Coronavirus: Reporter über Kurz-Lockdowns in Australien

Ein Ausbruch der Delta-Variante hat in Australien zu Lockdowns in mehreren grossen Städten des Landes geführt. Auch der Nachtdienstler von Nau.ch ist betroffen.

Nau.ch-Nachtdienstreporter Simon Binz lebt seit sechseinhalb Jahren in Australien. Neben ihm sitzt sein elfjähriger Golden Retriever Rover. - ZVG

Das Wichtigste in Kürze

  • In Australien geht nach einem Ausbruch in Sydney die Angst vor der Delta-Variante um.
  • Führende Politiker des Landes sprechen von der grössten Bedrohung seit Pandemie-Beginn.
  • Für Nau.ch-Reporter Simon Binz hat sich in seiner Wahlheimat die Perspektive verändert.

Mehr als ein Jahr lang schaute ich beunruhigt nach Europa und zitterte mit meiner Familie und meinen Freunden mit, wenn in der Schweiz die Corona-Zahlen stiegen und weitere Massnahmen im Kampf gegen das Coronavirus verhängt wurden. All das, während ich hier in Australien für die meiste Zeit ein nahezu «normales» Leben führte.

In den letzten Tagen hat sich meine Perspektive verändert: Nun schaue ich plötzlich beunruhigt den australischen Politikern dabei zu, wie sie darüber sprechen, dass das Land vor der grössten Bedrohung seit dem Beginn der Pandemie stehe.

Der Grund für die Panik? Ein Ausbruch der Delta-Variante in Sydney! Mehr als fünf Millionen Menschen befinden sich deshalb im Grossraum der Stadt schon seit dem 26. Juni in einem 2-wöchigen Lockdown. Der erste Infizierte war ein Limousinenfahrer aus Bondi. Er hatte sich Mitte Juni beim Transport einer Flugzeugcrew aus den USA angesteckt.

Von Bondi war das Virus innerhalb weniger Stunden ins fast 4000 Kilometer entfernte Perth an der Westküste gelangt. Im Northern Territory tauchte es in einer abgelegenen Goldmine auf, auch die Bundesstaaten Queensland und Victoria meldeten Fälle.

«Kurz-Lockdowns» in drei Bundesstaaten

Es dauerte daraufhin nicht lange, bis in verschiedenen Regionen und Städten der betroffenen Bundesstaaten die hierzulande nicht unbekannten, meist drei oder vier Tage dauernden, «Kurz-Lockdowns» verhängt wurden. In dieser Zeit gilt: Menschen dürfen ihre Häuser nur noch in dringenden Fällen, etwa zum Einkaufen, in medizinischen Notfällen, oder für «unentbehrliche Arbeit», verlassen. Sport an der frischen Luft ist noch zu zweit erlaubt. Die Schulen sind derzeit wegen der Ferien geschlossen – gleiches gilt für die Unis.

Im Norden verkündete der verantwortliche Regierungschef am vergangenen Sonntag nach Berichten eines einzigen Infizierten einen solchen «Snap Lockdown» für Darwin. Dieser trat nur eineinhalb Stunden nach Bekanntgabe in Kraft, galt zunächst für 72 Stunden und wurde schliesslich um drei Tage verlängert. Westaustralien zog am Dienstag für Teile ihres Gebiets nach – in dem Staat waren zu diesem Zeitpunkt drei Fälle gemeldet.

Einen Lockdown für drei Tage, wegen lediglich drei Infektionen, verhängte auch die Premierministerin von Queensland ab Dienstag für gewisse Teile ihres Bundesstaates. Davon betroffen ist auch Brisbane, die grösste Stadt im Osten des Landes. Meine Stadt. Während ich auf Nau.ch lese, dass der Bundesrat dank den Lockerungen in der Schweiz auf ein «Schulreisli» geht, darf ich hier gleichzeitig nur noch für Essenzielles aus dem Haus – und das nur mit Mund- und Nasenschutz.

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Die Maskenpflicht erwähne ich, da diese für uns – ausser am Flughafen und teilweise bei Arztbesuchen – keineswegs zum normalen Alltag gehört. In Queensland wurde diese Massnahme seit Pandemie-Beginn lediglich dreimal für jeweils knapp zwei Wochen verordnet. Weil man hier das berühmte «Face Of The Pandemic» nicht an jeder Ecke sieht, vergesse ich beispielsweise immer wieder, mir einen anständigen Vorrat anzuschaffen.

Regierung hat unsere Impfkampagne versäumt

Die Infektionszahlen in den Städten und Regionen mit den Kurz-Lockdowns sind glücklicherweise verhältnismässig niedrig geblieben. Die «STAY AT HOME ORDER» wurde hier bei uns in Brisbane aber wegen drei neuen Fällen am Freitag um 24 Stunden verlängert. «Die Contact-Tracing-Teams brauchen mehr Zeit», sagte Annastacia Palaszczuk, die Premierministerin von Queensland, vor den Medien. Zumindest werden die Beschränkungen in anderen Teilen des Bundesstaates aufgehoben.

In Perth, wo gestern Donnerstag keine einzige Infektion gemeldet wurde, ist zu erwarten, dass der Lockdown am Samstag wie geplant zu Ende geht. Die Zahlen für Freitag und die definitive Entscheidung dazu sind in Western Australia aber noch ausstehend. In Darwin ist der Lockdown definitiv vorüber und die Bewohner dürfen ihre Häuser ab sofort wieder verlassen. Die Maskenpflichten werden in allen Staaten vorerst bestehen bleiben.

Die Situation in Sydney bleibt hingegen laut den Behörden brenzlig. Seit dem 16. Juni wurden insgesamt 226 Corona-Fälle gemeldet. Am Freitag kamen 31 neue Fälle hinzu, 12 der positiv Getesteten befanden sich nicht in Isolation. Der Bondi-Cluster ist mittlerweile auf 188 Fälle angewachsen. Zuletzt machten in Sydney etwa junge Menschen Schlagzeilen, die im Gesundheitswesen tätig sind, bisher nicht geimpft wurden und infiziert ihrer Arbeit nachgingen.

Die extrem ansteckende Delta-Variante offenbart jetzt also die Versäumnisse der konservativen Regierung bei der Impfkampagne. Gepikst wird hier nämlich erst seit Februar – und es geht nur sehr schleppend voran. Immer wieder vertröstete Premierminister Scott Morrison die Bevölkerung. Seit Anfang Jahr hat die Regierung laut Recherchen des Senders «ABC» mehr als ein Dutzend Impfziele angekündigt – und jedes einzelne verfehlt. Die zuletzt veröffentlichten Zahlen sind dementsprechend ernüchternd: Nur knapp acht Prozent (1,6 Mio.) der Menschen über 16 Jahre sind vollständig geimpft, etwa 30 Prozent (6,1 Mio.) haben zumindest eine Dosis erhalten.