Die US-Bundesstaaten dürfen seit Freitag über ein Abtreibungsverbot entscheiden. Gewisse Staaten haben auf dem Papier damit strengere Gesetze als die Taliban.
Abtreibungsverbot
Bewaffnete Taliban in Kabul, Afghanistan. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Der oberste Gerichtshof der USA hat am Freitag das Recht auf Abtreibung gekippt.
  • Die Entscheidung sorgte auf dem ganzen Globus für Empörung.
  • Damit haben sogar die Taliban ein lascheres Abtreibungsgesetz als Teile der USA.
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Am Freitag hat der Supreme Court, der Oberste Gerichtshof der USA, das Recht auf Abtreibung aufgehoben. Damit ist es nun den einzelnen Bundesstaaten freigestellt, Abtreibungen zu erlauben, sie einzuschränken oder gänzlich zu verbieten.

Fast 50 Jahre liberalisierte das wegweisende Urteil im Fall Roe v. Wade die Abtreibungsfrage landesweit. Es hat Abtreibungen bis zur Lebensfähigkeit des Fötus, also etwa bis zur 24. Schwangerschaftswoche, ermöglicht.

Supreme Court Abortion
In mehreren US-Städten kam es am Wochenende zu Protesten gegen das Abtreibungsverbot. - Keystone

In neun konservativ dominierten Bundesstaaten gilt das Abtreibungsverbot bereits. Schlussendlich dürften etwas mehr als die Hälfte der 50 Bundesstaaten Schwangerschaftsabbrüche für illegal erklären. Das Gerichtsurteil hat für unzählige wütende Reaktionen auf der Strasse gesorgt.

Einige Staaten wollen gar Pille strafbar machen

Aktivistinnen erklären im Netz empört, dass die Regeln in den betroffenen Staaten gar strenger sind als die der islamistischen Taliban. Und dem ist tatsächlich so – zumindest auf dem Papier.

Islamwissenschaftler Reinhard Schulze von der Universität Bern erklärt auf Anfrage von Nau.ch: «In Afghanistan gab es seit 1976 eine Abtreibungsbestimmung im Strafgesetzbuch. Darin heisst es, dass Abtreibungen illegal sind, es sei denn, das Leben der Mutter ist in Gefahr oder das Leben des Babys ist gefährdet, was als schwere Behinderung oder geringe Lebensqualität des Babys interpretiert wird.»

Reinhard Schulze
Reinhard Schulze vom Institut für Islamwissenschaft und Neuere Orientalische Philologie der Universität Bern. - Keystone

US-Bundesstaaten wie Alabama, Arkansas, Missouri, Texas, Louisiana, Oklahoma oder Kentucky sind da strenger: Der einzige Grund, warum eine Schwangerschaft abgebrochen werden darf, ist eine wirklich ernsthafte medizinische Gefährdung der Mutter.

Selbst nach Vergewaltigungen oder bei Inzest sind Abtreibungen in diesen Teilen des Landes nicht mehr möglich. Das Abtreibungsverbot soll in gewissen Staaten bereits ab der Befruchtung gelten. Die Pille danach und auch andere Verhütungsmethoden könnten in Zukunft auch unter Strafe gestellt werden.

Strafen in USA teils härter als bei den Taliban

Gemäss dem Gesetz in Afghanistan könne jeder, der einen Fötus absichtlich töte, zu höchstens sieben Jahren Gefängnis verurteilt werden, so Schulze weiter. Wer die Abtreibung vornimmt, komme entweder ins Gefängnis oder werde mit einer Geldstrafe gebüsst.

Was halten Sie von dem Entscheid des Supreme Courts?

In den konservativen US-Staaten sind für Abtreibungen wesentlich höhere Strafen vorgesehen. In Alabama stehen auf das Durchführen einer Abtreibung neu 10 bis 99 Jahre Haft. Utah droht mit bis zu 15 Jahren Haft und 15'000 Dollar Busse.

Taliban-Richter entscheiden nicht immer nach Strafgesetzbuch

Eine explizite Regelung der Taliban existiert bislang nicht. Theoretisch gesehen müssten sie sich also an das bestehende, eher liberale Strafgesetzbuch Afghanistans halten.

Taliban Afghanistan
Kämpfer der Taliban kontrollieren an einem Wachposten in Kabul am 18. August 2021 Fahrzeuge.
Taliban Afghanistan
Kämpfer der Taliban patrouillieren am 17. August schwer bewaffnet durch Kandahar.
Taliban Afghanistan
Mehrere Taliban sprechen am 17. August 2021 in Kandahar zu Journalisten.
Taliban Afghanistan
Kämpfer der Taliban posieren am 18. August 2021 in Kabul für ein Foto.
Taliban Afghanistan
Taliban-Mitbegründer Mullah Abdul Ghani Baradar.

Laut Reinhard Schulze orientieren sie sich aber in der Praxis oft auf das Gewohnheitsrecht paschtunischer Stammesgemeinschaften, das hier eher äusserst restriktiv sei.

Ob sich die Taliban-Richter am Strafgesetzbuch orientieren oder aus eigenem Rechtsempfinden Recht setzen, hänge immer vom Einzelfall ab. «Diese Rechtsunsicherheit bedeutet für die Frauen eine enorme zusätzliche Belastung», so der Experte.

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