Gegner fordert: Lest die EU-Verträge selbst!
Die Katze ist aus dem Sack: Seit Freitag sind die EU-Verträge öffentlich. Sollte man das Mega-Dokument als Bürger selbst lesen? Die Meinungen gehen auseinander.

Das Wichtigste in Kürze
- Der Zürcher FDPler Matthias Müller findet, jeder sollte die EU-Verträge lesen.
- Es gehe um Fragen, die uns alle betreffen, argumentiert der Gegner des Pakets.
- Befürworter Jürg Grossen (GLP) relativiert: Man brauche die Hilfe von Medien und Experten.
Lange musste man darauf warten – ausgerechnet am Freitag, dem 13., war es dann so weit: Bern und Brüssel haben die neuen Schweiz-EU-Verträge veröffentlicht.
Passend zum Sommeranfang bieten die beiden Vertragspartner nun also eine ausführliche Ferienlektüre. Wobei: Die «Bilateralen III» umfassen fast 2000 Seiten und sind sicher nicht in der einfachsten Sprache geschrieben.
Lohnt sich das Lesen also überhaupt oder sollte man das einfach Experten überlassen und denen vertrauen?
FDP-Müller: «Mitdenken, nicht nachplappern»
Diese Frage sorgt unter anderem auf dem Twitter-Nachfolger X für Diskussionen. In einem mittlerweile gelöschten Post findet eine Userin, dass nicht jeder den Vertrag selbst lesen sollte. Stattdessen soll man die Experten reden lassen.
Dafür hat FDP-Politiker Matthias Müller, ein Gegner der Verträge, kein Verständnis. «Befürworter des Rahmenabkommens wollen, dass wir, die einfachen Bürger, den EU-Deal nicht selbst studieren», sagt er. «Demokratie lebt vom Mitdenken, nicht vom Nachplappern.»
Seine Reaktion auf den Ursprungspost schliesst er mit der Bitte ab: «Lest das Abkommen selbst minutiös durch. Es ist tiefgreifend – und betrifft uns alle.»

Gegenüber Nau.ch führt der Vizepräsident der FDP Kanton Zürich aus, es gehe bei den Verträgen um «fundamentale Fragen».
Diese würden «unsere Souveränität und Demokratie» betreffen. Das Verhältnis zur EU werde auf eine neue Ebene gestellt. Deshalb sei es wichtig, dass sich jeder und jede mit dem Deal befasse.
GLP-Grossen: Experten-Einordnungen helfen in komplexer Welt
Grundsätzlich hat daran auch Befürworter Jürg Grossen nicht auszusetzen. Der GLP-Präsident sagt auf Anfrage: «Ich begrüsse es, wenn sich möglichst viele Bürgerinnen und Bürger im Detail mit politischen Fragestellungen befassen.»
Weiter sagt er: «Es sollen alle transparent zu allen Informationen kommen, auch zu den neuen Verträgen mit der EU.»

Man könne sich aber schlicht nicht immer selbst informieren. Grossen sagt: «Wir alle sind in einer immer komplexer werdenden Welt darauf angewiesen, dass komplexe Sachverhalte auch wahrheitsgerecht und verständlich zusammengefasst zur Verfügung stehen.»
Einordnungen in den Medien oder von Experten können hier laut dem GLP-Präsidenten helfen.
Müller: Viele Experten aus der «europhilen Ecke»
Müller gibt zu, dass der Text kein einfacher Lesestoff ist. «Die Rahmenverträge und dazugehörige Materialien erstrecken sich leider auf fast 2000 Seiten.» Sie seien zudem «hochgradig komplex und in Amtsdeutsch verfasst».
«Trotzdem lohnt es sich, das Papier in die Hand zu nehmen», ist für Müller klar. Denn es gehe um zentrale Fragestellungen.

Bei den Experten oder Verbänden wisse man jeweils nicht genau, welche Interessen diese vertreten würden. Beispielsweise würden viele Experten aus einer «europhilen Ecke» kommen. Das wolle er nicht kritisieren, betont Müller – aber umso wichtiger sei es deshalb, sich selbst ein Bild zu machen.
Die Politik werde zwar allgemein immer komplizierter, räumt Müller ein. Dennoch brauche es aktive und informierte Bürgerinnen und Bürger. «Wenn nur noch Experten mitreden können oder dürfen, landen wir in einer Technokratie.»
Grossen: «Politik ist bei uns sehr volksnah»
Grossen von der GLP glaubt derweil nicht, dass die Demokratie elitärer wird. «Wenn, dann ist eher das Gegenteil der Fall.» Heute könne man beispielsweise alle Parlamentsdebatten online verfolgen.

Zudem könne man die Parlamentsmitglieder in der Öffentlichkeit ansprechen oder sich per Mail und telefonisch an sie wenden. «Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern ist bei uns die Politik sehr volksnah», sagt Grossen.