeben. Drei weitere Jahre würden sie dann «in einem Personalgefäss nur noch administrativ geführt».
Ausserdem liege die Ausbildung dieser Militärdienstpflichtigen zwischen vier und sieben Jahre zurück. Alle theoretisch aufbietbaren Militärdienstpflichtigen aufzubieten, sei darum «nicht in jedem Fall zweckmässig». Was das aber zahlenmässig heisst, dazu macht der Bundesrat keine Angaben.
Seiler Graf kritisiert zu bequemen Bundesrat
Nationalrätin Seiler Graf gibt sich mit dieser Antwort nicht zufrieden. Schon im Vorstoss selbst äusserte sie Befremden, dass der Bundesrat auf «Bequemlichkeitsargumente» zurückgreife. Insbesondere angesichts der geopolitischen Entwicklung – auf die der Bundesrat selbst immer wieder hinweise.
Für die SP-Nationalrätin ist deshalb klar, wie sich das im Ernstfall abspielen würde: «Wenn abzusehen wäre, dass man Leute für den Assistenz- und Aktivdienst aufbieten müsste, wären die angeblichen Hürden durchaus zu bewältigen.»