Die AfD wäre heute die zweitstärkste Partei in Deutschland: Der Experte erklärt, was ihr die Wähler zutreibt und weshalb die Situation hierzulande anders sei.
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Zeigt nach oben: Co-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel – die AfD ist im Umfragehoch. (Archivbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Gemäss neusten Umfragen vereint die AfD rund 22 Prozent der Wählerstimmen unter sich.
  • Soziologe Dirk Baier erklärt, welche Faktoren zum Erfolg der Rechtspopulisten führen.
  • In der Schweiz hingegen sei das Risiko klein, dass die SVP «rechts überholt» werde.
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Die Ampel-Regierung in Deutschland steht vor einem Scherbenhaufen: Hätten die Bundestagswahlen am vergangenen Sonntag stattgefunden, würden sich die Kräfteverhältnisse deutlich verschieben. Gemäss neusten Umfragen käme die Ampel nur noch auf rund 31 Prozent Wählerstimmenanteil. Die Alternative für Deutschland (AfD) wiederum würde mit satten 22 Prozent zur zweitstärksten Kraft aufsteigen.

Die AfD scheint schier unaufhaltsam auf dem Vormarsch zu sein – im ganzen Land. Händeringend sucht die deutsche Politik nach Lösungen: Doch auch medial gross inszenierte Enthüllungen um ein Geheimtreffen zum Thema «Remigration» können die Partei scheinbar nicht ausbremsen.

In der Bundesrepublik wird die AfD kritisiert, wie kaum eine andere Partei. Hunderttausende gehen «gegen rechts» auf die Strasse. Im Hintergrund laufen Abklärungen, die Partei in Teilen oder als Ganze zu verbieten.

Existenzängste und einfache Lösungen

Welche Faktoren treiben der AfD einen immer grösser werdenden Strom von Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern in die Arme? Nau.ch hat bei einem Experten um eine Einschätzung gebeten.

Für Soziologe Dirk Baier sind es primär Ängste und Unsicherheiten, die das Wasser auf der sprichwörtlichen Mühle der AfD darstellen: Dabei sei der Themenbereich der Migration zwar eine entscheidende Quelle – nicht aber der zentrale Punkt.

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Die Alternative für Deutschland (AfD) ist in aller Munde: Die Partei ist landesweit auf dem Vormarsch – trotz Kritik, Demonstrationen und Verbotsdiskussionen. (Symbolbild)
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Das Thema der Migration wurde in Deutschland zu lange ignoriert. Dies sei für den Erfolg der AfD ein treibender Faktor, erklärt der Experte – nicht aber der zentrale Punkt. (Symbolbild)
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Zentral seien vielmehr Existenz- und Zukunftsängste innerhalb der Bevölkerung, die durch die Migrationspolitik zusätzlich befeuert werden. (Symbolbild)
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Die AfD präsentiere vermeintlich einfache Lösungen für die Menschen und biete ihnen Sicherheit. Aus diesem Grund erfreue sich die Partei wachsendem Zulauf. (Symbolbild)
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Es sei Aufgabe von Politik und Medien, Herausforderungen zu benennen und Lösungsvorschläge genau zu kommunizieren. Nur so könne der AfD der Wind aus den Segeln genommen werden. (Symbolbild)
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Ferner müssten beide Akteure weiterhin konsequent auf Fehler und Widersprüche innerhalb der Positionen der AfD hinweisen. (Symbolbild)

«Zentral ist vielmehr, dass viele Menschen der Ansicht sind, ihnen könnte es in Zukunft schlechter gehen. Sie haben Angst, Lebensstandard zu verlieren.» Diese Bedrohungs- und Benachteiligungswahrnehmung werde sicherlich durch das Migrationsgeschehen mitgeformt. Faktoren wie Inflation und steigende Mieten und Energiepreise spielten dabei aber eine ebenso wichtige Rolle, erklärt der Zürcher Professor.

«Die AfD präsentiert einfache Lösungen für diese Menschen und bietet ihnen vermeintliche Sicherheit – deshalb hat sie diesen hohen Zulauf.»

Folglich könne der AfD nur nachhaltig der Wind aus den Segeln genommen werden, wenn diese Befürchtungen politisch angegangen würden.

Subjektive Wahrnehmungen schwer zu korrigieren

Gleichzeitig gibt Baier zu bedenken: «Subjektive Wahrnehmungen können oft auch mit objektiven Fakten, mit Geldzahlungen oder mit neuen Gesetzen nicht geändert werden.» Entscheidend sei, dass die Politik gut erkläre, welche Herausforderungen es zu meistern gebe und weshalb unterschiedliche Massnahmen umgesetzt werden sollten.

Dirk Baier Soziologe Experte
Dirk Baier ist Soziologe und Professor an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW): Er sieht Ängste und Unsicherheiten am Ursprung des Erfolges der AfD. - keystone

Ferner müssten Politik und Medien weiterhin konsequent auf Fehler und Widersprüche innerhalb der Positionen der Partei hinweisen: «Die Sicherheit, welche die einfachen Rezepte der AfD bietet, ist ausgesprochen trügerisch», erklärt der Experte.

Andere Situation in der Schweiz

Mit Blick auf die Schweiz erklärt Baier, dass dieser Rechtstrend in der Schweiz gewissermassen längst existiere: «Der Wähleranteil der SVP – die konservative bis rechte Kreise anspricht – ist hier sogar höher.»

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Hierzulande sei ein ähnlicher Trend längst Tatsache: Die SVP habe noch grössere Wähleranteile. Gleichzeitig dürfe man die Volkspartei auf keinen Fall mit der AfD gleichsetzen. (Symbolbild) - keystone

Trotzdem dürfe man die SVP auf keinen Fall mit der AfD gleichsetzen, so Baier. «Die AfD ist viel radikaler!» Der Experte glaubt auch nicht, dass die Volkspartei dem nördlichen Vorbild nacheifern werde und weiter nach rechts rücke: «Sehr drastische Positionen sind derzeit in der Schweiz nicht hilfreich, um Wählerstimmen zu gewinnen.»

Dass die SVP in ihrem Auftreten aggressiver werde, und beispielsweise den Begriff der «Remigration» in ihrem Programm aufnehme, bezweifelt Baier: «Damit würde sie in der Schweiz Anhänger und Anhängerinnen verlieren.»

Migrationsthema nicht vernachlässigt

Daneben sei das Gefühl der Benachteiligung und die Angst vor einer ungewissen Zukunft in der Schweiz längst nicht so verbreitet. Gleichzeitig ist diese Resistenz gegenüber dem europaweiten Rechtstrend indirekt aber auch als Verdienst der Volkspartei zu verstehen.

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Das Migrationsthema wurde von der SVP immer wieder auf die Tagesordnung gesetzt und nicht ignoriert. Dass die SVP weiter nach rechts rückt, sei auch deshalb unwahrscheinlich. (Symbolbild) - keystone

«Man muss sehen, dass gerade das Migrationsthema in der Schweiz durch die SVP immer wieder auf die Tagesordnung gesetzt wird. Es wurde hierzulande nie beiseite geschoben wie in Deutschland», erklärt Baier.

Ist die AfD Ihrer Ansicht nach mit der SVP vergleichbar?

Dadurch habe man auch radikaleren Positionen im politischen Prozess Gehör verschafft: «Deshalb gehe ich nicht davon aus, dass die SVP weiter nach rechts rückt. Und auch nicht, dass rechts der SVP eine relevante Partei entstehen wird.»

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