Annelies Müller von «Give A Hand» äussert sich zum Gastbeitrag von FDP-Ständerat Damian Müller. Er gehe auf Kosten eritreischer Flüchtlinge auf Stimmenfang.
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Annelies Müller von «Give A Hand». - giveahand
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Das Wichtigste in Kürze

  • FDP-Ständerat Damian Müller gehe auf dem Buckel eritreischer Flüchtlinge auf Stimmenfang.
  • Dieser Meinung ist Annelies Müller vom Verein «Give A Hand» in ihrem Gastbeitrag.
  • Sie arbeitet seit acht Jahren als Beraterin mit Menschen aus Eritrea zusammen.

Wer lange an einem politischen Dossier arbeitet, kennt mit der Zeit die üblichen Verdächtigen: Es gibt ParlamentarierInnen, aus deren Vorstössen, wenn nicht eine fundierte Sachkenntnis, dann wenigstens das ernsthafte Bemühen, konstruktive Lösungen für komplexe Probleme zu finden, spricht.

Daneben gibt es leider auch PolitikerInnen wie Damian Müller, deren Wortmeldungen zu allererst der Selbstdarstellung und gleich danach dem politischen Kalkül dienen.

Wie sonst liesse sich erklären, dass ein Mitglied einer Freiheitlich-demokratischen Partei es dem totalitären Regime in Asmara gleichtut und die Meinungs- und Versammlungsfreiheit – zumindest in Bezug auf das politische Engagement von Flüchtlingen und vorläufig aufgenommenen AusländerInnen – radikal beschneiden will?

Müller schrieb am 6. September in dieser Rubrik: «Es darf keine Toleranz gegenüber Gewalt geben. Eritreerinnen oder Eritreer, die das Regime des eritreischen Präsidenten ablehnen, sollten stattdessen das derzeitige Regime in ihrem Land bekämpfen und nicht bei uns. Das wäre ein ehrenhafter, aber zugegebenermassen weniger bequemer und riskanter Mutbeweis.»

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Der eritreische Präsident Isayas Afewerki (l) am Flughafen. (Archivbild) - keystone

Ausgerechnet Damian Müller schreibt hier von einem Mutbeweis! Am 13. Juni 2023 versammelten sich in einem Nebenraum im Bundeshaus etwa 20 Parlamentsmitglieder, um zunächst den Ausführungen des UNO-Sonderberichterstatters zur Menschenrechtslage in Eritrea zu lauschen und ihm hernach ihre Fragen zu stellen.

Was klar aus den Worten des UN-Experten hervorging: Die Menschenrechtslage hat sich nochmals dramatisch verschlechtert. Und wer hier fehlte? Damian Müller.

Dabei hatte er nur eine Woche zuvor gefordert, abgewiesene EritreerInnen zum Langzeit-Diktator Kagame nach Rwanda abzuschieben. Doch auch hier wird unser Rechtsstaat ihm nicht dienen können – es widerspricht dem Völkerrecht.

Stimmenfang auf Kosten von Schwächeren

Als Beraterin und Aktivistin arbeite ich seit nunmehr acht Jahren mit Menschen aus Eritreea zusammen. Einige davon sind meine Freunde, andere gar Teil meiner Familie geworden. Die Fluchtgeschichten, die ich von diesen Menschen immer und immer wieder zu hören bekomme, lassen mich nicht selten über die menschliche Widerstandskraft staunen.

Stelle ich mir Damian Müller auf der Sahara-Route oder unter Deck eines vollgestopften Fischerboots vor, dann muss ich unwillkürlich schmunzeln. Kaum vorstellbar, dass sich so jemand offen gegen ein brutales und ausgeklügeltes Terror-Regime stellen würde!

Aber wann immer sich für PolitikerInnen wie Damian Müller eine Gelegenheit bietet, auf dem Buckel von vermeintlich Schwächeren auf Stimmenfang zu gehen, nehmen sie diese wahr. Seit der «Flüchtlingskrise» 2015 hat Müller 13 Eingaben zum Thema Migration eingereicht, knapp die Hälfte, nämlich 6 davon, zu Eritrea.

Dabei komme ich nicht umhin zu vermuten, dass es Müller bei seinen Eingaben eigentlich eher um Aufmerksamkeitsheischerei als um konstruktive Lösungsansätze geht.

Strammer noch als manche seiner SVP-KollegInnen hackt er auf alles ein, was gerade ein bisschen links erscheint: Auf den Bundesrat, auf die Flüchtlinge und schlussendlich auch noch auf unsere angeblich viel zu laxe Asylgesetzgebung.

Dabei «vergisst» Müller gern, dass es auch seiner Parteikollegin, der früheren Justizministerin Keller-Sutter, nicht gelungen ist, das Eritrea-Dossier zu lösen. Er merkt nicht, dass er als angeblich liberaler Anhänger einer freien Marktwirtschaft eher einen Rückübernahmevertrag mit einem real-sozialistischen, totalitären Diktator abschliessen würde, als die Nöte der jungen Menschen Ernst zu nehmen, die sich just in diesem Moment in allen Ländern der Diaspora gegen eben dessen Terror-Regime auflehnen.

Wie manchen Vorstoss hat Damian Müller denn eingereicht, um zu verhindern, dass das Regime den EritreerInnen hier Steuern abpresst, sie einschüchtert oder gar Kriegspropaganda betreibt? Wo blieb sein öffentlicher Aufschrei, als eben Letzteres vor einem Jahr bekannt wurde?

Beunruhigt Sie die Situation in Eritrea?

Doch Kollektivstrafen erscheinen wesentlich einfacher und volksnaher in der Umsetzung, da sind sich Diktator Afewerki und Damian Müller zumindest schon mal einig. Am Besten schmeisst man sie gleich alle aus dem Land, ganz egal, wes Geistes Kind sie sind!

Müllers Forderungen nach einem Verbot von jedweder Art von exilpolitischer Betätigung lassen mich an ein Gespräch denken, das ich vor etwa zwanzig Jahren mit meinem 1922 geborenen Grosi (Gott hab es selig) geführt habe. Dass sich diese Kurden jetzt auch noch erdreisteten, hier zu demonstrieren, beschwerte es sich. Aber wirklich! Das könnten sie doch auch bei sich zu Hause tun!

Seit 2015 bin ich so vielen aus Eritrea begegnet. Immer wieder habe ich über deren Geduld und Langmut, nicht zuletzt mit den Schweizer Asylbehörden, staunen müssen.

Wenn sie mir während des Tigraykriegs von ihren allein mit der Landwirtschaft zurückgebliebenen Eltern und den für den Krieg zwangsrekrutierten Geschwistern erzählten, dachte ich nicht selten: «Hätte einer von uns auch nur die Hälfte ihrer Sorgen, dann würden wir nur noch auf dem Boden sitzen und heulen.» Wie oft haben wir versucht, dieses Leiden in den Medien sichtbar zu machen? Doch: angeblich nicht von Interesse.

Gewalt zur Durchsetzung von Standpunkten ist für mich immer ein Ausdruck tiefer Verzweiflung und Ohnmacht, also die Ultima Ratio.

Ich frage mich: Weshalb musste es so weit kommen? Warum hat sich niemand die Zeit genommen, diesen jungen Menschen zuzuhören? Hätte man das getan, dann hätte man voraussehen müssen, dass sie sich nicht ewig von den Schergen ihres Diktators würden gängeln lassen.

Zur Autorin: Annelies Müller ist Geschäftsleiterin beim Verein «Give A Hand».

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