Die Bilder der geimpften Senioren in Grossbritannien gehen um die Welt. Doch was führt zur Bereitschaft, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen?
Coronavirus - Grossbritannien
Grossbritannien begann am 8. Dezember bereits damit, die Bevölkerung gegen das Coronavirus zu impfen. - dpa
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Das Wichtigste in Kürze

  • Herwig Kollaritsch ist Mitglied des österreichischen nationalen Impfgremiums.
  • In seiner wissenschaftlichen Karriere hat er über 400 akademische Arbeiten verfasst.
  • In seinem neuen Buch bespricht er die aktuelle Situation zu den Corona-Impfstoffen.

Nau.ch: In Ihrem neuen Buch argumentieren Sie, dass die Impfung gegen das Coronavirus für nicht-Risikopersonen eine ethisch-moralische Entscheidung ist. Wie muss man das verstehen?

Herwig Kollaritsch: Wir wissen, dass unter-35-Jährige eine sehr geringe Covid-19-Sterblichkeitsrate haben. In Österreich gibt es in dieser Altersgruppe rund einen Toten pro Million Einwohner in einem Jahr. Wenn jemand unter 35 sagt, für ihn sei das Risiko überschaubar, kann ich dem nicht widersprechen.

Wenn es uns aber gelingen soll, das Virus aus der Gesellschaft zurückzudrängen, müssen wir alle zusammenarbeiten. Das bedeutet, für einen jüngeren Menschen zählt weniger die Verhinderung einer schweren Erkrankung. Aber ein geimpfter junger Mensch sorgt dafür, dass Personen, die aus irgendwelchen Gründen nicht geimpft werden können, von ihm nichts zu befürchten haben. Hier sollten wir eine kollektive Verantwortung zeigen.

Wann werden Sie sich impfen lassen, Herr Kollaritsch? - Nau.ch

Coronavirus: «Herdenimmunität wäre das Sahnehäubchen»

Nau.ch: Gleichzeitig erklären Sie, dass wir auch mit der Impfung keine Herdenimmunität erreichen. Das klingt nach einem Widerspruch.

Herwig Kollaritsch: Das ist es nicht. Das Erreichen einer Herdenimmunität durch den Impfstoff wäre sozusagen das Sahnehäubchen.

In erster Linie ist eine Impfung dafür da, eine Person vor einer Erkrankung zu schützen. Die FSME-Impfung schützt beispielsweise vor einer FSME-Erkrankung. Aber sie wird niemals die Erkrankung aus unseren Breiten vertreiben, weil sie in Tieren ein Reservoir hat. Trotzdem wird man der Impfung nicht nachsagen, dass sie sinnlos ist.

Wenn eine Impfung zusätzlich die epidemiologische Ausbreitung einer Krankheit unterbinden kann, haben wir gewonnen. Ein Beispiel dafür ist die Masernimpfung. Vorausgesetzt, es lassen sich genügend Leute impfen, lässt sich eine Krankheit so eliminieren.

Virus Outbreak Britain
«Bill» William Shakespeare (81) erhielt als weltweit zweite Person den zugelassenen Impfstoff gegen das Coronavirus von Pfizer-Biontech. - AP

Nau.ch: Denken Sie, dass die Impfung dennoch bewirken kann, dass wir einen Teil der Massnahmen im Kampf gegen das Coronavirus abbauen können?

Herwig Kollaritsch: Ja. Momentan steht uns keine Alternative zu den Massnahmen des vergangenen Jahres zur Verfügung: Aufsperren – zusperren – wieder aufsperren – und hoffen, dass wir die Sache damit einigermassen in den Griff bekommen. Das funktioniert mehr schlecht als recht.

Die einzige Möglichkeit, dass sich eine Risikoperson ohne Angst vor einer schweren Erkrankung frei bewegen kann, ist die Impfung. Dazu gibt es derzeit keine Alternative.

Ich bin 65 und damit Teil der Risikogruppe. Für mich bedeutet die Impfung gegen das Coronavirus, dass ich mich freier bewegen kann. Ich brauche mich nicht mehr vor meinem möglicherweise infizierten Gegenüber zu fürchten, kann mich wieder unbeschwerter in grösseren Gruppen bewegen. Weil ich zumindest weiss, dass ich an dieser Infektion nicht schwer erkranken kann.

Hoch-Risikogruppe zuerst

Herwig Kollaritsch über den Zeitplan für die Corona-Impfungen. - Nau.ch

Nau.ch: Die grösste Sorge sind noch nicht kalkulierbaren Langzeitschäden.

Herwig Kollaritsch: Egal, welcher der rund 25 Impfstoffe in den letzten 30 Jahren zugelassen wurde: Bei keinem der Impfstoffe war zum Zeitpunkt der Zulassung klar, ob es nicht irgendwelche seltenen Langzeitwirkungen geben könnte.

Wir müssen immer damit rechnen, dass wir erst nach der Zulassung statistisch belastbare Daten über extrem seltene Nebenwirkungen bekommen. Deswegen gibt es bei Impfstoffen auch nur befristete Zulassungen. Bis diese endet, haben wir dann das Material, um seltene Nebenwirkungen zu quantifizieren.

Nau.ch: Das hilft Personen, die von seltenen Nebenwirkungen betroffen sind, aber nicht.

Herwig Kollaritsch: Egal, welche medizinische Massnahme anschauen: Jede hat ein Restrisiko.

Nehmen wir an, Sie erleiden beim Sport einen Meniskusschaden. Entweder, Sie lernen, damit zu leben und haben dafür Knieschmerzen. Oder sie lassen das operativ reparieren. Dann sind Sie die Schmerzen los – aber Sie setzen sich bei Operation und Narkose einem gesundheitlichen Risiko aus.

Die Frage ist, wann Sie bereit sind, dieses Risiko auf sich zu nehmen. Ein nicht-Corona-Infizierter hat bei der Impf-Entscheidung anders als der Kniepatient keinen akuten Leidensdruck. Das ist natürlich ein grosser Unterschied.

Aber mittlerweile verursacht die Pandemie auch eine gesellschaftliche Last. Das bereitet nicht unbedingt Schmerzen, aber einen wesentlichen Komfortverlust im täglichen Leben. Auch das kann eine Motivation sein, sich impfen zu lassen.

Coronavirus Impfung Interview Kollaritsch
Univ. Prof. Dr. Herwig Kollaritsch hat sich auf Reisemedizin, Impfwesen, Epidemiologie und Mikrobiologie spezialisiert. - zVg

Über das Buch: In «Pro & Contra Corona-Impfung» diskutiert Herwig Kollaritsch im Gespräch mit Silvia Jelincic das Für und Wider der neuen Impfstoffe gegen das Coronavirus. Das Buch erscheint am Samstag 12. Dezember im «edition a»-Verlag.

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