Ultracyclerin Nicole Reist ab Dienstag deshalb auf Rekordjagd in Europa.
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Ein Flugzeug von unten. (Symbolbild) - Keystone
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Eigentlich wäre Nicole Reist Mitte Juni 2021 zum dritten Mal am Race Across America gestartet – dem härtesten Nonstop-Ultracycling-Rennen der Welt über 5000 Kilometer von der amerikanischen West- an die Ostküste. Sie wollte da erneut Geschichte schreiben.

Doch der Traum platzte wenige Tage vor der Abreise: Der Schweizer Spitzenathletin und ihrem Team wurde aufgrund von Corona-Regelungen die Einreise in die USA verweigert. Nun hat die Hochbautechnikerin und Extremradsportlerin ihre Saison 2021 umgeplant und geht stattdessen in Europa auf Rekordjagd: Am Dienstag, 10. August 2021, startet sie zum Race Around Austria und am 17. September zum Adriatic Cycling Marathon in Italien.

Statement von Nicole Reist

«Wir haben alles – wirklich alles – versucht, um in die USA einreisen zu dürfen. Wir haben alle Kontakte, Botschaften und Hebel in Bewegung gesetzt, die wir irgendwie nur konnten. Letztlich haben die Organisatoren des Race Across America sogar höchst persönlich unsere Visa beantragt. Es nützte nichts. Athleten des RAAM sind in der aktuellen Lage generell nicht visumsberechtigt. Zu wenig wichtig ist das härteste Ultracycling-Rennen der Welt offenbar für Amerika, zu wenig angesehen die Sportler und Sportlerinnen. Es ist definitiv: Wir dürfen nicht in die USA einreisen und ich werde dieses Jahr nicht am RAAM starten können. Meine Enttäuschung ist zurzeit unbeschreiblich.»

Dies postete Nicole Reist anfangs Juni auf ihren Social-Media-Kanälen, nur wenige Tage vor der geplanten Abreise nach Übersee. Bereits zum zweiten Mal schon platzte der Traum von Amerika wegen Corona.

Sie wäre aber nicht Nicole Reist, wenn sie die grosse Enttäuschung nicht rasch überwinden und neue Pläne schmieden würde. Statt in Amerika geht sie ab nächster Woche kurzerhand erneut in Europa auf Rekordjagd.

Ab Dienstag: Rekord-Ambitionen am Race Around Austria

Ursprünglich wäre es das Saison-Dessert gewesen, nun wird es eben zum Hauptgang. Am nächsten Dienstag, 10. August 2021, um 8.25 Uhr, startet Nicole Reist in St. Georgen im Attergau zum Race Around Austria entlang der österreichischen Grenze, über 2200 Kilometer und 35'000 Höhenmeter nonstop.

Das erklärte Ziel ist nicht nur einfach ein weiterer Sieg bei den Frauen, sondern ihren eigenen Damen- Streckenrekord von 4 Tagen und 9 Stunden aus dem Jahr 2019 zu unterbieten. «Ich bin seit September 2018 im Trainingsaufbau für meine grossen Ziele in Amerika und heute noch besser in Form, als ich es je war!», kommentiert die Spitzenathletin ihren Plan.

Heimlicher Traum von Nicole Reist

«Die schwer einschätzbare Regeneration nach Amerika ist nun weggefallen. Wenn alles ganz optimal läuft, könnte in Österreich deshalb sogar eine Zeit unter 4 Tagen drin liegen», offenbart Nicole Reist ihren heimlichen Traum.

Dies haben letztes Jahr nur gerade drei männliche Athleten geschafft. Keiner von ihnen steht in diesem Jahr auf der Startliste. Nicole Reist dürfte also in diesem Rennen einmal mehr das Potenzial haben, auch im Overall-Feld ganz vorne mitzumischen.

Nur schon mit dem äusserst realistischen 1. Rang bei den Damen würde Nicole Reist indes erneut Geschichte schreiben: Ihr 5. Sieg am Race Around Austria würde sie zur alleinigen Rekordhalterin machen. Damit würde sie gar die lebende Ultracyling-Legende Christoph Strasser aus Österreich überholen.

Adriatic Cycling Marathon zum Dessert

Doch damit nicht genug. Am 17. September 2021 startet Nicole Reist zudem zum zweiten Mal am Adriatic Cycling Marathon in Süditalien. An dem noch eher jungen Rennen über 1200 Kilometer und 7000 Höhenmeter gelang ihr letztes Jahr als Frau der historische Overallsieg, mit einer Zeit von 43 Stunden und 40 Minuten. Diesen Overall-Streckenrekord will sie dieses Jahr nochmals unterbieten.

Obwohl das Terrain an diesem Rennen für die «Berggeiss» eher etwas flach ist, ist eine schnellere Zeit realistisch: «Letztes Jahr nahm ich sehr kurzfristig an diesem Wettkampf teil und es lief einiges nicht nach Plan.

Es besteht also Verbesserungspotenzial», analysiert sie nüchtern. «Zudem konnte ich in den letzten Jahren auf der Fläche nochmals zulegen». Der Adriatic Cycling Marathon führt von Francavilla al Mare bei Pescara, auf der Höhe von Rom an der italienischen Ostküste gelegen, nach Südosten via Bari, um den Stiefelabsatz von Italien herum und wieder zurück.

Nicole Reist seit Jahren das Mass der Dinge

Im Ultracycling der Frauen ist die in Tann im Zürcher Oberland aufgewachsene Nicole Reist seit Jahren das Mass der Dinge und hat alles erreicht, was in diesem Extrem-Radsport zu erreichen ist – und dies, obwohl sie in einem Vollzeitpensum als Hochbautechnikerin arbeitet.

Sie ist vierfache Weltmeisterin, Europameisterin und zweifache Schweizermeisterin, hat schon viermal das 1000-Kilometer-Rennen TORTOUR rund um die Schweiz gewonnen, viermal das Race Around Austria mit 2200 Kilometern, viermal den österreichischen Glocknerman mit 1000 Kilometern, ebenso das 2150 Kilometer lange Race around Ireland, zweimal das 2600 Kilometer lange Race Across France sowie den Adriatic Marathon über 1200 Kilometer als Overallsieg und zweimal das legendäre, fast 5000 Kilometer lange Race Across America.

Seit 2012 hat sie jedes Jahr mindestens ein namhaftes Rennen gewonnen und als nach Amerika kein noch härterer Wettkampf zu finden war, um die eigenen Grenzen auszuloten, hat Nicole Reist einfach angefangen, mehrere Rennen in einer Saison aneinanderzureihen.

So hat die Ausnahmeathletin in den letzten Jahren stets mit Wettkampfkombinationen für Furore gesorgt, die in der Ultracyclingszene eigentlich als unmöglich galten, da die Erholungsphasen für den Körper zwischen den einzelnen Rennen normalerweise viel länger als nur wenige Wochen oder gar Tage sein müssten.

Zusammenspiel von Körper und Kopf

Ultracycling ist Ausdauer-Radsport in Extremis: Strecken von mehreren tausend Kilometern werden dabei am Stück zurückgelegt sowie ganze Länder durchquert oder umrundet.

Die Athleten sitzen dabei tagelang im Sattel, oft ganz ohne zu schlafen. «Ein Ultracycling-Rennen beinhaltet trotz der Erfahrung von mir und der Crew immer wieder viele Unbekannte.

Was möglich ist, hängt jeweils auch stark von äusseren Bedingungen wie dem Wetter ab», erklärt Nicole Reist. «Ich weiss aber, dass ich die körperlichen Voraussetzungen für meine Ziele habe und auch mental stark bin.» Denn der Kopf ist bei Ultracycling- Rennen absolut entscheidend – dann nämlich, wenn die Beine nicht mehr wollen.

«Genau dieses Zusammenspiel von Körper und Geist fasziniert mich an diesem Sport. Das eine geht nicht ohne das andere», so die passionierte Ultracyclerin.

«Genauso wichtig ist aber auch das Team, das mich während der Rennen mit dem Auto begleitet, mich betreut, navigiert, für Unterhaltung sorgt, mich wachhält und mein Essen bereitstellt. Ultracycling ist also nicht einfach ein Einzelsport», betont Nicole Reist. «Ohne mein Team ginge das alles nicht!»

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