Halle gedenkt Anschlag auf Synagoge vor einem Jahr
Zum Gedenken an den Anschlag auf eine Synagoge vor einem Jahr findet heute in Halle (D) eine Gedenkveranstaltung statt.

Das Wichtigste in Kürze
- Vor einem Jahr fand in Halle (D) ein Anschlag auf eine Synagoge statt.
- Während der Gedenkveranstaltung positionieren sich Politiker klar gegen Antisemitismus.
Um 12.01 Uhr, der Zeit, zu der der mutmassliche Täter Stephan B. vor genau einem Jahr den ersten Schuss auf die Tür der Synagoge abgefeuert hatte, läuteten für zwei Minuten alle Kirchenglocken in der Stadt. Die Bundesregierung bekräftigte derweil, mit aller Entschlossenheit gegen Judenhass und antisemitische Hetze vorgehen zu wollen.
«Wenn Jüdinnen und Juden in Deutschland sich nicht mehr sicher fühlen, dann ist das eine Schande für unser Land, für unsere Gesellschaft», sagte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) in einer Videobotschaft zum EU-Justizministerrat. Bundesaussenminister Heiko Maas (SPD) bezeichnete den Antisemitismus in Deutschland als fortdauernde Bedrohung.
«Man kann nicht sagen, dass das Problem uns verlassen hat - und die Tatsache, dass wir überhaupt jüdische Einrichtungen schützen müssen im Jahr 2020, ist eigentlich ein Zustand, der so nicht akzeptabel ist», sagte Maas den Sendern RTL und ntv. Auf Twitter ergänzte der Minister, es sei Aufgabe des Staats, alle in Deutschland lebenden Menschen zu schützen. Zugleich sei es Aufgabe «für uns alle, Rassismus im Alltag zu widersprechen».
Bundespräsident Steinmeier wird erwartet
Während des Glockenläutens am Mittag in Halle stand auch das öffentliche Leben in der Stadt in Sachsen-Anhalt für kurze Zeit still. Am Nachmittag wollen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) und der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Max Privorozki, an der Synagoge eine Gedenktafel einweihen. Teil des Mahnmals ist auch die frühere Tür der Synagoge, an der der Angreifer scheiterte.
Auch an einem Dönerimbiss, in dem der Täter einen jungen Mann erschoss, soll eine Gedenktafel enthüllt werden. Die zentrale Gedenkveranstaltung ist für 17.00 Uhr in der zur Konzerthalle umgewidmeten Ulrichskirche geplant, wo unter anderem Steinmeier sprechen wird. Wegen der Corona-Pandemie und der Abstandsregeln wird die Veranstaltung an etlichen Orten in Halle übertragen.

B. versuchte am 9. Oktober vergangenen Jahres während der Feierlichkeiten zum höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur bewaffnet in die Synagoge einzudringen, in der sich 52 Menschen aufhielten.
Als er an der Eingangstür scheiterte, erschoss B. auf der Strasse eine zufällig vorbeilaufende Passantin, drang anschliessend in den Dönerimbiss ein und tötete dort einen Mann.
Auf seiner anschliessenden Flucht durch den Saalekreis verletzte er zwei weitere Menschen schwer. Seine Taten filmte der mit mehreren Waffen und Sprengstoff ausgerüstete B. und stellte die Aufnahmen live ins Internet. Die rechtsextremistische Gewalttat löste damals in Deutschland und weltweit grosses Entsetzen aus.
Aufruf zum Einschreiten gegen Antisemitismus
Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, beklagte am Freitag einen fortschreitenden Antisemitismus in Deutschland. Inzwischen hätten sich «rote Linien» verschoben, sagte er dem Sender Phoenix. Durch Hass und Hetze im Internet und in den sozialen Medien werde Antisemitismus inzwischen wieder salonfähiger. Die Entwicklung sei «nicht hinnehmbar».
Klein rief alle Bürger dazu auf, antisemitischen Äusserungen bei jeder Gelegenheit entschieden entgegenzutreten. «Ich glaube, die Menschen, die so etwas verbreiten, weichen schon zurück, wenn sie Gegenrede bekommen», sagte er. Er ermunterte zugleich Prominente wie Sportler und Künstler, sich öffentlich gegen Judenhass zu positionieren.
Auch der Antisemitismusbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Christian Staffa, rief zu einem aktiven Einschreiten gegen antisemitische Positionen auf. Massnahmen der Polizei seien wichtig, reichten aber «bei weitem» nicht aus, erklärte er in Berlin.
Alle Christen müssten «Beauftragte für den Kampf gegen Antisemitismus» sein. Dieser sei «Gotteslästerung».