Bigler: «EU-Verträge sind eine leidige Geheimniskrämerei!»
«Diese Geheimniskrämerei rund um den EU-Vertragsentwurf ist wohl einzigartig», findet Kolumnist Hans-Ulrich Bigler. Und sagt: Hütet euch am Morgarten!

Das Wichtigste in Kürze
- Die SVP beurteilt die neuen Verträge zwischen der Schweiz und der EU sehr kritisch.
- In wenigen Wochen werden die Verträge voraussichtlich publiziert.
- Es bleibt, wachsam zu bleiben, sagt Hans-Ulrich Bigler in seiner Kolumne.
Vor wenigen Wochen habe ich an dieser Stelle über Politikverdrossenheit geschrieben. Was sich rund um die Verhandlungen um den EU-Rahmenvertrag abspielt, lässt sich nahtlos in dieses Kapitel einordnen.
Dazu gehört insbesondere auch der Entscheid des Bundesrates, die Volksabstimmung bloss mit einem einfachen Referendum und ohne Ständemehr durchzuführen.
Diese Geheimniskrämerei rund um den EU-Vertragsentwurf ist in den letzten Jahrzehnten in der Schweiz wohl einzigartig.
Dröhnendes Schweigen
Es begann bereits mit dem sogenannten Vertragsabschluss Ende letzten Jahres: Mit grossem Pomp inszenierte sich Bundesrätin Amherd mit der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für die Unterzeichnung. Betreffend Vertragsinhalt: dröhnendes Schweigen. Seither unterziehen Juristen des Bundes den Text angeblich einer Überprüfung.

Vor diesem Hintergrund könnte man allenfalls noch Verständnis haben, dass nichts an die Öffentlichkeit dringt, um Missverständnisse zu vermeiden.
EU: Stimmbürger werden verschaukelt
Wenn aber der Bundesrat den politisch wohl brisantesten Entscheid bereits fällt, nämlich der eines einfachen Referendums, so ist das nicht nachvollziehbar.
Dem Stimmvolk wird ohne connaissance de cause ein Sachverhalt «verkauft», ohne dessen Inhalt im Detail zu kennen. Das spottet der direkten Demokratie in jeder Hinsicht. Die Stimmbürger werden nicht nur an der Nase herumgeführt, sondern schlicht verschaukelt.
Doch das Ganze wird noch getoppt. Um offenbar die notwendigen Mehrheiten generieren zu können, dürfen vom Bundesrat akribisch ausgesuchte Personen den Text im stillen Kämmerlein studieren. Handy und Notizen sind verboten, nur lesen ist erlaubt.
Es entsteht dabei unweigerlich der Eindruck, dass in erster Linie Befürworter eines Vertragsabschlusses eingeladen werden.
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Breite Öffentlichkeit hat Nachsehen
Es begann mit den Sozialpartnern: Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter konnten sich bekanntlich in Bezug auf die Personenfreizügigkeit nicht einigen.
Mit der Drohkulisse der Gewerkschaften, den Vertrag an der Urne bekämpfen zu wollen, fehlte die entscheidende Mehrheit.
Oh Wunder, nach dem vertraulichen Einblick entstand plötzlich eine Zustimmung der Gewerkschaften. Das Nachsehen hatte wiederum eine breite Öffentlichkeit, die in der Entscheidfindung in einem der wichtigsten politischen Geschäfte aussen vor gelassen wird.
Das Vorgehen wurde dieser Tage fortgesetzt. Dieses Mal waren es ausgewählte Parlamentarier, die zusammen mit dem Wirtschaftsestablishment den Einblick nach demselben Prozedere wie die Sozialpartner erhielten.
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Keine Transparenz
Ganz wenige Parlamentarier erhalten eine privilegierte Sonderbehandlung. Das Gros der Parlamentsmitglieder hingegen ist in dieser Frage weder qualifiziert noch vertrauenswürdig und wird deshalb ausgeschlossen.
Dafür haben wir unsere Volksvertreter – ob links oder rechts – nicht gewählt. Ein geordneter Meinungsbildungsprozess mit voller Transparenz verkommt zur Farce.
Die Entwicklung in Richtung Zweiklassen-Demokratie, in keiner Art und Weise legitimiert durch einen politischen Entscheid, mit wahlloser Bevorzugung einzelner Protagonisten ist unserer direkten Demokratie unwürdig. Und grenzt an eine Bananenrepublik!
Es überrascht nicht, dass die «economiesuisse» dieser Tage etwas plump versuchte, daraus politisches Kapital zu schlagen.
Vor dem Hintergrund der geopolitisch unsicheren Wirtschaftslage präsentierte das Wirtschaftsestablishment mit einem sogenannten «wake up call» seinen Forderungskatalog. Grundsätzlich nicht sehr fantasievoll, weil nichts Neues.
Aufgefallen ist nur, dass dem Gewerbeverband sein Kerngeschäft «Abbau der Regulierungskosten» abgekupfert wurde.
Unseriös und leicht durchschaubar
Während der Ausführungen konnte es sich der «Swissmem»-Präsident nicht verklemmen, die amerikanische Politik zu kritisieren und flugs – und ohne Kenntnis jeglicher Vertragsinhalte – die nähere Anbindung der Schweiz an Brüssel als letzten Ausweg und letzte Hoffnung zu fordern, beziehungsweise zu verkaufen.
Mit Verlaub: Ein solches Vorgehen ist angesichts der massiven Unklarheiten und gänzlich fehlender Transparenz zu diesem Vertrag schlicht unseriös und leicht durchschaubar.
Das ist allerdings wenig erstaunlich, da «economiesuisse» verlauten liess, bereits zwei Wochen nach Eröffnung des Vernehmlassungsverfahrens zu einem 1500-seitigen Vertragstext in der Lage zu sein, im Vorstand Beschluss zur Positionierung des Wirtschaftsverbandes fassen zu können. Und zu wollen.
Eine leidige Geheimniskrämerei
Was bleibt angesichts dieser massiv stossenden Ungereimtheiten für den politisch interessierten Bürger, die engagierte Stimmbürgerin in dieser Sache zu tun?
Die leidige Geheimniskrämerei lässt vermuten, dass das Vertragswerk einige Pferdefüsse mit sich bringt, die man dem Stimmvolk möglichst verschleiern, oder verheimlichen will.
Dazu gehört in erster Linie die Frage, wie hoch der Souveränitätsverlust der Schweiz sein wird.
In welchem Masse wird der Europäische Gerichtshof in die Rechtssprechung eingreifen und ist unser Land damit von Brüssel fremdbestimmt? Wie kommt eine Schutzklausel zur Personenfreizügigkeit zum Tragen und inwiefern kann die massive Bevölkerungszuwanderung gestoppt werden?
Interessanterweise hört man zu diesen brennenden Fragen nichts oder bestenfalls Widersprüchliches. Es bleibt, wachsam zu bleiben und sich an das alte Wort der Eidgenossen zu erinnern: Hütet euch am Morgarten!
Zur Person: Hans-Ulrich Bigler ist Ökonom und war von 2008 bis 2023 Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands (SGV). Er ist im Vorstand mehrerer Verbände, darunter auch das Nuklearforum Schweiz, und sass von 2015 bis 2019 für die FDP im Nationalrat. Heute ist Bigler SVP-Mitglied.