Hans-Ulrich Bigler: Regulierungsabbau ist eine Sisyphus-Arbeit
«Ausufernde gesetzliche Regulierungen führen in den Unternehmen zu unnötigen Kosten», schreibt Hans-Ulrich Bigler in seiner Kolumne.

Das Wichtigste in Kürze
- Hans-Ulrich Bigler schreibt regelmässig Kolumnen auf Nau.ch.
- Heute schreibt er über den Regulierungsabbau.
- Dies sei besonders im Hinblick auf die EU-Rahmenverträge wichtig.
Wer regelmässig landauf, landab an KMU-Veranstaltungen teilnimmt, hört stets die gleiche Klage: Übertriebene Regulierungen des Staates sind das grösste Problem.
Sie gehen zu Lasten der unternehmerischen Produktivität und gefährden im schlimmsten Fall Standort-Vorteile im internationalen Wettbewerb.
Warum gestaltet sich angesichts dieser offensichtlichen Gefahren der Regulierungsabbau seit Jahren als eine wahre Sisyphus-Arbeit?
Sisyphus, eine Figur der griechischen Antike, überlistete die Unterwelt. Als Strafe wurde er gezwungen, einen Felsbrocken einen steilen Hang hinaufzurollen. Fast am Gipfel angelangt, rollte der Stein zurück, die Arbeit begann von Neuem.
Eigenverantwortung vor staatlichen Eingriffen
Erfolgreicher Regulierungsabbau beachtet als oberstes Gebot gesunde Ordnungspolitik. Eigenverantwortung und unternehmerisches Handeln kommen immer vor staatlichen Eingriffen.
Der Staat soll nur in jenen Bereichen eine Verantwortung übernehmen, die tatsächlich eine gesamtgesellschaftliche Koordination benötigen. Wie beispielsweise in der Sozialpolitik.
Soweit die Sonntagspredigt. Im Alltag sieht es ganz anders aus.
Dieser Tage beschloss der Vorstand der «Economiesuisse» mit einer Gegenstimme, den Rahmenverträgen mit der EU zuzustimmen – und damit die Souveränität der Schweiz aufzugeben.
Fülle an neuen Regulierungen droht
Die Medienmitteilung dazu liest sich wie ein schlechter Scherz. Das Paket mit der EU schaffe Planungssicherheit, stärke die Wettbewerbsfähigkeit und sichere Wohlstand und Arbeitskräfte.
Schalmeienklänge, die über das wesentliche Problem hinwegsehen. Denn: Eine vertragliche Annäherung an die EU bringt der Schweizer Wirtschaft eine Fülle an neuen Regulierungen.
Was da auf uns zukommt, verdeutlicht unter anderem das neue Lebensmittelsicherheitsabkommen, ein Teilvertragswerk der EU-Rahmenabkommen.
Schweizer Recht wird damit durch EU-Vorschriften ersetzt, das Volk hat nichts mehr zu entscheiden. Vom Acker bis zum Teller wird die gesamte Nahrungsmittelkette reguliert, jeder Handgriff wird vorgeschrieben. Und jede Küche bis hin zum Frauenverein und Hofladen muss durch Beamte zertifiziert und kontrolliert werden.
Es geht um Wohlstand und Arbeitsplätze
Regulierungskosten belasten die Unternehmen, namentlich die KMU, mit unproduktiven Arbeiten am Bürotisch anstelle von Marktbearbeitung und Akquisition von Aufträgen.
Das Gegenteil der Behauptung von «Economiesuisse» ist wahr. Regulierungskosten – und namentlich diejenigen, die mit den EU-Rahmenverträgen auf uns zukommen – vermindern die internationale Wettbewerbsfähigkeit und schwächen den Standort-Vorteil.
Damit wenden sie sich auch gegen Wohlstand und Arbeitsplätze.
Das weiss «Econmiesuisse» sehr wohl. Noch vor wenigen Monaten erliess der Wirtschaftsverband einen «Wake up call» und rief vehement zum Regulierungsabbau auf.
Wenn es dann allerdings um die EU-Anschlussverträge geht, will man nichts mehr davon wissen. Kohärente Politik sieht anders aus.

Gesetzesentwurf mit Investorenfeindlichkeit
Aber auch die Schweizer Politik ist in die Verantwortung zu nehmen. Beispielhaft dafür steht das Investitionsprüfgesetz, das im Rat aktuell diskutiert wird.
Übernahmen inländischer Unternehmen durch ausländische Investoren sollen verhindert werden.
Anstatt Kapital in die Schweiz anzuziehen, glänzt die Schweiz mit diesem Gesetzesentwurf mit Investorenfeindlichkeit. Anstelle von Rechtssicherheit treten Aktenberge und endlose Bewilligungsgesuche.
Unproduktive Bürozeiten anstatt Kundengespräche, Geld für Berater und Juristen anstatt Innovation und betriebliches Wachstum.
Was ist also zu tun? Die Staatssekretärin des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) irrt, wenn sie behauptet, mit mehr Digitalisierung würden die Regulierungen abgebaut.
Das Problem ist nicht nur das Ausfüllen der Formulare an sich. Das Problem sind ausufernde gesetzliche Regulierungen, die in den Unternehmen zu unnötigen Kosten führen.
Eine Studie des Frauenhofer Instituts und der Uni St. Gallen hat schon vor Jahren gezeigt, dass die Regulierungskosten in der Schweiz rund zehn Prozent des Bruttoinlandprodukts betragen. Das sind rund 80 Milliarden Schweizer Franken.
Wenn es gelingt, nur schon zwanzig Prozent an unnötigen Regulierungen zu senken, schafft das für die Schweizer Wirtschaft Wachstum aus eigener Kraft.
Verwaltungsmühlen mahlen sehr langsam
Das Schweizer Parlament hat das im Grundsatz erkannt und das SECO vor zwei Jahren im Unternehmensentlastungsgesetz beauftragt, Gesetze zu identifizieren, die verschlankt werden können. Und zu Regulierungsabbau führen. Leider mahlen die Verwaltungsmühlen sehr langsam, konkrete Vorschläge liegen immer noch nicht auf dem Tisch.
Dies allein reicht jedoch nicht. Zusätzlich braucht es eine Regulierungskostenbremse. Ist in einem Gesetzesvorschlag eine bestimmte Anzahl an KMU betroffen, oder ist für die zu erwartenden Regulierungskosten eine bestimmte Kostenschwelle übertroffen, greifen im Parlament höhere Anforderungen an die Mehrheitsquoten.
Diese Forderung hat der Schweizerische Gewerbeverband schon vor Jahren erhoben. Und verlangt sie auch heute noch.
Als Metapher bedeutet Sisyphusarbeit im heutigen Sprachgebrauch eine Aufgabe, die trotz hohem Einsatz niemals abgeschlossen ist. Das gilt ganz besonders für den Regulierungskostenabbau.
Die Wirtschaftsverbände tun gut daran, sich an einer gesunden Ordnungspolitik zu orientieren und danach zu handeln.
Das gilt ganz besonders auch im Hinblick auf die Beurteilung der EU-Rahmenverträge.
Zur Person: Hans-Ulrich Bigler ist Ökonom und war von 2008 bis 2023 Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands (SGV). Er ist im Vorstand mehrerer Verbände und sass von 2015 bis 2019 für die FDP im Nationalrat. Heute ist Bigler SVP-Mitglied.