Das Bundesamt für Sozialversicherungen hat seine Berechnungen für die AHV-Ausgaben korrigiert. Demnach sieht die Situation deutlich besser aus als angenommen.
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Rentner auf einer Parkbank. - dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Ausgaben für die AHV fallen deutlich tiefer aus als bisher angenommen.
  • Laut dem Bund hat man die Kosten für 2033 um rund 6 Prozent nach unten korrigiert.
  • Die Politik reagiert überrascht – und interpretiert die Korrektur unterschiedlich.
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Die AHV-Ausgaben dürften 2033 rund 4 Milliarden Franken oder rund 6 Prozent tiefer ausfallen als bisher berechnet. Das Bundesamt für Sozialversicherungen hat am Dienstag die AHV-Finanzperspektiven entsprechend korrigiert.

Bei Kontrollarbeiten habe man festgestellt, dass die AHV-Ausgaben langfristig unplausibel hoch erscheinen, teilte das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) vor den Medien in Bern mit. Der Grund dafür seien zwei fehlerhafte Formeln im Berechnungsprogramm. Das Umlagedefizit werde bis 2033 auf rund 4 Milliarden Franken ansteigen. Bisher ging man von über 7 Milliarden Franken aus.

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Das BSV hat nach eigenen Angaben umgehend zwei alternative Modelle zur Berechnung erstellt und zwei Forschungsinstitute damit beauftragt, bis Ende August je ein unabhängiges Modell zu entwickeln. Mit diesen könnten die neu berechneten Finanzperspektiven validiert und im September publiziert werden.

Baume-Schneider will Vorfall untersuchen

Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider hat nach der falschen Berechnung der AHV-Finanzperspektiven mit fehlerhaften Formeln die Eröffnung einer Administrativuntersuchung angeordnet. Diese soll klären, wie es zu diesem Fehler kommen konnte.

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Elisabeth Baume-Schneider. (Archivbild) - keystone

Mit der Durchführung sei die Zürcher Kanzlei Bratschi beauftragt worden, teilte das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) am Dienstag mit. Bratschi ist eine der grössten Anwaltskanzleien für Wirtschaftsrecht, Steuerrecht und öffentliches Recht in der Schweiz. Sie beschäftigt laut eigenen Angaben über hundert Rechtsanwälte.

Die Ergebnisse der Untersuchung sollen bis Ende Jahr vorliegen. Das EDI will gemeinsam mit dem Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) Massnahmen treffen, um die Zuverlässigkeit der Finanzperspektiven sicherzustellen. Genauere Angaben dazu machte das EDI nicht.

SP will neue Abstimmung über Frauen-Rentenalter

Nach Bekanntwerden der Rechenpanne bei den AHV-Finanzperspektiven hat die SP die Bürgerlichen aufgefordert, die «Abbaupläne bei den Renten endlich zu stoppen». Die finanzielle Lage der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) werde für die kommenden Jahre um mehrere Milliarden Franken besser prognostiziert als bisher angenommen.

«Die Pläne der Bürgerlichen, bei den Rentenleistungen zu kürzen und sogar das Rentenalter zu erhöhen, gehören damit definitiv vom Tisch», wurde SP-Co-Fraktionspräsidentin Samira Marti in einer Mitteilung vom Dienstag zitiert. Die SP werde sich gegen einen Abbau bei der Altersvorsorge wehren. Die Kaufkraft der Rentnerinnen und Rentner müsse geschützt werden.

Samira Marti AHV
Nationalrätin Samira Marti (SP/BL). - keystone

Die SP-Frauen fordern in einer Medienmitteilung zudem, dass die Abstimmung über die Erhöhung des Frauen-Rentenalters wiederholt werden soll. Im September 2022 hätten unter anderem die Finanzprognosen zu einer Mehrheit für die Erhöhung beigetragen. Da diese nun anders ausfallen, müsse man erneut an die Urne.

Die Grünen prüfen nach Bekanntwerden der Rechenpanne zur AHV-Finanzperspektive gar eine Beschwerde gegen die Abstimmung. Die Zahlen, mit denen der Bundesrat damals für eine Erhöhung des Frauen-Rentenalters gekämpft habe, seien infrage gestellt.

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund SGB hinterfragt das knappe Resultat von damals ebenfalls. Die Erhöhung des Frauen-Rentenalters von 64 auf 65 Jahre wurde bei einer Volksabstimmung im Jahr 2022 mit 50,5 Prozent Ja-Stimmen beschlossen. «Die Fehlschätzungen des Bundes stellen dieses Abstimmungsergebnis infrage», teilte der SGB am Dienstag mit.

FDP schiesst gegen SP-Bundesräte

Kritische Stimmen kommen auch von bürgerlicher Seite – wenn auch mit etwas anderen Forderungen. So spricht die FDP in einer Mitteilung von einem «Chaos im Innendepartement» und fordert eine Untersuchung der Geschäftsprüfungskommission GPK. Zudem müssen Pläne zur Erhöhung von Lohnbeiträgen und Mehrwertsteuern gestoppt werden.

Die Kritik richtet sich insbesondere auch an die beiden zuständigen (Ex-)SP-Bundesräte Alain Berset und Elisabeth Baume-Schneider. Das Bundesamt für Sozialversicherungen habe unter deren Leitung ein Fiasko angerichtet.

Weiter wird ein Aufräumen in anderen Bereichen der Sozialversicherungen gefordert. So sei eine dringende Überprüfung der Prognosen der Invalidenversicherung und bei den Ergänzungsleistungen angezeigt.

Andri Silberschmidt
Andri Silberschmidt ist FDP-Nationalrat. - keystone

Auch die Freisinnigen monieren einen Einfluss der falschen Zahlen auf Abstimmungen. Andri Silberschmidt schreibt auf X, dass das Büchlein zur Renteninitiative der Jungfreisinnigen somit komplett falsch gewesen sei.

Denn ein wichtiges Argument der Jungfreisinnigen lautete, dass man mit der Initiative die Finanzierung der AHV sichern könnte. Gegner hatten aber gesagt, dass das Begehren nicht ausreichen würde, um die Lücke zu schliessen. Da das Loch nun geringer zu sein scheint, hätte es aber wohl doch gereicht.

SVP-Aeschi lehnt Abstimmungswiederholung ab

SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi hat sich zur AHV-Rentenpanne besorgt geäussert. Er begrüsste die angekündigte Untersuchung durch Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider, lehnte jedoch Forderungen der Linken nach einer Wiederholung der Abstimmung über das Frauen-Rentenalter ab.

Der Zuger Nationalrat Aeschi teilte auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA mit, dass geklärt werden müsse, wer die Verantwortung in dieser Sache trage. Es sei problematisch, wenn vor wichtigen Abstimmungen falsche Zahlen kommuniziert würden. Eine Wiederholung der Abstimmung über das Frauen-Rentenalter lehnte Aeschi aber explizit ab.

Lex Ukraine
Thomas Aeschi ist Fraktionspräsident der SVP. - keystone

Der Schweizerische Arbeitgeberverband nimmt die AHV-Korrektur ebenfalls mit Überraschung zur Kenntnis. Zugleich betont er in einer Mitteilung, dass sich an der finanziellen Schieflage langfristig nichts ändere. Entsprechend brauche es trotzdem eine Reform der ersten Säule.

Die Mitte begrüsst die angekündigte Untersuchung und fordert Transparenz, schreibt sie in einer Mitteilung. Auch die CVP-Nachfolgerin betont jedoch, dass das Umlageergebnis ab 2026 negativ ausfallen werde. Entsprechend wolle man die AHV weiterhin auf ein solides Fundament stellen.

Rechenpanne für SP-Nationalrätin «erschreckend»

SP-Nationalrätin Sarah Wyss (BS) – zugleich auch Präsidentin der Finanzkommission – hielt die Rechenpanne der Bundesbehörden für «erschreckend». Die Prognosen seien nicht einfach aufgrund exogener Faktoren zu pessimistisch geschätzt worden, «sondern schlicht falsch berechnet worden».

Positiv hob Wyss das Eingeständnis des Fehlers durch die Behörden hervor, die transparente Kommunikation und die umgehende Korrektur. «Das ist auch die einzige Möglichkeit, das zerrüttete Vertrauen auf solide Zahlen wieder herzustellen», schrieb Wyss auf ihrer Website.

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