Eine Schweizer Studie untersuchte im Frühling die Auswirkungen der Coronavirus-Schutzmassnahmen an Schulen. Jetzt lassen sich erste Veränderungen beobachten.
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Die Malanser Oberstufen-Schüler haben ab morgen wieder Unterricht. (Symbolbild) - AFP/Archiv
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Das Wichtigste in Kürze

  • Eine Schweizer Studie hatte im Frühling die Schutzmassnahmen an den Schulen untersucht.
  • Studienleiter Stephan Huber beobachtet, wie sich das Bildungssystem jetzt besser anpasst.
  • Gefahren birgt das neue Lernumfeld vor allem für schwächere Schüler.

Spricht man dieser Tage mit Verantwortlichen aus dem Schweizer Bildungswesen, dann sind sich in einem Punkt alle einig: Schulschliessungen müssen um jeden Preis verhindert werden. Lehrer, Kantone und nicht zuletzt der Bundesrat will den Präsenzunterricht so lange wie möglich aufrechterhalten.

Zähneknirschend nimmt man dafür auch einen föderalen Flickenteppich bei den Schutzmassnahmen in Kauf.

Zuger Studie als Leitfaden

Die Pandemie des Coronavirus stellt die Schweizer Schulen weiterhin vor grosse Herausforderungen. Dabei nehmen zahlreiche direktbetroffene Akteure bei ihren Einschätzungen Bezug auf eine Studie aus der Innerschweiz. Diese hatte im Frühling für Schlagzeilen gesorgt.

Stephan Huber
Stephan Huber von der Pädagogischen Hochschule Zug sprach im Frühling bei «10vor10» über die Ergebnisse des Corona-Schulbarometers. - Screenshot/SRF

Die Pädagogische Hochschule Zug hat im ersten Lockdown untersucht, wie die Corona-Massnahmen den Schulalltag im deutschsprachigen Raum beeinflussen. Über 8000 Lehrer, Schüler und Eltern wurden für das viel zitierte Schulbarometer untersucht.

Knapp ein halbes Jahr nach Publikation der ersten Ergebnisse kann Studienleiter Stephan Huber Veränderungen beobachten. «Ja, es hat sich eine ganze Menge getan», sagt er im Gespräch mit Nau.ch.

«Die Frage ist, bei wem.»

Deutsch im Teams, Mathe via Zoom

Mit dem Lockdown in der ersten Welle des Coronavirus und den Schulschliessungen im Mai wurden viele Schulhäuser kalt erwischt. Plötzlich musste eine Infrastruktur her, welche einen Fernunterricht aus dem Homeoffice ermöglichte. Diese Umstellung ging nicht überall in der Schweiz gleich schnell.

«Manche Schulen waren super vorbereitet, hatten klare Lösungen, einheitlich. Schüler hatten ihre Zugangsdaten, weil sie schon länger mit Digitalisierung gearbeitet haben. Es gab aber auch an anderen Orten viel Improvisation. Auch Nebeneinander zum Beispiel bei den Kommunikationsplattformen», sagt Huber.

Kind beim E-Schulunterricht.
Kind beim Zoom-Schulunterricht. - pexels

So gab es Klassen, die für den Matheunterricht über Zoom kommunizierten, für Deutsch über Teams. Während der Englischlehrer alles via Whatsapp organisierte. Auch seien zu Beginn nicht alle Schulen materiell gleich gut ausgestattet gewesen.

Das habe sich jetzt geändert. «Grundsätzlich konnten wir einen riesigen Push beobachten», so Huber. Die Behörden hätten meist unbürokratisch ausgeholfen, wo es Probleme mit Material gab.

Auch den Schulleitern und Lehrpersonen windet der Studienleiter ein Kränzchen: «Das generelle Niveau des Fernunterrichts ist im Vergleich zu Deutschland höher, so unsere Ergebnisse im Schulbarometer. Es gibt Kantone und Schulen mit unglaublich tollen Konzepten.»

Digitalisierungsschub wegen Coronavirus als Chance

Die Digitalisierung ist also im Bildungssystem durch das Coronavirus gezwungenermassen angekommen. Für Huber bietet sie drei grosse Chancen.

«Erstens die Individualisierung des Lernprozesses. Im eigenen Lerntempo vorwärtszukommen, hat fast nur Vorteile. Es wird auch viel weniger schnell langweilig.»

Masken Coronavirus
Eine Lehrerin der Primarschule (5./6. Klasse) Golaten BE gestaltete im ersten Lockdown aufgrund des Coronavirus den Unterricht vom leeren Schulzimmer aus mit ihren Schülern und Schülerinnen - Keystone

Zweitens die Interaktivität. Die heutigen Schüler sind meist «Digital Natives» und im Umgang mit Chats und dem Internet bestens trainiert.

Drittens: das Metalernen. «Hier bietet sich die Möglichkeit, nicht nur Lernen mit Technologie zu gestalten, sondern auch das Lernen über Technologie zu auszubauen.»

Schwache Schüler drohen abgehängt zu werden

Die Kehrseite der Situation: Schwächere Schüler bräuchten noch mehr Unterstützung, wie das Schulbarometer eruiert hat. Unmotivierte Schüler brauchen die Struktur, welche ihnen die Schule gibt, viel dringender als Schüler, die vom eigenen Lerntempo profitieren können.

Rund ein Drittel der Befragten hat im ersten Lockdown aufgrund des Coronavirus weniger gelernt, ein anderes Drittel sehr viel. Die Schere zwischen guten und schlechten Schülern scheint durch den Fernunterricht weiter aufzugehen.

«Schulen brauchen differenzierte Konzepte für diese Schüler», fordert Huber. «Lehrer müssen diesen Schüler eine Struktur geben und sie enger begleiten. Das Zwischenmenschliche ist weiterhin extrem wichtig.»

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Etwa 20 Prozent der Schüler, die während des Fernunterrichts praktisch gar nichts lernten, zockten dafür viel mehr als sonst. - unsplash

Die Schule sei nicht nur ein Ort für Lernstoff. «Begegnung, soziale, motivationale und emotionale Aspekte spielen gleichsam eine Rolle und bedingen sich auch gegenseitig.»

Huber hält darum klare Konzepte für die Schulen, Orientierungspunkte für den Unterricht und Vorgaben in Sinne von Mindeststandards für sinnvoll. Es brauche aber auch Flexibilität für Schulen und Lehrpersonen. Diese sollen sich den Möglichkeiten der Schule anpassen und auf die Schüler eingehen.

«Klare Orientierungspunkte helfen sicher», so der Bildungsexperte. «Aber wichtig ist, dass Lehrpersonen weiterhin auf den Einzelnen eingehen können und hier braucht es ausreichend Ressourcen.»

Die PH Zug befasst sich weiterhin mit den Folgen des Coronavirus für die Schulen. Am 1. Februar etwa organisiert die Hochschule einen runden Tisch. Am «WELSfocus» teilen Bildungsexperten aus 25 Ländern ihre Erfahrungen der Corona-Schutzmassnahmen.

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