NFL: Aussortierter Star erlebt Karriere-Renaissance

«Kindisch und unreif». So betitelte im Sommer 2022 ein ungenannter Browns Offizieller den eigenen Quarterback Baker Mayfield. Nach einer enttäuschenden Saison, die er zu einem grossen Teil mit einer Schulterverletzung bestritt, stand der ehemalige Nummer-1-Pick zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Abstellgleis in Cleveland.

Es waren verurteilende Worte für einen Spielmacher, der die Mannschaft nur eine Saison zuvor zum ersten Playoffsieg seit knapp 30 Jahren führte. Er war die Identifikationsfigur schlechthin im lange so erfolgsarmen Cleveland.

Nach dem Monstertrade für den skandalbehafteten Deshaun Watson war Mayfields Bruch mit den Browns besiegelt. Für einen Fünftrundenpick und die Übernahme eines Löwenanteils seines Salärs wurden ihn die Browns schliesslich an die Panthers los.

Der Neustart in Charlotte als Chance für den damals 27-Jährigen? Nichts da. Er fand nicht zu alter Stärke, harmonierte weder mit Cheftrainer Matt Rhule noch mit Offensiv-Koordinator Joe Brady (beide mittlerweile freigestellt) und verlor nach nur sechs Spieltagen seine Position als Starter.

Auf Gesuch Mayfields hin lösten die Carolina Panthers seinen Vertrag noch während der Saison auf. Das Feuer um den einst besten College-Football-Spieler des Landes schien erloschen.

Heute, knapp ein Jahr später, steht Mayfield mit den Tampa Bay Buccaneers an erster Stelle in der NFC-South. Der gebürtige Texaner hat grossen Anteil an der unerwartet starken Saison der Buccaneers. Gegen die Packers in Woche 15 schreibt er NFL-Geschichte: Er wird zum allerersten Quarterback, der auswärts im Lambeau Field ein perfektes Passer-Rating (158.3) holt.

Mayfields Karriere-Revival in Florida ist die logische Konsequenz eines scheinbar unzerbrechlichen Durchhaltevermögens, das er während seiner gesamten Footballer-Laufbahn immer wieder unter Beweis stellen musste.

Baker Mayfield sind Rückschläge und Hindernisse nicht fremd. Trotz starker Leistungen in der High School bleiben Stipendiumsangebote grosser Unis aus. Anstatt sich für ein Football-Stipendium bei einem kleinen College zu entscheiden, wagt Mayfield den Schritt, als Walk-On, also als einfacher Student ohne finanzielle Absicherung, zur Texas Tech University zu gehen.

Entgegen allen Erwartungen avanciert er dort zum ersten Walk-On-Freshman-Stammquarterback der College-Geschichte. Dennoch wollen ihm die Texas Tech Raiders am Ende der Saison kein Stipendium anbieten.

Dafür jedoch die Oklahoma University. Er wechselt 2014 zum College-Team seiner Kindheit und wird 2015 zum Starter. In seinen drei Saisons bei den Sooners erzielt er die meisten Touchdowns (138) und die höchste Completion-Percentage (70.0%) in der 123-jährigen Programmgeschichte.

In seinem letzten Jahr wird er zum besten College-Spieler des Landes gekürt und erhält die Heisman-Trophäe. Anschliessend wählen ihn die Cleveland Browns an erster Stelle des NFL Drafts 2018 aus.

Nach 29 verschiedenen Starting-Quarterbacks in 20 Saisons erhoffen sich die Browns 2018 mit Baker Mayfield endlich Stabilität auf der Spielmacherposition – und die bietet er. Nach zwei soliden Saisons erreichen die Cleveland Browns in Mayfields drittem Jahr am Ruder zum ersten Mal seit 1994 die Divisional Rounds der NFL-Playoffs, wo das Team von Headcoach Kevin Stefanksi dann nur knapp an einer Sensation gegen die Kansas City Chiefs vorbeischrammt.

Während Mayfield dank seinem Elan auf und seiner Coolness neben dem Platz zur Kultfigur in Cleveland avanciert, gelten die Browns plötzlich als ernstzunehmender Anwärter für den Super Bowl 2022.

Doch es kommt anders. Der verhängnisvolle Moment in Mayfields Browns-Karriere spielt sich 2022 in Woche 2 ab: Beim Versuch, nach einer Interception ein Tackle zu setzen, verletzt sich Baker Mayfield an der linken Schulter.

Diagnose: Riss in der Schultergelenkslippe. Mayfield spielt weiter, unter starken Schmerzen, auch die Wochen darauf. Doch er ist nicht mehr derselbe. In 14 Spielen wirft er genauso viele Interceptions, seine Cleveland Browns verpassen die Playoffs und einige seiner Teamkollegen äussern erste Zweifel über ihren Anführer.

Noch vor Saisonende muss Mayfield unters Messer. «Er wird nächstes Jahr noch stärker zurückkommen», lässt Browns Coach Kevin Stefanski noch auf einer Pressekonferenz verlauten. Nicht für die Browns, wie sich herausstellt.

Vorgespult: Nach dem unschönen Abgang bei den Browns und seiner missglückten Tenure bei den Panthers nehmen ihn im Dezember 2022 die dezimierten Los Angeles Rams unter Vertrag. Dort geht es endlich wieder bergauf in Mayfields Karriere: Ikonisch bleibt sein spielentscheidender Drive gegen die Las Vegas Raiders in Woche 13, nachdem er erst zwei Tage zuvor der Mannschaft zugestossen ist.

In den fünf Spielen mit den Rams startet Mayfield zwar nicht durch, gleichwohl zeigt er, dass er es immer noch in sich hat. Im Sommer erhält er von den Tampa Bay Buccaneers einen Einjahresvertrag.

Es hätte sich keine bessere Situation für Mayfield bieten können als jene in Tampa. Nach Bradys Rücktritt hatte die Mannschaft von Cheftrainer Todd Bowles ihre Ziele zu revidieren. Die Super-Bowl-Aspirationen rückten in weite Ferne, der Wiederaufbau des Teams derweil in den Vordergrund.

Nicht wenige US-Experten muteten den Buccaneers zu Beginn der Saison denn auch den Nummer-1-Pick im kommenden Draft zu. Obschon Mayfield in die Fussstapfen des wohl grössten Footballers aller Zeiten trat, lagen die Erwartungen entsprechend tief.

Befreit von jeglichem Zugzwang blüht Mayfield auf bei den Bucs. Die Selbstbewusstheit und Unbekümmertheit in seiner Spielweise erinnern an beste Zeiten bei den Browns. Nach 15 Spieltagen hat Mayfield 24 Touchdowns und nur acht Interceptions auf dem Konto.

Ausserdem erzielt er ein durchschnittliches Passer-Rating von 95. Damit liegt er unter den Top-8-Quarterbacks der NFL.

Derweil schwärmen seine Teamkollegen von Mayfields Leidenschaft und Führungsqualitäten und relativieren die geschmacklosen Vorwürfe seines Ex-Teams. «Er brauchte nicht viel zu tun, um uns zu gewinnen», meint Passempfänger Chris Goodwin jüngst in einem Interview.

Auch die Unterstützung seiner Beschützer in der Offenisve-Line hat Mayfield auf sicher: Jeden Mittwochmorgen trainiert er zusammen mit seiner O-Line und packt bei Passblock-Übungen gleich selbst mit an.

Im Anbetracht all dessen ist es kaum überraschend, dass die Buccaneers mit einer Bilanz von 7-7 an der Spitze der NFC-South stehen. Das Playoff-Rennen steht in dieser umkämpften Division jedoch weit offen.

Baker Mayfield scheint nach turbulenten Jahren am richtigen Ort angekommen zu sein. Macht er den Playoffeinzug klar, wird er noch lange ein Buccaneer bleiben.