Die Schweiz hat ein Problem mit gefälschten, aber gültigen Impfzertifikaten. In fast allen Kantonen sind bereits Fälle bekannt. Das BAG will reagieren.
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Bis auf die Kantone Jura, Uri und Tessin haben schon alle Kantone in der Schweiz Fälle von Zertifikats-Fälschungen festgestellt. - Screenshot/SRF
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Das Wichtigste in Kürze

  • In fast allen Kantonen wurden schon Fälle mit gefälschten Impfzertifikate gemeldet.
  • In Schaffhausen bezahlten die meist jungen Käufer beispielsweise bis zu 500 Franken.
  • Das Bundesamt für Gesundheit will die Kontrollen weiter ausbauen.

Kein Besuch mehr in der Beiz, Schluss mit Fitness-Studio und kein Zutritt mehr zum Konzert. Die Ungeimpften haben in der Schweiz mit 2G viele Freiheiten verloren. Das Ticket zurück zu diesen Freiheiten ist das Impfzertifikat – oder aber ganz viel Geld.

Die Schweiz hat nämlich ein grossflächiges Problem mit gefälschten, aber gültigen Zertifikaten. So wurde am vergangenen Freitag etwa ein Handel mit gefälschten Covid-Zertifikaten im Kanton St. Gallen bekannt. Mutmasslich bis zu 6000 missbräuchliche Dokumente sollen ausgestellt worden sein.

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Die Covid-Zertifikat-App des Bundes. - Keystone

Auch im Kanton Bern wurde am Freitag ein Missbrauchsfall bekannt. Die Kantonspolizei nahm zwei Angestellte des Spitals in Moutier fest, weil sie mutmasslich mehr als 100 Covid-Zertifikate gefälscht haben. Sie befinden sich in Untersuchungshaft. Im Kanton Fribourg war die Schwachstelle ein Testzentrum, welches das Freiburger Spital betreibt.

Diese Beispiele sind längst keine Einzelfälle: Wie eine Recherche der «Rundschau» nun zeigt, sind in fast allen Kantonen der Schweiz Fälle von Zertifikatsfälschungen bekannt. Mal sind es ein paar wenige – und mal ganz viele. Nur den Behörden in den Kantonen Jura, Uri und Tessin sind bisher keine Fälle bekannt.

Gefälschte Zertifikate für 500 Franken

Der bisher wohl bekannteste Fall flog bereits Ende November in Schaffhausen auf. Ein Mitarbeiter des kantonalen Impfzentrums soll mehrere Hundert Zertifikate an Ungeimpfte verkauft haben – und zwar ungestört und wochenlang. Der 20-Jährige arbeitete im Büro und hatte Zugriff auf das Zertifikatssystem. Staatsanwalt Peter Sticher erklärt gegenüber der «Rundschau», wie der junge Mann vorgegangen war: «Er nahm die Daten von einer tatsächlich geimpften Person, änderte diese ab und erstellte daraus ein inhaltlich unwahres Zertifikat.»

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Der Pflichtverteidiger Nihat Tektas spricht über seinen Mandanten, der im Kanton Schaffhausen hunderte Covid-Zertifikate gefälscht hatte. - Screenshot/SRF

Wie es in dem Bericht weiter heisst, soll der mutmassliche Täter die Zertifikate zuerst gratis für Kollegen ausgestellt haben. Anschliessend hatte er wohl bemerkt, dass sich damit Geld verdienen lässt. Die Zertifikate soll er für rund 500 Franken verkauft haben und nahm so über 100'000 Franken ein. Fünf Komplizen sollen ihm beim Verkauf geholfen haben.

Zwei Monate lang sass der Hauptverdächtige in U-Haft, am Dienstag wurde er entlassen. Er bereut seine Tat, zeigt sich geständig. Der Vorwurf: Mehrfache Urkundenfälschung, es drohen mehrere Jahre Haft. Sein Pflichtverteidiger sagt gegenüber der «Rundschau», dass es für seinen Mandanten «ziemlich einfach» war, die Zertifikate zu erstellen. «Er brauchte keine vertieften IT- oder sonstigen Kenntnisse», so Nihat Tektas. Auch die Staatsanwaltschaft spricht davon, dass er «leichtes Spiel» hatte.

BAG-Mathys: «Missbrauch einen Riegel schieben»

Beim Fall des Zertifikats-Fälschers in Schaffhausen ist die Rede von der «Schwachstelle Mensch». Aus anderen Kantonen wird aber Kritik laut. Wie die «Rundschau» herausgefunden hat, wird offenbar schon länger vor Sicherheitslücken gewarnt. Der Bund solle das Zertifikatssystem sicherer machen, Betrug lasse sich kaum verhindern, heisst es von verschiedenen Seiten.

Ein grosses Problem: In den Impfzentren, in den Testzentren und in den Apotheken haben schweizweit mehrere tausend Personen Zugriff auf das System und können alle Arten von Zertifikaten erstellen. Darauf angesprochen meint Patrick Mathys, dass diese Berechtigungen derzeit angeschaut und möglicherweise auch eingeschränkt werde, um dem Missbrauch einen Riegel zu schieben.

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Patrick Mathys, Leiter Sektion Krisenbewältigung beim Bundesamt für Gesundheit, will mit stärkeren Kontrollen den Missbrauch bei der Zertifikats-Erstellung verhindern. - Keystone

Die Kontrollen würden seit September ausgebaut – vollständig verhindern, lasse sich der Missbrauch aber wahrscheinlich nie, sagt der Leiter der Sektion Krisenbewältigung im Bundesamt für Gesundheit im Interview. Mathys erwähnt, dass Personen mit gefälschten Zertifikaten, andere Menschen und allenfalls auch sich selber gefährden. Aber: «Auf die epidemiologischen Lage und die Entwicklung der Pandemie haben sie fast keinerlei Einfluss».

Gefälschte Zertifikate wurden auf offener Strasse verkauft

In der Schweiz laufen also tausende Menschen mit gefälschten aber gültigen Impfzertifikaten herum – hunderte alleine im Kanton Schaffhausen. Rechtsanwalt Beat Hochhäuser kennt einige der meist jüngeren Käufer und vertritt einen der Abnehmer. Im «Rundschau»-Bericht erklärt er, dass die Zertifikate in Schaffhausen auf offener Strasse angeboten wurden.

Brisant: Auch die Käufer machen sich wegen Urkundenfälschung strafbar. Die «Rundschau» hat mit einem jungen Abnehmer gesprochen, der ein gefälschtes Zertifikat des kantonalen Impfzentrums in Schaffhausen besitzt. «Es hat bis jetzt überall funktioniert», sagt der Mann, der in dem Bericht unkenntlich gemacht wurde.

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Die «Rundschau» hat mit einem Käufer eines gefälschten Covid-Zertifikats gesprochen. Er erwartet keine Konsequenzen. - Screenshot/SRF

Und weiter: «Mich hat das Angebot sehr interessiert , da ich meine Freiheit zurückwollte.» Jetzt wo so viele Personen krank seien, würde er das Zertifikat nicht mehr kaufen. «Doch damals empfand ich es als legitimen Ausweg.» Von der Polizei hat der Käufer bisher nichts gehört, er rechnet auch nicht mit Konsequenzen.

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