Ignazio Cassis: Bundesrat gerät im Heimkanton Tessin unter Beschuss
FDP-Bundesrat und Aussenminister Ignazio Cassis will die neuen EU-Verträge nicht zwingend dem Volk unterstellen. Aus seiner Heimat hagelt es dafür Kritik.

Das Wichtigste in Kürze
- Die Vorlage zu den neuen EU-Verträgen unterliegt nicht dem obligatorischen Referendum.
- Den Unterschied im Bundesrat machte die Stimme von Aussenminister Ignazio Cassis.
- In seinem Heimatkanton Tessin stösst Cassis damit auf Kritik.
Bundesrat Ignazio Cassis sieht sich ausgerechnet in seinem Heimatkanton Tessin immer stärkerer Kritik ausgesetzt. Dies berichten die «CH-Media»-Zeitungen. Das Fass zum Überlaufen brachte nun offenbar die Rolle, die Cassis beim neuen Vertragspaket mit der EU spielt.
Ende April entschied der Bundesrat, die neuen EU-Verträge nur dem fakultativen und nicht dem obligatorischen Referendum zu unterstellen.
Das bedeutet: Die Gegner des Vertragspakets müssen innerhalb von 100 Tagen 50'000 gültige Unterschriften zusammenbringen. Kommt es zu einer Abstimmung, muss nur die Mehrheit der Bevölkerung zustimmen, nicht aber die Mehrheit der Kantone.
Bei diesem Entscheid zugunsten des fakultativen Referendums machte Cassis' Stimme den Unterschied. Im EU-skeptischen Tessin sorgt dies für Unmut.
Die Sonntagszeitung «Mattino della domenica» bezeichnet den Entscheid als «Schande» und Cassis als «Verräter». Politisch steht die Zeitung der Rechtspartei Lega dei Ticinesi nahe.
Die Tessiner Mitte-Bundespolitiker Fabio Regazzi (Ständerat) und Giorgio Fonio (Nationalrat) halten den Bundesratsentscheid für kontraproduktiv. Die EU-Verträge nicht zwingend dem Volk zu unterstellen, verstärke dessen Entfremdung zu den politischen Entscheidungsträgern. Dies geben die beiden im «Corriere del Ticino» zu bedenken.
Ignazio Cassis 1989 bei Diebstahl erwischt
Auch in Onlineartikeln von Tessiner Newsportalen sind viele verärgerte Reaktionen zu lesen. Ein Leser der «Weltwoche» sorgte nun sogar dafür, dass ein früher Fehltritt Cassis' wieder aufkommt.
Er übermittelte der Zeitung ein Polizeiprotokoll über einen Vorfall aus dem Jahr 1989. Der damals 27-jährige Ignazio Cassis wurde beim Versuch erwischt, zwei Videokassetten aus einer Migros-Filiale zu klauen.
Bereits im Oktober 2022 berichtete der «Mattino della domenica» über den Vorfall – der Bericht fand damals jedoch wenig Beachtung. Der politischen Karriere des FDP-Bundesrates hat der Fehler nicht geschadet. Er liegt lange zurück und Cassis hat sich dafür entschuldigt.
Dennoch dürfte es kein Zufall sein, dass ein verärgerter Bürger diese Geschichte genau jetzt wieder aufkommen lässt.