Linguisten von der Uni Zürich zeigen in sprachwissenschaftlichen Analysen, dass Corona-Debatten in den Online-Kommentarspalten hitzig und kontrovers sind.
Die emotional geführten Debatten um Masken seien aus sprachwissenschaftlicher Sicht nachvollziehbar, sagt ein Zürcher Sprachwissenschaftler. (Archivbild)
Die emotional geführten Debatten um Masken seien aus sprachwissenschaftlicher Sicht nachvollziehbar, sagt ein Zürcher Sprachwissenschaftler. (Archivbild) - sda - KEYSTONE/GAETAN BALLY
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Das Wichtigste in Kürze

  • Corona-Debatten in Kommentarspalten von Medien sind hitzig, kontrovers und diffamierend.
  • Linguisten von der Uni Zürich haben eine Sprachanalyse durchgeführt.
  • Dabei untersuchten die Wissenschaftler insgesamt über 840'000 Kommentare.

Corona-Debatten in den Online-Kommentarspalten von Medien sind hitzig, kontrovers und diffamierend. Das zeigen Linguisten von der Uni Zürich in sprachwissenschaftlichen Analysen - und enträtseln auch die Gründe für die emotional geführten Masken-Diskussionen.

Das Team um den Linguisten Noah Bubenhofer von der Universität Zürich interessiert sich, wie sich Diskussionen um die Corona-Medienberichterstattung aufladen. Seit Januar 2020 analysieren sie die Inhalte in den Kommentarspalten der Online-Plattformen von 20 Minuten, dem Schweizer Radio und Fernsehen (SRF), Blick sowie von nau.ch und watson.ch.

Inzwischen beinhaltet der Sprachschatz über 840'000 Kommentare mit insgesamt 30 Millionen Wörter. «Die Diskussionen sind hitzig, kontrovers und diffamierend», fasst Bubenhofer im Gespräch mit Keystone-SDA die bisherigen Erkenntnisse zusammen. Dies zeige sich beispielsweise in den über die letzten Monate häufig verwendeten Wörtern «bescheuert», «Schwachsinn», «Coronawahn», «Egomanen», «SVP-Bashing» oder den zahlreich gesetzten Ausrufezeichen.

Gesellschaftliche Unterschiede werden betont

Die Möglichkeit, «Daumen hoch» und «Daumen runter» zu verwenden, heize die Diskussionen zusätzlich an und spalte die Leserinnen und Leser in zwei Lager. Auch eine Abgrenzung über die häufig verwendeten Pronomen «wir», «die» und «ihr» sei zu beobachten, womit die gesellschaftlichen Unterschiede betont würden.

Mithilfe von künstlicher Intelligenz erstellt der Linguist sogenannte semantische Räume. Das sind Punktwolken, wobei jeder Punkt ein Wort darstellt. Je näher diese beieinanderliegen, desto ähnlicher sind die Kontexte, in denen die Wörter verwendet werden. So lassen sich Rückschlüsse ziehen, wie die Diskurse rund um das Coronavirus geführt werden.

So lassen sich wellenartige Veränderungen im Laufe der Pandemie feststellen, die jeweils vor dem teilweisen Lockdown im Frühjahr sowie im Sommer, als die Fallzahlen hinuntergingen, ihren Höhepunkt erreichten. In beiden Phasen kochten Diskussionen um Verschwörungstheorien hoch. Ebenfalls die Debatte darum, ob die Massnahmen, medialen Berichte und Warnungen von Expertinnen und Experten blosser Panikmache dienten, war wellenartig ein umstrittenes Thema.

Coronavirus gab Maske völlig neue Bedeutung

Zudem sind Impfdebatten im Zuge der ersten Impfstoff-Zulassungen wieder entfacht: Die einen sehen in den Vakzinen die Hoffnung auf ein Ende der Pandemie, die anderen sorgen sich um eine «Impfpflicht durch die Hintertür» oder die Gefahr, dass die Menschheit als «Versuchskaninchen» missbraucht wird.

Für die einen ist es selbstverständlich, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Für die anderen ist er das Symbol für Bevormundung. «Aus sprachwissenschaftlicher Sicht ist die emotionale Aufladung um Masken völlig nachvollziehbar», sagte Bubenhofer. Denn die Maske sei früher entweder positiv mit der unbeschwerten Fastnachtszeit oder aber negativ semantisiert worden, etwa mit Ausdrücken wie die «eiserne Maske» oder «Maske vom Gesicht reissen».

Dann kam Corona – und die Maske half auf einmal, sich selbst und andere zu schützen. «Die Menschen mussten sich an diese neue Bedeutung der Maske zuerst gewöhnen, was besonders bis im Sommer die Kommentarspalten mit hitzigen Diskussionen füllte», so der Linguist.

Sprachanalysen eignen sich, um Puls der Bevölkerung zu spüren

Zudem ist die Debatte über Masken neu hochgekocht, als auf einmal Schulkinder ins Visier der Behörden gerieten. «Ob Maskentragen für Kinder nun obligatorisch werden soll oder nicht, hat dem ganzen Thema nochmals eine ganz neue Perspektive gegeben», sagte Bubenhofer.

Ein Unterschied erkennt Bubenhofer auch in den Diskussionen um Politiker und Wissenschaftler. Demnach sind die Kommentare zu Politikern insgesamt persönlicher und angriffslustiger. Das manifestiert sich in Ausdrücken wie «Gesicht verlieren», «zurücktreten» oder «versagen». Geht es um Forschende laufen die Diskussionen weniger emotional: Wörter wie «Fakten», «Vertrauen» und «Vernunft» kommen dann häufig vor.

Sprachanalysen findet Bubenhofer gerade in Krisenzeiten wie der Corona-Pandemie äusserst hilfreich, um den Puls der Bevölkerung zu spüren. «Wenn Wissenschaftler herausfinden, dass Masken und Impfungen schützen, ist das Thema für sie gegessen», sagte er. Aber der gesellschaftliche Diskurs gehe dann erst los.

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