Schweizer Israelis schreiben Cassis einen Brief – Kritik an Israel
Ignazio Cassis hat Post von 45 in der Schweiz lebenden israelischen Staatsbürgern erhalten. Sie hoffen, dass die Schweiz mehr gegen das Leid in Gaza tun kann.

Das Wichtigste in Kürze
- Eine Gruppe von in der Schweiz lebenden Israelis hat sich ans Aussendepartement gewandt.
- In einem Brief wird die Schweizer Regierung aufgefordert, mehr zu tun.
- Israels Regierung solle dazu bewogen werden, Gaza für humanitäre Hilfe zu öffnen.
Im Gazastreifen herrscht eine Hungersnot. Viele Menschen leiden an Mangelernährung – die WHO warnte kürzlich vor «alarmierenden Ausmassen» der Unterernährung.
Nun hat sich eine Gruppe von israelischen Expats in der Schweiz eingeschaltet. Letzte Woche schrieben die 45 israelischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger einen Brief an Aussenminister Ignazio Cassis, wie SRF berichtet.
Sie fordern die Schweizer Regierung dazu auf, «ihre diplomatischen Kanäle zu nutzen, um die israelische Regierung dazu zu bewegen, Gaza für die sofortige und uneingeschränkte Lieferung von Nahrungsmitteln und humanitärer Hilfe zu öffnen».
Den Brief schickten sie ab, bevor Israel am 27. Juli eine humanitäre Feuerpause in Kraft setzte und so erstmals seit Monaten grössere Hilfslieferungen in das umkämpfte Küstengebiet zuliess.
«Hoffe, Schweiz kann mehr tun»
Die in der Schweiz lebenden israelischen Staatsangehörigen schreiben, die Schweiz werde international für ihr humanitäres Engagement geschätzt. Somit sei sie in einer «einzigartigen Position, um weiteren zivilen Todesopfern vorzubeugen».
Die Israelis halten fest: Der Überfall der Hamas am 7. Oktober und die Gefangenschaft israelischer Geiseln seien für sie eine Quelle tiefen Schmerzes und Leids. Doch dieser Schmerz könne nicht die massenhafte Aushungerung von Zivilistinnen und Zivilisten rechtfertigen.

Galia Faingold, die an der ETH Zürich arbeitet, ist Mitinitiantin des Briefes. Sie hält es als Ausländerin zwar nicht für ihre Aufgabe, der Schweizer Regierung zu sagen, was sie zu tun hat. «Aber als Hüterin der Genfer Konventionen und als Land mit starkem diplomatischem Einfluss hoffe ich, dass die Schweiz mehr tun kann.»
Moralische Auseinandersetzung mit Krieg nimmt zu
Die aktuelle Situation sei «katastrophal», sagt Faingold zum Sender. Und zwar nicht nur für die Palästinenserinnen und Palästinenser, die mit einer humanitären Katastrophe konfrontiert seien.
«Sondern auch für die Israelis, weil sie tiefe moralische Narben in unserer Gesellschaft hinterlässt», so Faingold.
Inzwischen finde auch in Israel eine zunehmende moralische Auseinandersetzung mit dem Krieg statt, heisst es in dem Brief. Ab dem Bruch der Waffenruhe im März sei es schwieriger gewesen, den Krieg zu rechtfertigen.
Denn: «Der Krieg bringt keine Geiseln zurück. Er bringt keinen Frieden. Und er bringt definitiv keine Gerechtigkeit.»
Informationen besser zugänglich
Inbal Ben Ezer hat den Brief ebenfalls unterzeichnet. Sie erklärt, sie fühle sich als in der Schweiz lebende Israelin besonders verpflichtet, aktiv zu werden.
Denn viele Menschen in Israel würden gar nicht erfahren, was im Gazastreifen tatsächlich vor sich geht. In der Schweiz habe sie einen breiteren Zugang zu Informationen.
Yves Kugelmann, Chefredaktor der jüdischen Zeitung «Tachles», sagt zum Brief: Es sei nichts Neues, dass es aus der israelischen Gemeinschaft in der Schweiz kritische Stimmen gegenüber Israels Regierungen gebe.
Doch neu sei, dass diese Stimmen sich als Gruppe öffentlich politisch manifestieren.