Hans-Ulrich Bigler: EU-Verträge – und weiter geht die Trickserei!
Bei den EU-Verträgen werde das Schweizer Stimmvolk für dumm verkauft, findet Hans-Ulrich Bigler in seinem Kommentar.

Das Wichtigste in Kürze
- Hans-Ulrich Bigler schreibt über die Verträge mit der EU.
- Der Eindruck sei nicht von der Hand zu weisen, dass man das Stimmvolk fürchte.
- Das Argument, der (Wirtschafts-)Standort Schweiz würde gestärkt, sei heuchlerisch.
Monatelang waren die Verträge der Schweiz mit der EU von Geheimniskrämerei umwoben. Niemand durfte Bescheid wissen. Nur ganz wenige, handverlesene Persönlichkeiten durften den Vertrag im Voraus lesen.
Pointiert formuliert: Das so noch nie dagewesene Vorgehen ist einer direkten Demokratie unwürdig! Das Stimmvolk wird für dumm verkauft.
Leider kein Krimi-Schunken
Doch damit nicht genug, weiter geht es mit der Trickserei: Vor einem Monat wurde das Geheimnis gelüftet und das Vernehmlassungsverfahen eröffnet. Man muss sich das zuerst einmal auf der Zunge zergehen lassen. 1180 Seiten Gesetzestext, 930 Seiten erläuternder Bericht.
Ein Monumentalwerk. Nur: So süffig zu lesen wie ein Krimi-Schunken ist es leider nicht. Im Gegenteil, praktisch jeder zweite Satz ist in schwerfälligem Beamtendeutsch mit Querverweisen auf andere Dokumente gespickt.
Mehrbürokratie wird heruntergespielt
Störend zudem die schönfärberische Stossrichtung im erläuternden Bericht, der kaum irgendwelche Risiken für unser Land ausmachen kann.
Insbesondere wird die massive Mehrbürokratie, die der autonome Rechtsnachvollzug über die kommenden Jahre hinweg für Wirtschaft und namentlich KMU bringen wird, heruntergespielt.
So erstaunt es nicht, wenn der Tessiner Bundesrat Ignazio Cassis vor versammelter Presse von einer «strategischen Notwendigkeit» spricht. Das kann man so beurteilen.

Erstaunlich ist aber, dass der gleiche Bundesrat verhindern will, dass das Volk dazu mit dem doppelten Mehr (Volk und Stände) an der Urne Stellung nehmen kann.
Man fürchtet das Stimmvolk
Der Eindruck ist nicht von der Hand zu weisen, dass man das Stimmvolk fürchtet. Und die Verträge mit Biegen und Brechen an ihm vorbeibringen will.
Wohltuend die andere Stimme des Tessiner Ständerates Fabio Regazzi. Unmissverständlich hält er in einem Beitrag in der «Weltwoche» fest: «Das doppelte Mehr stärkt das Vertrauen der Bevölkerung in die politischen Institutionen.»
Und noch deutlicher doppelt er nach: «Ohne das Ständemehr würde die Schweiz, sozialistischer, zentralistischer, ja, am Ende weniger Schweiz sein.»

Dem gilt es nichts beizufügen, ausser dass noch mehr Politiker Mut zu derartig klarem Stellungsbezug hätten.
Doch damit nicht genug. Der Bundesrat geht noch weiter und beziffert die wirtschaftlichen Einbussen mit zwei von ihm bestellten Auftragsgutachten bis 2045 auf kumuliert 500 Milliarden Franken.
Zu Recht hat der renommierte Wirtschaftsprofessor Rainer Eichenberger diese penible Drohkulisse als unseriös zurückgewiesen.
In jedem ersten Volkswirtschafts-Lehrgang bekommt man mit, dass derartige Szenarien ausschliesslich von den getroffenen Annahmen abhängen.
Laut Einschätzung von Eichenberger ergibt es mit Blick auf reale Löhne und Arbeitseinkommen im Mittel ohne Bilaterale I einen Rückgang des Arbeitseinkommens von 0,62 Prozent.
Wenig erstaunlich, dass economiesuisse und Arbeitgeberverband das anders sehen.
Vollmundig lassen sie in einer Medienmitteilung verkünden, dass «die Wirtschaft» die Bilateralen III unterstütze. Arrogant der Anspruch, für die ganze Wirtschaft zu sprechen, nachdem es neben ihnen gewichtigere Wirtschaftsdachverbände gibt.
Mit Blick auf die angeschlossenen Mitgliedverbände ist es kaum seriös, dass eine Stellungnahme zu diesem umfassenden Wälzer schon nach knapp einem ersten Monat möglich ist.
Argumentationsführung ein No-Brainer
Bei Lichte besehen ist aber auch die Argumentationsführung weitgehend ein No-Brainer. Da wird eine unternehmensfreundliche Umsetzung der Abkommen in der Schweizer Gesetzgebung verlangt.
Eine Schlaumeierei sondergleichen. Wer weiss denn schon, was die Verträge angesichts der autonomen Rechtsübernahme in den kommenden Jahrzehnten bringen würden?
Weitgehende Floskeln sind auch beim zentralen Problem der Personenfreizügigkeit zu hören. Die Ausgestaltung der Schutzklausel im Bereich der Zuwanderung müsse vertieft geprüft werden.
Tönt gut. Nur wartet man seit Monaten gespannt auf konkrete Vorschläge. Noch Ende Jahr hielt der Präsident von conomiesuisse in einem Interview der «NZZ» dazu fest, dass eine Jahresnettozuwanderung im sechsstelligen Bereich einfach zu viel sei. Heute ist dazu nichts mehr zu hören.

Absehbar ist dagegen heute schon, dass der vorgesehene Mechanismus zur Schutzklausel schwammig und kaum anwendbar ist.
Es lohnt in diesem Zusammenhang, sich die Prognose zur ersten Abstimmung Bilaterale I vor zwanzig Jahren vor Augen zu halten: 8000 bis 10'000 Zuwanderer pro Jahr laut damaligem Bundesrat.
Was heute tatsächlich eingetroffen ist, sehen wir täglich im Alltag, in den Zügen, auf den Strassen oder im Wohnungsbau.
Im Falle einer Uneinigkeit hätte die Schweiz die Möglichkeit des Schiedsgerichts, wenden die Befürworter der Verträge ein. Bei Uneinigkeit käme es lediglich zu Ausgleichsmassnahmen der EU.
Schwer vorstellbar, dass es im Streitfall überhaupt dazu kommen würde. Viel eher macht die Politik vor Brüssel den Kniefall im Voraus, kuscht und passt sich an.
Gut zu dieser Prognose passt die Zeitungsmeldung von letzter Woche, wonach die Schweiz schon bald Mehrwertsteuern für die EU-Staaaten eintreiben – und dazu ein entsprechendes Abkommen aktualisieren will.
Heuchlerisches Argument
So ist denn das Argument, der (Wirtschafts-)Standort Schweiz würde gestärkt, heuchlerisch. Alle Indikatoren unserer Wirtschaft sind besser als die der EU-Staaten.
Warum sollte sich also unser Land nach unten nivellieren, sich mehr Bürokratie und Vorschriften der EU einhandeln – und dabei das wichtigste Gut, unsere Souveränität, aufgeben?
Zur Person: Hans-Ulrich Bigler ist Ökonom und war von 2008 bis 2023 Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands (SGV). Er ist im Vorstand mehrerer Verbände und sass von 2015 bis 2019 für die FDP im Nationalrat. Heute ist Bigler SVP-Mitglied.