Frontex: Grünen-Glättli will Abschiebe-Kinderbuch verbieten
Eine Frontex-Broschüre, die Kinder auf ihre Abschiebung vorbereiten soll, sorgt für Aufruhr. Ein Grüner will sie verbieten – die SVP findet sie «harmlos».

Das Wichtigste in Kürze
- Die Frontex hat eine Broschüre zur «freiwilligen Rückkehr» für Kinder produziert.
- Nationalrat Balthasar Glättli (Grüne) ist schockiert – und will ein Verbot.
- Die SVP-Exponenten Steinemann und Schmid hingegen winken ab: «Harmlos.»
«Mein Leitfaden zur Rückkehr»: Dieser Titel hat im Internet in den letzten Wochen für Fassungslosigkeit und Aufruhr gesorgt.
Es handelt sich um eine Broschüre der europäischen Grenzwache-Agentur Frontex, die Flüchtlinge bei der «freiwilligen Rückkehr» unterstützen soll.
Herausgegeben wurde das Heft in mehreren Versionen für jegliche Altersgruppen – von Eltern und Jugendlichen bis hin zu Kleinkindern.
Besonders viel Aufmerksamkeit erlangt derzeit die «Fassung für Kinder», ausgelegt für Sechs- bis Elfjährige.
Die Inhalte seien aus kinderrechtlicher Perspektive «hoch problematisch», wie das Deutsche Netzwerk Kinderrechte schreibt. Das traumatische Erlebnis einer Abschiebung werde geradezu verharmlost.
Munteres Westen-Raten
Kritisiert wird insbesondere, dass nicht ehrlich mit den Kindern umgegangen werde.
So werden etwa Beamte, die die Rückkehr beaufsichtigen, eher als Freund und Begleiter dargestellt.
Frontex schreibt: «Auf deiner Reise wirst du Erwachsene treffen, deren Aufgabe es ist, dir und deiner Familie zu helfen.» Die Kinder sollen raten, welche Farbe deren Weste wohl haben wird.
Auch Personen, die unfreiwillig und deshalb in Handschellen abgeschoben werden, werden nicht näher erklärt: «So sind er und die anderen sicher», heisst es in der Broschüre.
Weshalb man die Reise antreten muss, erläutert die Broschüre kaum. Nur: «Für dich und deine Familie ist es im Moment nicht möglich, in diesem Land zu bleiben und hier zu leben.»
Frontex: «Vielleicht freust du dich»
Viele Aussagen können auch zynisch wirken. So schreibt Frontex: «Vielleicht freust du dich darauf, im Heimatland deiner Familie Freunde und Familienangehörige zu treffen (...)»
Oder: «Neues kennenzulernen ist immer aufregend, darum hab keine Angst, Neues zu entdecken. Vielleicht nette neue Lehrer, nette neue Freundinnen und Freunde oder leckere neue Süssigkeiten.»
Und es fällt auf: Die Fassung für Kinder ist mit vielen Bildern ausgestattet. Darin sind lauter glückliche und neugierige Gesichter zu sehen – sei es im Asylheim, am Flughafen oder im Flugzeug.
Broschüre von Frontex in der Schweiz seit 2023 im Umlauf
Auch in der Schweiz wurden Rückkehrberatungsstellen in den Bundesasylzentren, die Kantone sowie kantonale Migrationsämter mit dem Leitfaden ausgestattet.
Samuel Wyss vom Staatssekretariat für Migration (SEM) bestätigt gegenüber Nau.ch: «Wir haben unseren Partnern zwischen 10 und 20 Exemplare pro Sprache und Leitfaden zur Verfügung gestellt.»

Die Broschüre von Frontex erschien zwar bereits 2023. Lange war sich aber wohl kaum jemand über deren Existenz bewusst.
Erst in den letzten Tagen änderte sich das schlagartig – insbesondere aufgrund der sozialen Medien.
Grünen-Nationalrat Balthasar Glättli wurde laut eigener Aussage von deutschen Kolleginnen und Kollegen auf die Broschüre aufmerksam gemacht.
Und: «Dass diese auch in der Schweiz verteilt und genutzt wird, erfuhr ich erst durch die Anfrage von Nau.ch.»
Grünen-Nationalrat Glättli: «Verharmlosend»
Und darüber freut er sich keineswegs: «Mich schockiert die verharmlosende, schönfärberische Darstellung der Ausschaffungen», so Glättli.
Diese habe «nicht die Umsetzung der Kinderrechte zum Ziel, sondern die Umsetzung der Ausschaffung».
Der Zürcher teilt die Kritik des deutschen Netzwerks Kinderrechte: Die Broschüre sei ein «Verstoss gegen grundlegende Prinzipien der UN-Kinderrechtskonvention».
Glättli zitiert ausserdem das Netzwerk: «Weder wird Kindern altersgerecht erklärt, wie Abschiebungsverfahren tatsächlich ablaufen, noch werden ihre Schutz- und Beteiligungsrechte benannt.»
Stattdessen werde der Abschiebeprozess als «alternativloser, beinahe harmloser» Verwaltungsakt dargestellt.
«Diese Verharmlosung verkennt nicht nur die Realität vieler betroffener Kinder. Sie ist in ihrer Wirkung kinderrechtswidrig.»
Für den Politiker der Grünen ist klar: «Ich verlange, dass die Verteilung dieser Broschüre eingestellt wird.» Die bisherigen Rückmeldungen deuten laut SEM ohnehin «auf einen limitierten Nutzen» hin.
SVP-Steinemann will keine «Tränendrüsenstorys» mehr
Anderer Meinung ist Nationalrätin Barbara Steinemann: «Die Broschüre ist ja so harmlos wie ein Kinderbuch», beschwichtigt die SVPlerin.
Rückführungen seien «ein Gebot des Rechtsstaates und des konsequenten Vollzuges der Gesetze». Kein Staat könne darauf verzichten.
Um Abschiebungen zu verringern, schlägt Steinemann Grenzkontrollen vor. Diese hätten eine präventive Wirkung. «Sodass Menschen gar nicht erst den Weg auf sich nehmen, um dann unter grossem Aufwand und Tränendrüsenstorys zurückgeführt werden müssen.»
Muss die Schweiz das Kindswohl mehr berücksichtigen?
Auch Parteikollege und SVP-Asylchef Pascal Schmid stellt fest: «Dass der Vollzug unseres Ausländer- und Asylrechts für die Betroffenen nicht immer angenehm ist, liegt in der Natur der Sache.» Das gelte insbesondere für die minderjährigen Kinder der Erwachsenen.
Für das Funktionieren unseres Rechtsstaates sei er jedoch «unerlässlich». Es gehe schliesslich «um Personen, die sich nicht an unsere Gesetze halten». Und die mit ihrem Verhalten auch die Verantwortung gegenüber ihren eigenen Kindern nicht wahrnehmen würden.
Glättli hält dagegen: «Die Schweiz muss nicht nur das Recht auf angemessene Information gemäss der UN-Kinderrechtskonvention in korrekter Art und Weise umsetzen.» Sie solle auch «endlich bei Asylentscheiden das Kindswohl vorrangig berücksichtigen».