Anklage fordert lebenslange Haft in Koblenzer Prozess um Staatsfolter in Syrien
Im weltweit ersten Prozess um Mord und Folter durch den syrischen Staat hat die Bundesanwaltschaft am Donnerstag eine lebenslange Haftstrafe für den Hauptangeklagten gefordert.

Das Wichtigste in Kürze
- Plädoyer gegen mutmasslichen Hauptbeschuldigten vor Oberlandesgericht.
In ihrem Plädoyer vor dem Oberlandesgericht Koblenz forderte sie unter anderem eine Verurteilung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Mordes in mindestens 30 Fällen sowie Vergewaltigung. Zudem solle das Gericht die besondere Schwere der Schuld feststellen.
In dem Prozess in der rheinland-pfälzischen Stadt muss sich ein mutmasslicher früherer Befehlshaber des Al-Khatib-Gefängnisses in der syrischen Hauptstadt Damaskus verantworten. Bei Anwar R. soll es sich um einen früheren Mitarbeiter des Geheimdiensts des syrischen Machthabers Baschar al-Assad handeln. Unter seiner Befehlsgewalt sollen zwischen April 2011 und September 2012 mindestens 4000 Häftlinge in der berüchtigten Haftanstalt mit Schlägen, Tritten und Elektroschocks gefoltert worden sein. Viele starben dabei.
In ihrer Anklage ging die Bundesanwaltschaft zu Prozessbeginn im April 2020 noch von 58 Toten aus. Diese Zahl lasse sich jedoch nicht mit Sicherheit beweisen, sagte Oberstaatsanwalt Jasper Klinge in seinem Plädoyer. Teilweise sei es möglich, dass sich die Zeugenangaben ehemaliger Inhaftierter zeitlich überschnitten. Die konkreten Todesursachen liessen sich für den jeweiligen Einzelfall nicht mehr ermitteln.
Misshandlungen hätten in syrischen Gefängnissen schon vor Beginn der Demonstrationen gegen das Regime 2011 stattgefunden. «Mit Beginn der Proteste änderte sich Quantität und Qualität der Misshandlungen», sagte Klinge. Dabei sei es weniger um den Gewinn von Informationen über Oppositionelle gegangen, sondern mehr um Rache für Kritik am System.
Die Zustände in dem Gefängnis nannten Klinge und Staatsanwältin Claudia Polz in ihrem gemeinsamen Plädoyer «menschenunwürdig» und «katastrophal». Inhaftierte sollten keinen einzigen Moment zur Ruhe kommen. Die Opfer seien der Willkür der Wärter ausgesetzt gewesen. Sie seien «rund um die Uhr» physisch und psychisch misshandelt worden.
R. selbst habe die Taten nicht begangen, sondern etwa 30 Mitarbeiter befehligt, die seine Anweisungen ausgeführt hätten. «Als Leiter der Unterabteilung Vernehmung war er verantwortlich für den Zustand des Gefängnisses», sagte Polz. «Seine Schuld lag darin, das System in dem Gefängnis verantwortet zu haben.» R.s Aussage, laut der er 2011 seiner Kompetenzen enthoben worden sein soll, sei eine «Schutzbehauptung». R. habe ein Interesse an den Taten gehabt - ihm sei es um den Erhalt seiner gesellschaftlichen Stellung gegangen.
In dem Prozess war auch ein zweiter Mann angeklagt, der als Untergebener an den Folterungen beteiligt war. Ihn verurteilte das Gericht bereits im Februar wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu viereinhalb Jahren Haft. Die Verhandlung gegen den mutmasslichen Hauptbeschuldigten R. lief noch weiter.
Ins Rollen war der Fall gekommen, nachdem nach Deutschland geflüchtete Opfer ihre mutmasslichen Peiniger wiedererkannt hatten. Sie berichteten im Prozess detailliert davon, wie sie im Gefängnis gefoltert worden waren. Mit einem Urteil ist nach Angaben der Nebenklagevertreter im Januar zu rechnen.
Dass der Prozess in Deutschland stattfindet, liegt am sogenannten Weltrechtsprinzip im Völkerstrafrecht. Demnach dürfen auch Taten verhandelt werden, die keinen unmittelbaren Bezug zu Deutschland haben. Die beiden Angeklagten wurden im rheinland-pfälzischen Zweibrücken und in Berlin festgenommen.