Marko Kovic: «Warum Elon Musk Angst vor der EU hat!»
«Oligarchen und Autokraten wollen die EU zerstören, weil sie sich vor ihr fürchten», schreibt Marko Kovic in seiner Kolumne.

Das Wichtigste in Kürze
- Der bekannte Sozialwissenschaftler Marko Kovic schreibt regelmässig Kolumnen auf Nau.ch.
- Die EU sei alles andere als perfekt, aber wichtiger denn je, schreibt Kovic.
Die Europäische Union hat X (ehemals Twitter) Anfang Dezember eine grosse Busse auferlegt. Elon Musks Social-Media-Plattform muss der EU 120 Millionen Euro zahlen.
Der Grund für die Busse sind Verstösse gegen den «Digital Services Act» der EU. Denn: Auf X kann sich jeder Account gegen Bezahlung «verifizieren» lassen, ohne dass die Identität der Accounts tatsächlich überprüft wird.
Elon Musk akzeptiert Urteil nicht
X weist nicht transparent aus, wer hinter Werbung steht, die auf X geschaltet wird. Und X weigert sich, Zugang zu Daten für wissenschaftliche Zwecke bereitzustellen.
Elon Musk rechtfertigt das Fehlverhalten seines Unternehmens und akzeptiert das Urteil nicht. Im Gegenteil: Er verkündet auf X, dass die EU aufgelöst werden soll (Bild unten).
Zuspruch erhält er von Dmitry Medvedev, einem hochrangigen Mitglied der Putin-Regierung. Und Abertausende Menschen mit populistischen Neigungen, viele von ihnen selbst Europäer, brechen in den Kommentaren in Euphorie aus.

Ein Dorn im Auge der Autokraten
Diese Konstellation ist kein Zufall. Mächtige Oligarchen wie Elon Musk und Autokraten wie Putin wollen die EU zerstören. Denn: Die Europäische Union ist das letzte grosse Bollwerk gegen Autoritarismus.
Mit einer Bevölkerung von rund 450 Millionen Menschen und einer Wirtschaftsleistung von rund 20 Billionen ist die EU auf Augenhöhe mit den USA und China. Und sie stellt Russland in den Schatten.
Die EU hat politische und wirtschaftliche Macht. Sie ist mächtig genug, dass sie Elon Musks Produkte regulieren kann. Sie ist mächtig genug, dass sie Russland militärisch Paroli bieten kann. Und sie ist mächtig genug, dass die Trump-Regierung nicht ganz freie Bahn in Europa hat.
EU-Länder würden von den Grossmächten zermürbt
Gäbe es die EU nicht mehr, würde es den europäischen Ländern ergehen wie unlängst der Schweiz mit den Trump-Zöllen: Sie würden von den Grossmächten zermürbt.
Einzelne europäische Länder wären den USA, China und Russland mehr oder weniger hilflos ausgeliefert.
Tech-Oligarchen wie Elon Musk oder Peter Thiel haben mit einzelnen Ländern in Sachen Lobbying, Drohungen und Erpressung leichtes Spiel.
Russland könnte europäische Demokratien viel wirksamer unterwandern, wenn es keine europäische Geschlossenheit gäbe.

Populistische Rhetorik
Interessant ist, wie die Autokraten und Oligarchen, die sich die Zerstörung der EU wünschen, ihre Propaganda gestalten. Sie sagen natürlich nicht offen, warum sie eine Welt ohne EU anstreben – es geht um Macht und Geld.
Stattdessen nutzen sie populistische Rhetorik, um Menschen, denen sie eigentlich schaden, auf ihre Seite zu bringen.
Sie sagen, dass die EU undemokratisch sei und dass sie Meinungsfreiheit unterbinde. Solche populistischen Stammtischargumente sind natürlich offenkundiger Unsinn.
Eigene Interessen im Vordergrund
Wer glaubt, dass Milliardäre wie Elon Musk ernsthaft um Demokratie in Europa besorgt sind und nicht einfach ihre ökonomischen Interessen verfolgen, hat den Bezug zur Realität verloren.
Elon Musk kritisiert die EU wegen einer Busse gegen X – und lässt sich dafür vom Kreml beklatschen. Aber den Umstand, dass X in Russland komplett gesperrt ist, kommentiert Elon Musk überhaupt nicht.
So albern die Anti-EU-Propaganda sein mag: Sie funktioniert.
Rational über Sachverhalte zu diskutieren? Schwierig
Viele Menschen sind heute umfassend auf Krawall konditioniert. Jahrelange Propaganda von Parteien wie AfD, FPÖ oder SVP und die enthemmtere, irrationalere Debatte auf Social Media, wie auch in klassischen Massenmedien, haben Spuren hinterlassen.
Es ist immer weniger möglich, im Rahmen der öffentlichen Debatte rational über Sachverhalte zu diskutieren.
Die Aufmerksamkeitsökonomie hat sich drastisch verschärft. Immer mehr Menschen benötigen den schnellen Dopamin-Kick: Eine krasse, einfache, emotionale Botschaft, die sofort intensiv stimuliert. Und die weit und breit besten Dopamin-Dealer sind Oligarchen und Populisten.
Die EU ist alles andere als perfekt – aber besser als die Alternative
Ich bin kein glühender EU-Anhänger. Im Gegenteil: Ich finde, dass die EU ein intransparenter, bürokratischer Koloss ist.
Mit ihrem Spagat zwischen demokratischer Offenheit und zentralisierter Entscheidungsfähigkeit befindet sich die EU in einer eigentümlichen Zone der frustrierenden Unwirksamkeit.
Die direkte Beteiligung der europäischen Bevölkerung ist limitiert. Aber gleichzeitig ist die EU wegen ihrer demokratischen Bestrebungen ausgesprochen träge und langsam. An der EU könnte man zweifellos Vieles verbessern.
Und trotzdem ist die Existenz der EU in ihrer jetzigen Form besser als ein Europa ohne Europäische Union.

Europa ist dank der EU eine Grossmacht
Die EU ist eines der erfolgreichsten Friedensprojekte der Geschichte. Dutzende Länder, die historisch immer in Konflikte gegeneinander verwickelt waren, fanden mit der EU und ihren Vorläufern zu friedlicher Kooperation. Und sie fanden zu gemeinsamer Stärke.
Die EU ist mehr als die Summe ihrer Teile. Europa ist dank der EU nicht mehr ein politischer Spielball grosser Mächte. Europa ist dank der EU selbst eine Grossmacht.
Genau darum wollen die Musks, Putins und Trumps dieser Welt die EU zerstören.
Sie wollen, dass sie in Europa uneingeschränkt schalten und walten und wüten können, wie es ihnen beliebt. Sie wollen, dass sich ihnen niemand widersetzen kann.
Die EU ist alles andere als perfekt. Die Oligarchen und Potentaten, die die EU abschaffen wollen, sind aber das beste Argument dafür, dass die EU wichtiger denn je ist.
Zum Autor
Marko Kovic ist Gesellschaftskritiker. Er interessiert sich für gesellschaftlichen Wandel und die Frage, ob wir noch zu retten sind. Er lebt in Uzwil SG.












