Kovic: Rechtspopulismus ist der erfolgreichste politische Schwindel

Marko Kovic
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Flawil,

«Wir sind längst keine rationale Gesellschaft mehr», schreibt Sozialwissenschaftler Marko Kovic in seiner neuesten Kolumne.

Donald Trump
US-Präsident Donald Trump. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Der bekannte Sozialwissenschaftler Marko Kovic schreibt regelmässig Kolumnen auf Nau.ch.
  • Heute schreibt Kovic über den Verlust der Gesundheitsversicherung in den USA.
  • Und über die grosse Gefahr, die von Rechtspopulismus ausgeht.

Die Gesundheitsversicherung «Medicaid» ist eines der grössten und bedeutendsten sozialstaatlichen Programme der USA.

Mehr als 71 Millionen Menschen, die ein geringes Einkommen haben oder von Armut betroffen sind, erhalten ihre Gesundheitsversorgung über Medicaid. Teure private Krankenversicherungen können sie sich nicht leisten.

Im Wahlkampf und nach Beginn seiner Amtszeit versprach Donald Trump immer wieder, dass er «Medicaid» nicht anrühren werde. Sein Kabinett werde «Medicaid lieben und ehren» («love and cherish»).

Donald Trump: Sein Versprechen als Lüge

Donald Trumps Versprechen war eine monumentale Lüge. Donald Trump und die Republikanische Partei haben im Kongress unlängst den «Big Beautiful Bill» durchgebracht.

Mit dem Gesetz wurde eine Kürzung von «Medicaid» in Höhe von rund einer Billion Dollar für die kommenden zehn Jahre beschlossen. Rund zwölf Millionen Menschen dürften Zugang zu «Medicaid» verlieren.

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Marko Kovic schreibt in seiner Kolumne über die Politik der Grausamkeit. - Nau.ch

Unteren Schichten zahlen den Preis

Aber vielleicht ist das halb so wild? Mit dem Gesetz wurden gleichzeitig auch grosse Steuersenkungen beschlossen.

Viele ärmere Menschen verlieren ihre Gesundheitsversicherung, aber weil sie weniger Steuern zahlen, können sie sich einfach eine private Krankenversicherung leisten. Richtig? Falsch.

Der «Big Beautiful Bill» begünstigt gesamthaft vor allem die obere Mittelschicht – und die Reichen. Die unteren Schichten zahlen den Preis.

Reist du zurzeit in die USA?

Wehe, wenn sie an die Macht kommen ...

Donald Trumps jüngster Betrug an seinen Wählern ist ein Lied so alt wie der Populismus selbst.

Rechtspopulisten auf der ganzen Welt punkten bei Menschen, die in der neoliberalen Umwälzung der letzten Jahrzehnte verloren haben (oder sich so fühlen).

Die Populisten knüpfen in ihrer Propaganda gekonnt an die materiellen Sorgen dieser Globalisierungsverlierer an.

Aber dann, wenn sie an die Macht kommen, machen Populisten in Tat und Wahrheit genau jene neoliberale ökonomische Politik, die die Reichen reicher und die Armen ärmer macht.

Rechtspopulismus ist der erfolgreichste politische Schwindel unserer Zeit.

Das ist an sich nicht neu. Donald Trump und die AfD und die SVP und die FPÖ und wie sie alle heissen, sind seit jeher politische Scharlatane. Aber die politische Entwicklung, die wir in den letzten Jahren beobachten, sprengt alles bisher Dagewesene.

Homo Homini Lupus

Einer der ideologischen Pfeiler der neoliberalen Revolution ab den 1980er-Jahren ist das Dogma der Atomisierung.

So etwas wie Gesellschaft, hielt einst Margaret Thatcher fest, gibt es nicht. Es gibt nur individuelle Männer und Frauen und Familien. (Darum, so der weitergeführte Gedanke, sind Regulierung und Umverteilung und zu viel Staat schlecht.)

Wenn es so etwas wie Gesellschaft nicht gibt, gibt es auch so etwas wie gesellschaftlichen Zusammenhalt und Solidarität nicht.

Es gibt nur den permanenten Konkurrenzkampf in einem Nullsummenspiel um Status und Macht. Damit ich gewinne, müssen andere verlieren. Es gibt keine Gesellschaft. Es gibt nur Meritokratie.

Nicht genug angestrengt?

Meritokratie klingt gut, funktioniert in der Praxis aber natürlich bestenfalls nur sehr bedingt.

Egal, wie sehr wir uns anstrengen, niemals werden wir alle Millionäre und Milliardäre sein. So funktioniert Kapitalismus schlicht nicht. Das muss er auch nicht.

Aber: Meritokratie als ideologischer Überbau unserer Gesellschaftsordnung lässt uns glauben, dass wir es alle schaffen können, wenn wir uns genug anstrengen.

Wer es nicht schafft, hat sich einfach nicht genug angestrengt.

Damit es mir gut geht, müssen andere leiden

Rechtspopulisten knüpfen an neoliberale ökonomische Politik und an neoliberale Ideologie an. Und treiben sie auf einen fieberhaften, neuen Höhepunkt.

Früher galt: Damit ich gewinne, müssen andere verlieren. Im Zeitalter der Rechtspopulisten gilt: Damit es mir gut geht, müssen andere leiden.

Rechtspopulistische Politik ist nicht nur ein neoliberaler Klassenkampf gegen unten. Rechtspopulistische Politik ist eine Politik der Grausamkeit.

Die ideologische Vision eines atomisierten Konkurrenzkampfes wurde unter den Rechtspopulisten weitergesponnen. Was als individualistisches Leistungsdenken begann, ist zur ideologischen Legitimation sozialer Grausamkeit mutiert.

Schlecht und böse

Zu einer brutalisierten Neuauflage von Homo Homini Lupus als Gesellschaftsbild. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.

Menschen, besonders «die anderen», sind schlecht und böse. Darum muss man sie umfassend und grundlegend bestrafen.

Darum muss man ihnen Gesundheitsversorgung entziehen. Darum muss man sie, wie die SVP fordert, daran hindern, Kinder zu kriegen.

Darum muss man sie, wie es aktuell in den USA flächendeckend geschieht, mit maskierten Einsatztruppen der Behörde «ICE» deportieren. Auch dann, wenn es sich um Menschen mit Aufenthaltsbewilligung handelt. Und auch dann, wenn es sich um krebskranke Kinder handelt.

Marko Kovic Donald Trump
Marko Kovic schreibt auf Nau.ch Kolumnen. - zvg

Moralische und ökonomische Implosion

Die Rechtspopulisten sind die propagandistischen Dirigenten der Verrohung der Gesellschaft — aber viele von uns, vielleicht die meisten von uns, machen bei dem Konzert der Verrohung mit.

Wir kriegen die Politik, die wir verdienen. Wir wollen glauben, dass gesellschaftliche Hierarchien die Folge individueller Anstrengung oder individueller Faulheit sind.

Und wir wollen jene, die zu faul sind, ja nicht für ihre Faulheit belohnen. Nichts ärgert uns so sehr wie Schmarotzer. Wir müssen die Schmarotzer bestrafen. Damit es mir gut geht, müssen andere leiden.

Warten auf den eigenen Erfolg

Ein zentraler Baustein dieser Politik der Grausamkeit ist zudem der Glaube, dass der grosse persönliche Erfolg kurz bevor steht.

Es mag mir im Moment materiell nicht besonders gut gehen, aber ich gehöre nicht zu den Faulen. Ich gebe mein Bestes und bin fleissig — und ich oder meine Kinder stehen darum unmittelbar vor dem grossen Erfolg.

Diese meritokratische Illusion ist eines der Fundamente, das die rechtspopulistische Politik der Grausamkeit möglich macht.

Auch jene, die unter den Rechtspopulisten leiden, werden die Rechtspopulisten weiter wählen, weil sie sich selbst nicht als Teil der Minderwertigen sehen, die zurecht bestraft werden.

Die neue Politik der Grausamkeit muss man aber nicht mal auf einer moralphilosophischen Ebene kritisieren. Ein halbwegs rationaler Blick auf ökonomische Realitäten genügt.

Ich habe bereits darüber geschrieben, dass die Rechtspopulisten ökonomische Selbstzerstörung betreiben.

Kapitalismus ist eine sehr produktive ökonomische Ordnung, die gesellschaftlichen Fortschritt ermöglicht. Aber nur unter der Bedingung, dass kapitalistische Anreizstrukturen mit einem ausreichend grossen Mass an Umverteilung kombiniert werden.

Wie geht es der Unterschicht?

Damit sich auch jene Menschen, die als Arbeitskräfte den Motor des Kapitalismus am Laufen halten, am wirtschaftlichen Kreislauf beteiligen können.

Eine funktionierende Volkswirtschaft bemisst sich nicht daran, wie gut es den oberen zehn Prozent geht, sondern daran, wie gut es den unteren neunzig Prozent geht.

Aber es fühlt sich ehrlich gesagt albern an, solche Argumente im Lichte der gegenwärtigen politischen Brutalisierung zu machen.

Interessiert es dich, wie es anderen geht?

Massive und grausame Umverteilung von unten nach oben ist offensichtlich sehr schlecht, wenn man nur schon über ein Minimum analytischer Seriosität, über ein Minimum rationalen Denkens verfügt.

Aber genau hier liegt das Problem. Wir sind längst keine rationale Gesellschaft mehr.

Wir sind eine grundlegend und umfassend propagandisierte Gesellschaft, die nach einem irrationalen Mantra operiert: Damit es mir gut geht, müssen andere leiden.

Zum Autor: Marko Kovic ist Gesellschaftskritiker. Er interessiert sich für gesellschaftlichen Wandel und die Frage, ob wir noch zu retten sind. Er lebt in Uzwil SG.

Kommentare

User #1195 (nicht angemeldet)

Was sagte Kennedy, überlege nicht was der Staat für dich tun kann sondern denke darüber nach was du für den Staat tun kannst.

User #1406 (nicht angemeldet)

Es ist wiedermal herrlich zu lesen hier, wie rechts gegen link und umgekehrt sich sinnlosen abwerten hingeben. Einfach Parolen schreiben und oftmals blind wiedergeben was die eigene Partei postuliert. So kommen wir nie vom Fleck

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