Terror

Nach dem Terror: Was tun in Europa?

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Deutschland,

In den vergangenen Wochen haben mutmassliche Islamisten in Deutschland, Frankreich und Österreich Mordanschläge verübt. Nun beraten die drei Länder über gemeinsame Mittel gegen Hass und Gewalt.

Nach den blutigen Anschlägen in Europa beraten Österreichs Bundeskanzler Kurz (l) und Frankreichs Präsident Macron gemeinsam mit Kanzlerin Merkel und der EU-Spitze in einer Videokonferenz. Foto: Dirk Waem/BELGA/dpa/Archiv
Nach den blutigen Anschlägen in Europa beraten Österreichs Bundeskanzler Kurz (l) und Frankreichs Präsident Macron gemeinsam mit Kanzlerin Merkel und der EU-Spitze in einer Videokonferenz. Foto: Dirk Waem/BELGA/dpa/Archiv - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Berlin/Paris/Brüssel (dpa) - Trotz Terrorgefahr sollen die Grenzen innerhalb Europas möglichst offen bleiben - stattdessen sollen Ein- und Ausreise an den Aussengrenzen stärker kontrolliert werden.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) berät heute darüber mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, dem österreichischen Kanzler Sebastian Kurz und der EU-Spitze in einer Videokonferenz.

«Wir müssen uns nicht auf mehr Kontrollen einstellen», sagte Kanzlerin Angela Merkel nach einer Videokonferenz mit europäischen Amtskollegen, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron sowie den EU-Spitzen Ursula von der Leyen und Charles Michel.

Aufsehen erregte vorab ein österreichischer Medienbericht über ein angebliches Verbot der sicheren Verschlüsselung von Nachrichten auf Kanälen wie Whatsapp. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft hatte im Auftrag der EU-Staaten einen Resolutionsentwurf zum Umgang mit Verschlüsselung ausgearbeitet, wie das Bundesinnenministerium bestätigte.

Vielmehr gehe es darum, dass «wir auf der Aussengrenzenseite mehr machen müssen». Nach den blutigen Anschlägen in Paris, Nizza, Wien und Dresden sollte bei den Gesprächen am Dienstag an einer gemeinsamen Initiative gegen islamistischen Terror gearbeitet werden. Merkel sprach von Anschlägen «auf unsere freie Gesellschaft, auf unsere Art zu leben».

Ziel sei jedoch zunächst nur ein «dauerhafter Dialog mit der Industrie» über Lösungsvorschläge, die «einen möglichst geringen Eingriff in die Verschlüsselungssysteme darstellen». Der Resolutionsentwurf enthalte keine Lösungsvorschläge oder Forderungen nach Schwächung von Verschlüsselungssystemen. Das vom ORF veröffentlichte Papier ist allerdings sehr vage formuliert und geht nicht im Detail darauf ein, wie Sicherheitsbehörden verschlüsselte Mitteilungen dechiffrieren können sollen. Ausserdem geht das Papier nicht auf die Frage ein, wie man mit Anbietern von verschlüsselten Messengerdiensten wie Telegram umgehen will, die eine Kooperation mit staatlichen Stellen ablehnen.

Fast alle Teilnehmer betonten die Notwendigkeit einer Reform des eigentlich kontrollfreien Schengen-Raums, dem 26 europäische Staaten angehören. Der Schutz der Aussengrenzen müsse verstärkt werden, sagte etwa Macron. Er schlug den Bogen zur Migrationspolitik und forderte, einen Missbrauch des Asylrechts zu bekämpfen.

Hinzu kommt, dass es sich bei dem Papier lediglich um den Entwurf einer Resolution handelt. Sollten die EU-Staaten dem Papier zustimmen, müsste die EU-Kommission ein entsprechendes Gesetz vorschlagen, ehe EU-Staaten und Europaparlament darüber verhandeln könnten.

Dies sei für «Kämpfer des Friedens» bestimmt: «Es geht nicht darum, das Asylrecht einzuschränken oder zu streichen, aber es muss richtig angewendet werden.» Kommissionschefin von der Leyen sagte: «Unsere Europäische Union ist ein einzigartiger Raum der Freiheit. Aber diese Freiheit können wir nur verteidigen, wenn es auch Sicherheit gibt.»

Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) verlangte mit drastischen Worten mehr Ermittlerbefugnisse. «Die Sicherheitsbehörden müssen schnellstmöglich alle verfügbaren Mittel an die Hand bekommen, um menschliche Sprengsätze rechtzeitig zu entschärfen», sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Das im Kabinett beschlossene Verfassungsschutzgesetz müsse schnell in den Bundestag, «damit unsere Ermittler diese verschlüsselte Kommunikation auswerten können».

Merkel stellte klar, dass es dabei nicht um neue Grenzkontrollen gehe. Vielmehr gebe es auch ohne Kontrollen sehr gute polizeiliche Möglichkeiten, im grenznahen Raum zu agieren, etwa mit der Schleierfahndung. Es könne nicht sein, dass der gesamte Schengenraum ein kontrollfreier Raum sei.

«Die islamistischen Anschläge und Morde in Dresden, Nizza und Wien rufen uns leider wieder ins Gedächtnis, wie angespannt die Sicherheitslage ist», sagte Brinkhaus. Derzeit zählten die deutschen Nachrichtendienste rund 620 islamistische Gefährder. «Das ist erschreckend, und das ist nichts, was wir einfach hinnehmen dürfen.» Als Gefährder bezeichnen die Behörden Menschen, denen sie politisch motivierte Gewalttaten bis hin zu einem Terroranschlag zutrauen.

Zwischen Deutschland und Österreich gebe es seit geraumer Zeit Kontrollregelungen, zudem könnten vorübergehend solche Regelungen eingeführt werden. Ganz wesentlich gehe es um den Schutz der Aussengrenzen. Der niederländische Premier sagte jedoch auch: «Um ehrlich zu sein, ich bin besorgt über Schengen.» Ein kontrollfreies Europa könne man nur bewahren, wenn es mehr Kontrollen an den Aussengrenzen gebe. Es sei entscheidend, zu wissen, wer ein- und ausreist.

Die FDP-Europapolitikerin Nicola Beer warnte vor schnellen Rezepten gegen den Terror und zählte dazu auch die Debatte über das mögliche Verschlüsselungsverbot. «Die Massnahme wäre ein Irrtum», erklärte die Vizepräsidentin des Europaparlaments der Deutschen Presse-Agentur. «Die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ist in einer digitalen Welt Kern geschützter Kommunikation zwischen Bürgern, die wir nicht leichtfertig aufbrechen dürfen.» Terroristen würden sich nach einem Verbot andere Wege suchen, etwa getarnt über Videospiele.

Von der Leyen kündigte in dem Zusammenhang an, dass ihre Behörde im Mai 2021 eine Strategie für eine entsprechende Schengen-Reform vorlegen werde. Zugleich betonte sie, dass man schon vor der Radikalisierung möglicher Straftäter aktiv werden müsse. Dies sei die «beste Waffe» gegen Extremismus. Ihre Behörde werde Ende des Monats einen Aktionsplan für Integration vorlegen.

Beer forderte stattdessen einen besser abgestimmten Zugriff der Fahnder auf Daten der Polizeibehörde Europol, eine besser ausgestattete Polizei und Justiz sowie ein konsequentes Vorgehen gegen die ausländische Finanzierung «religiös getarnter extremistischer Aktivitäten». Muslimische Religionslehrer seien in Europa auszubilden. Extremistisch auffällige Personen müssten erfasst und abgeschoben werden, forderte Beer.

Auch der Kampf gegen im Internet verbreiteten Hass müsse verstärkt werden, betonten Merkel und die anderen Spitzenpolitiker. Noch in diesem Jahr sollten Verhandlungen zwischen den EU-Staaten und dem Europaparlament abgeschlossen werden, die eine schnelle Löschpflicht für terroristische Inhalte aus dem Netz vorsehen. Zudem will die EU-Kommission Anfang Dezember ein Gesetzespaket vorschlagen, das Internetplattformen bei illegalen oder schädlichen Inhalten stärker in die Pflicht nehme, sagte von der Leyen. Dabei gelte: Je grösser die Plattform, desto mehr Verantwortung.

In Dresden hatte am 4. Oktober ein als Gefährder eingestufter Syrer mit einem Messer einen Mann tödlich und einen weiteren Mann schwer verletzt. In Paris wurde ebenfalls im Oktober ein Lehrer von einem mutmasslichen Islamisten enthauptet, in Nizza drei Menschen von einem weiteren Gewalttäter in einer Kirche getötet. In Wien erschoss vor einer Woche ein Anhänger der Terrororganisation Islamischer Staat vier Menschen und verletzte mehr als 20 weitere. Nach den Terrortaten wurde der Ruf nach engerer Zusammenarbeit in Europa wieder laut.

Der Ruf nach einer verstärkten Zusammenarbeit in Europa war nach mehreren Anschlägen innerhalb der vergangenen Wochen laut geworden. In Dresden hatte am 4. Oktober ein als Gefährder eingestufter Syrer mit einem Messer einen Mann tödlich und einen weiteren Mann schwer verletzt. In Paris wurde ebenfalls im Oktober ein Lehrer von einem mutmasslichen Islamisten enthauptet, in Nizza drei Menschen von einem weiteren Gewalttäter in einer Kirche getötet. In Wien erschoss vor einer Woche ein Anhänger der Terrororganisation Islamischer Staat vier Menschen und verletzte mehr als 20 weitere.

Kanzler Kurz nannte bei einem Auftritt mit EU-Ratschef Michel am Montag drei Punkte: «ein robusteres Vorgehen» gegen die Tausende Terrorkämpfer, die zum Beispiel in Syrien gekämpft hätten und dann nach Europa zurückgekehrt seien; einen abgestimmten Kampf gegen den politischen Islam, der die ideologische Basis des Terrorismus sei; und einen «ordentlichen Schutz der europäischen Aussengrenzen».

Österreichs Kanzler Kurz legte am Dienstag einen Schwerpunkt auf ein strikteres Vorgehen gegen aus dem Ausland zurückgekehrte radikale Islamisten. Tausende «Foreign Terrorist Fighters» in Europa hätten in Syrien oder dem Irak gekämpft oder die Ausreise dorthin versucht. Die Polizei brauche mehr Befugnisse im Umgang mit ihnen.

Ratschef Michel brachte ein europäisches Institut zur Ausbildung von islamischen Predigern ins Gespräch. Europa müsse hart durchgreifen, um die Ideologie zu bekämpfen, die Hass und gewaltsamen Extremismus fördere, sagte Michel. In Deutschland berät am Dienstag auch die Deutsche Islam Konferenz, wer in deutschen Moscheen in welcher Sprache predigen soll. Eröffnet wird die Videokonferenz von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU).

«Viele von denen sind im Gefängnis, einige sind schon freigelassen und die traurige Wahrheit ist, die Masse derer, die im Gefängnis ist, wird in den nächsten Jahren freigelassen werden», sagte Kurz. «Das sind tickende Zeitbomben und wenn wir unser aller Freiheit schützen wollen, dann müssen wir die Freiheit dieser Menschen einschränken». Allerdings hatten die österreichischen Sicherheitsbehörden nach dem Anschlag in Wien bei der Einschätzung der Gefährlichkeit des späteren Attentäters bereits selbst Fehler eingeräumt.

Frankreichs Präsident Macron hat bereits angekündigt, die französischen Grenzen besser zu schützen. Er fordert auch eine Neubewertung des Schengen-Raums, in dem es normalerweise keine Grenzkontrollen gibt. Macron empfängt Kurz am Dienstag zu einem Arbeitsessen, bevor sich beide mit Merkel, Michel und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (um 15.00 Uhr) per Video zusammenschalten. Anschliessend ist eine gemeinsame Pressekonferenz (16.00 Uhr) geplant.

Die Terrorbekämpfung soll auch bei der Videokonferenz der EU-Innenminister an diesem Freitag sowie beim EU-Gipfel im Dezember vorangetrieben werden.

Das Thema Terrorbekämpfung soll im EU-Innenministerrat an diesem Freitag vorangetrieben werden. Auch die nächste Videoschalte der EU-Staats- und Regierungschefs kommende Woche soll sich damit befassen.

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