Männerbünde und überbordende Zoom-Reden: «Tamedia»-Journalistinnen klagen über Nachteile bei der Arbeit. Verschlimmert Corona die Geschlechter-Ungleichheit?
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«Tamedia»-Journalistinnen klagen über überbordende Männer-Redezeiten bei Sitzungen. Zu Zeiten des Coronavirus habe Zoom das Ganze noch verstärkt. (Symbolbild) - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • In einem offenen Brief beschweren sich Dutzende Frauen über Ungleichheit bei «Tamedia».
  • Sie sprechen von Männerbünden, sexistischen Bemerkungen und Lohnnachteilen.
  • Eine Soziologin erklärt, welche Nachteile Frauen in der Corona-Arbeitswelt haben.

Bei «Tamedia» herrsche eine von Männern geprägte Betriebskultur: Frauen würden «ausgebremst, zurechtgewiesen und schlechter entlohnt» als Männer. Das schrieben 78 Journalistinnen in einem Brief an Chefredaktion und Geschäftsleitung.

Die Rede ist gar von «überbordenden» männlichen Ansprachen – das Ganze hat in der Coronakrise offenbar neue Ausmasse angenommen. Im Brief heisst es: «Seit unsere Redaktionssitzungen aufgrund von Homeoffice per Video stattfinden, nimmt es mit den Männerbünden Überhand.»

Haben Sie schon Geschlechter-Ungleichheit am Arbeitsplatz erlebt?

Teilweise würden Frauen an Sitzungen nur «gefühlte» 10 Prozent der Redezeit einnehmen. Was steckt dahinter? Leiden Frauen wegen des Coronavirus vermehrt an Ungleichbehandlungen in der Arbeitswelt?

Online-Meetings erschweren Frauen den Job

Das ist von Branche zu Branche unterschiedlich, weiss Wirtschaftssoziologin Katja Rost von der Universität Zürich. Die Wissenschaftlerin räumt gegenüber Nau.ch aber ein, dass Frauen bei Online-Meetings tatsächlich gewisse Nachteile haben können.

«Das hat mit der unterschiedlichen Sozialisierung von Frauen und Männern zu tun. Frauen werden in unserer Gesellschaft wertgeschätzt, wenn sie zurückhaltend und emotional sind.» Bei Männern sei das anders: «Schon als Jungen wird ihnen beigebracht, dass sie sich durchsetzen müssen, dass sie selbstbewusst aufzutreten haben. Diese Verhaltensmuster werden bis ins Geschäftsleben weitergetragen», so Rost.

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Zwei Hände berühren sich im Büro. (Symbolbild) - Keystone

Das führe dazu, dass Männer eher den Wettbewerb suchen – eine Eigenschaft, die wesentlich ist, um in der Wirtschaftswelt voranzukommen. Selbstbewusste und dominante Frauen würden aber schnell als «Zicken» mit «Haaren auf den Zähnen» wahrgenommen.

«Online-Meetings verstärken dieses Phänomen: Viele Signale fallen online weg, vor allem Empathie. Man kann sich weniger in die anderen Personen einfühlen und kämpft folglich mit noch härteren Bandagen.»

Weiterbildungen wenig erfolgreich

Um das Problem zu lösen, helfen auch Weiterbildungen wenig: «Das zeigen die meisten Untersuchungen», erklärt Katja Rost. «Dort versucht man wegzubilden, was Männern und Frauen ihr ganzes Leben lang über ihre sozialen Rollen unbewusst in Kindergarten, Schule, Familie und Freundeskreis eingetrichtert wurde. Das ist natürlich schwierig.»

Auch gegenüber Frauenquoten ist die Soziologin eher verhalten: «Quoten sind – obwohl diese extrem wirksam sind – weder bei Männern noch bei Frauen beliebt. Wird eine Frau der Quote wegen eingestellt, kann es sich so anfühlen, als hätte sie den Job nur ihres Geschlechts wegen bekommen.»

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Katja Rost ist Soziologin an der Universität Zürich. - John Flury, UZH

Deshalb fordert Rost andere Ansätze: «Ein Vorschlag ist die fokussierte Los-Auswahl. Dabei wird eine Liste mit wenigen für den Job gleich qualifizierten Bewerberinnen und Bewerbern erstellt. Anschliessend wird unter ihnen ausgelost.»

Männer fordern Selbstreflexion – von Männern

Valentin Kilchmann vom Dachverband der Schweizer Männer- und Väterorganisationen Männer.ch lobt die «Tamedia»-Journalistinnen für ihren Mut. Gegenüber Nau.ch gibt er zu: «Männer nehmen sich oft selbstverständlicher Raum als Frauen, werden öfter gehört und eher als kompetent beurteilt.»

Die im Brief aufgeworfenen Kritikpunkte würden auf verbliebene männliche Privilegien hinweisen, die oft unsichtbar seien. «Dass der Protestbrief diese sichtbar macht und bei den betroffenen Personen hoffentlich einen Reflexionsprozess auslöst, begrüssen wir.»

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Die verbliebenen männlichen Privilegien seien oft unsichtbar, erklärt der Männerverband «Männer.ch». (Symbolbild) - Keystone

Überhaupt sieht Kilchmann «schonungslose Selbstreflexion» als Lösung. Er sagt: «Wir raten Männern in ähnlichen Situationen, sich selber zu fragen, ob sie vielleicht anderen Männern eher zuhören und ihrer Meinung mehr Gewicht beimessen als jener von Frauen.» Es gelte, das eigene Verhalten zu reflektieren, ohne gleich in Entschuldigungen zu flüchten.

Kritisch fügt er an: «Wir müssen uns bewusst machen, dass wir in einer Kultur leben, die solches Verhalten begünstigt. In Zukunft sollte man versuchen, das beschriebene Verhalten zu reduzieren, vielleicht mal nichts zu sagen und den Kolleginnen mehr Raum zu geben.»

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