Der frühere Bundesaussenminister Sigmar Gabriel (SPD) verteidigt im Streit um den nicht erwünschten Besuch von Frank-Walter Steinmeier in Kiew den Bundespräsidenten und greift den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk scharf an. Steinmeier habe in seinem früheren Amt als Aussenminister gemeinsam mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) «mehr als alle anderen in Europa» dafür getan, die Ukraine zu unterstützen, schrieb Gabriel in einem am Sonntag veröffentlichten Gastbeitrag für den «Spiegel».
Sigmar Gabriel
Sigmar Gabriel - POOL/AFP/Archiv
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Das Wichtigste in Kürze

  • Ablehnung von Kiew-Besuch des Bundespräsidenten als «beispiellos» kritisiert.

Botschafter Melnyk hatte Steinmeier in einem Interview unter anderem vorgeworfen, «seit Jahrzehnten ein Spinnennetz der Kontakte mit Russland geknüpft» zu haben. «Spinnennetze dienen bekanntlich dem Fang und der anschliessenden Verwertung der Beute», schrieb dazu Gabriel. «Auf den Punkt gebracht insinuiert dieser Vergleich, dass der frühere Kanzleramts- und Aussenminister die Interessenvertretung Russlands in Deutschland mitorganisiert habe. Das ist wahrheitswidrig und bösartig.»

Die ukrainische Absage an einen Besuch Steinmeiers in Kiew «ist beispiellos und irritiert», urteilte Gabriel. Es sei zwar verständlich, wenn der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj «seiner Wut und seinem Unverständnis gegenüber Politikern aus Deutschland und anderen EU-Staaten für ihre frühere Russland- und Energiepolitik Ausdruck verleihen wollte». Hier müsse man Selenskyj «häufig sogar zustimmen».

«Was wir allerdings nicht hinnehmen sollten, sind Verschwörungstheorien über die Politik unseres Landes und seine Verantwortungsträger», fügte Gabriel hinzu. Melnyks «Spinnennetz»- Äusserung bezeichnete er als «gefährlichere Variante der Verschwörungstheorien».

Der Ex-Minister verteidigte zugleich die derzeitige Haltung der Bundesregierung zum Thema Waffenlieferungen. «Führung in Europa heisst auch, sich die Konsequenzen einer Ausweitung dieses Krieges bewusst zu machen», schrieb er. «Und deshalb ist es richtig, dass die deutsche Bundesregierung schwere Waffen - im Kern Panzer - nur in Abstimmung mit den Vereinigten Staaten von Amerika an die Ukraine liefern kann.»

Aussenpolitik und Diplomatie könnten «nicht auf Dauer von Panzern und Raketen ersetzt werden», betonte Gabriel. Ausserdem müsse «man auf der Suche nach gewaltfreien Konfliktlösungen den sehr unbequemen und meist auch sehr unpopulären Schritt machen», sich in «die Schuhe des Gegners zu stellen. Nicht um sich dessen Schuhe anzuziehen, aber um den Raum für denkbare Verständigungen zu vermessen.»

Bundespräsident Steinmeier hatte ursprünglich mit seinen Kollegen aus Polen und den drei baltischen Staaten nach Kiew reisen wollen. Am Dienstag erklärte er jedoch, die ukrainische Führung habe seinen Besuch abgelehnt.

Steinmeier war von 1999 bis 2005 Chef des Bundeskanzleramts unter Gerhard Schröder (SPD). Danach war er bis 2009 und erneut von 2013 bis 2017 Bundesaussenminister. Gabriel wiederum war von 2017 bis 2018 Aussenminister und zuvor erst Umwelt- und später Wirtschaftsminister.

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