Bei den Wahlen in Genf am Sonntag hat die neue Partei von Ex-Staatsrat Pierre Maudet für die grosse Überraschung gesorgt.
Pierre Maudet
Pierre Maudet verlässt das Berufungsgericht in Genf. Seine Anwälte fordern einen Freispruch für den ehemaligen Staatsrat. - sda - KEYSTONE/SALVATORE DI NOLFI
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Das Wichtigste in Kürze

  • Bei den Wahlen in Genf können die Bürgerlichen ihre Mehrheit im Parlament verteidigen.
  • Die neue Partei von Ex-Staatsrat Pierre Maudet holte auf Anhieb 10 Sitze.
  • Maudet selbst schnitt auch bei den Wahlen für die Kantonsregierung gut ab.

Der fulminante Einzug dieser neuen Bewegung in den Grossen Rat könnte in Verbindung mit dem Vormarsch des MCG (Mouvement citoyens genevois) allerdings dazu führen, dass die Mehrheiten im Kantonsparlament künftig noch stärker schwanken werden.

Maudets Gruppierung «Libertés et justice sociale» (Freiheit und soziale Gerechtigkeit) eroberte gemäss dem endgültigen Ergebnis auf Anhieb zehn der 100 Sitze im Parlament. Das MCG, die sich weder als links noch als rechts deklariert, kam auf 14 Sitze (+3). Der zweite grosse Gewinner der Wahlen war die SVP mit 12 Sitzen (+4) – ein Rekord seit ihrem Einzug in die Genfer Legislative im Jahr 2001.

Die FDP bleibt mit 22 Sitzen zwar die stärkste Partei im Kanton Genf. Sie verlor aber sechs Sitze und erzielte damit ihr schlechtestes Ergebnis seit dem Zusammenschluss der liberalen und radikalen Parteien im Jahr 2011. Die Mitte fiel um drei Sitze auf neun Sitze zurück und lag damit nur knapp über der Wahlhürde von sieben Prozent Stimmenanteil.

SP gewann einen Sitz, Grüne konnten Sitze verteidigen

Bei den Linken gewann die SP einen Sitz, während die Grünen ihre Sitze verteidigen konnten. Die Sozialdemokraten kommen damit neu auf 18 Sitze, die Grünen behalten ihre 15 Sitze. Wie erwartet wurde die extreme Linke, die sich gespalten hatte, aus dem Grossen Rat geworfen, wo sie 9 Abgeordnete gestellt hatte. Ensemble à Gauche erhielt 3,55 Prozent der Stimmen und die Liste d'Union populaire 3,05 Prozent.

Die rechte Mehrheit im Grossen Rat vergrösserte sich somit von 59 auf 67 Abgeordnete, sofern man MCG und Maudets Bewegung Libertés et justice sociale dazu zählt. In der vorangegangenen Legislaturperiode schwankten die Mehrheiten im Grossen Rat allerdings je nach Positionierung des MCG und Mitte.

Die Grünliberalen verfehlten mit einem Stimmenanteil von 6,62 Prozent das Quorum. Die neuen Rechtsparteien landeten weit abgeschlagen auf den hintersten Plätzen CIVIS, die Liste des ehemaligen CVP-Staatsrats Luc Barthassat, erhielt 1,09 Prozent der Stimmen.

Die Gruppierung Elan radical, die eigentlich zur Unterstützung von Maudet gegründet – vom ehemaligen Staatsrat jedoch nicht unterstützt worden war, erhielt 0,31 Prozent der Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei 37,14 Prozent.

Keine Entscheidung bei der Kantonsregierung

Beim Kampf um die sieben Plätze in der Kantonsregierung fällt die Entscheidung im zweiten Wahlgang am 30. April. Keine Kandidatin und kein Kandidat erreichte am Sonntag das absolute Mehr.

Die FDP-Politikerin Fontanet lag gemäss dem Endergebnis mit 49'218 Stimmen klar an der spitze. Sie verpasste die absolute Mehrheit lediglich um 729 Stimmen. Mit 38’232 Stimmen folgte der sozialdemokratische Staatsrat Thierry Apothéloz auf Platz 2. Ebenfalls gute Chancen auf eine dritte Amtszeit hat der Grüne Staatsrat Antonio Hodgers (35’490 Stimmen).

Ihm dicht auf den Fersen war die Freisinnige Anne Hiltpold (35’147 Stimmen), die vom guten Ergebnis ihrer Parteikollegin profitierte. Wirtschaftsministerin Fabienne Fischer (Grüne) legte gegen Ende der Stimmenauszählung zu und belegte mit 31’403 Stimmen den fünften Platz. Damit überholte sie Maudet, dessen Nachfolge sie 2021 nach einer Ersatzwahl angetreten hatte.

Maudet überrascht nach Verurteilung

Wie sich der ehemalige Staatsrat sich im ersten Wahlgang schlagen würde, war eine der grossen Unbekannten. Maudet schaffte es auf einen respektablen sechsten Platz (31’315 Stimmen) und wahrte sich damit seine Chancen für den zweiten Wahlgang.

Der Ex-Magistrat zeigte sich erfreut über sein persönliches Abschneiden. «Dieses Ergebnis ist eine Form der Rehabilitation, aber auch ein Impuls für Genf», betonte er.

Der 45-Jährige war Ende Oktober 2020 nach einer Affäre um eine Luxusreise nach Abu Dhabi 2015 aus dem Staatsrat zurückgetreten. Laut einem Urteil des Bundesgerichts von Ende Oktober 2022 hatte sich Maudet bei dieser Reise und dem Besuch des Formel-1-Grand-Prix der Vorteilsannahme schuldig gemacht.

Knapp hinter ihm belegte die Sozialdemokratin Carole-Anne Kast den siebten Platz (31’289 Stimmen). Sie könnte im zweiten Wahlgang im Falle eines grossen Rechtsbündnisses die Wahl verpassen.

SVP ruft Bürgerliche zur Vereinigung auf

Die durch ihren Zuwachs im Grossen Rat gestärkte SVP rief zur Vereinigung der Bürgerlichen auf, damit einer ihrer Kandidaten gewählt wird. Die Nationalrätin Céline Amaudruz und Nationalrat Yves Nidegger schlossen nicht aus, dass sie im zweiten Wahlgang antreten werden.

Es bleibt jedoch abzuwarten, wie sich Die Mitte verhalten wird, die eine Annäherung an die SVP stets abgelehnt hat. Ihre beiden Kandidaten Delphine Bachmann und Xavier Magnin lagen auf dem neunten beziehungsweise zehnten Platz.

Für eine Überraschung sorgen könnte das rechtspopulistische MCG. Die Gruppierung, deren Erfolg einst auf ihrer Anti-Grenzgänger-Position gründete und die als totgesagt galt, erlebte am Sonntag einen Aufschwung. Ihr Kandidat Philippe Morel lag an achter Stelle.

Zurzeit setzt sich siebenköpfige Staatsrat aus zwei SP-Vertretern, zwei Grünen und je einem Mitglied von FDP, Mitte und MCG zusammen.

Maudet nutzte sein Netzwerk geschickt für Wahlkampagne

Politologen sehen den Grund für den Erfolg der neuen Partei Pierre Maudets bei den Genfer Wahlen in dessen Kampagne. Der frühere Staatsrat sei gut vernetzt und für die Stimmenden ein bekanntes Gesicht. «Bekanntheit ist extrem wichtig», sagte die Politologin Cloé Jans vom Forschungsinstitut GFS Bern am Montag in der Sendung «Tagesgespräch» von Radio SRF.

Zudem habe sich zuvor in Frankreich gezeigt, dass eine bekannte Figur quasi aus dem Stand eine neue Bewegung aufbauen könne. Emmanuel Macron könne in dieser Hinsicht als Vorbild für das Vorgehen Maudets gelten.

Maudets neue Liste «Freiheit und soziale Gerechtigkeit» hatte am Sonntag auf Anhieb zehn Sitze im Genfer Kantonsparlament gewonnen. bei den Wahlen in die Regierung klassierte sich der frühere FDP-Staatsrat im ersten Wahlgang auf Rang sechs.

Die Bereitschaft, Politikern Fehler zu verzeihen, sei in der Bevölkerung grösser als in den Medien, so Jans. Dies habe sich bereits gezeigt, nachdem Bundesrat Alain Berset während eines Flugs im Privatflugzeug von der französischen Luftwaffe zur Landung gezwungen worden sei.

Maudets Kampage sei «unter dem Radar geflogen», sagte Pascal Sciarini, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Genf, der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Maudet habe sich gezielt an kleine Geschäftsleute und Handwerker und gegen die etablierten politischen Kräfte gewandt.

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