Wo breitet sich das Coronavirus gerade am rasantesten aus? Wo sind die Gegenmassnahmen am härtesten und die Folgen am dramatischsten? Aber auch: Wo gibt es Hoffnung? Diesen Fragen sind Korrespondenten der dpa in aller Welt nachgegangen - von Washington bis Wuhan.
Eine Frau mit Mundschutz geht eine Strasse in Paris entlang. Foto: Thibault Camus/AP/dpa
Eine Frau mit Mundschutz geht eine Strasse in Paris entlang. Foto: Thibault Camus/AP/dpa - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Österreich schreitet bei den Lockerungen der Anti-Corona-Massnahmen voran.

Andere Nachbarn Deutschlands sind noch lange nicht so weit - vor allem Frankreich. Dort schaut man neidisch darauf, wie vergleichsweise glimpflich die Pandemie in Deutschland verläuft.

In den USA befürchtet man indes einen drastischen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Ein Blick um die Welt in Zeiten von Corona.

ÖSTERREICH - Im Mai wird fast alles wieder hochgefahren

Österreich macht mit dem Ende der Ausgangsbeschränkungen ab 1. Mai grosse Schritte in Richtung Normalität. Einen Tag später öffnen alle Geschäfte wieder, ab 15. Mai folgen Restaurants und Lokale, am 29. Mai die Hotels. Einem Hochfahren der Wirtschaft auf immer breiterer Front steht zumindest aktuell nichts im Weg. Die Öffnung der Baumärkte und kleiner Geschäfte am 14. April habe den sehr guten Trend nicht ungünstig beeinflusst, sagte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) am Dienstag in Wien. Aus Sicht der Regierung ein klarer Hinweis, dass bei Beachten der weiter geltenden Hygieneregeln - Mindestabstand und ein Mund-Nasen-Schutz - Konsum und Gesundheit kein Widerspruch sein müssen.

«Wir können die Ausgangsbeschränkungen auslaufen lassen, wir brauchen sie nicht fortzusetzen», meinte Anschober mit Blick auf den 1. Mai. Die Grundlage für die Weichenstellung sind die extrem niedrigen Infektionszahlen in Österreich. Nur wenige Dutzend Menschen stecken sich derzeit pro Tag in Österreich mit Sars-CoV-2 an. Nur 700 Erkrankte liegen im Krankenhaus. Zigtausende Betten für Covid-19-Patienten sind leer. Der Reproduktionsfaktor liegt nach den Worten von Anschober bei 0,59 und damit so niedrig wie noch nie. Der Faktor gibt an, wie viele Personen ein Infizierter mit dem Virus ansteckt.

FRANKREICH - Neidischer Blick nach Deutschland

Frankreich entdeckt in der Corona-Krise neue Stärken seines Nachbarn Deutschland. In Medien wird vorgerechnet, dass die Zahl der Toten mit mehr als 23.000 etwa vier Mal höher liege als jenseits des Rheins. «Comment fait l'Allemagne» («Wie es Deutschland macht»), titelte die Wochenzeitschrift «L'Express» und zeigte einen Bundesadler, der die Muskeln spielen lässt.

«Die Rückkehr des grossen Deutschlands» - so lautet die Bilanz der konservativen Zeitung «Le Figaro» zu Wochenbeginn. Der EU-Partner habe Rückschläge wie die Diesel-Krise oder den Handelsstreit mit den USA überwunden und stehe nun gut und widerstandsfähig da.

Berlin habe zudem seine industrielle Stärke ausgespielt und könne - anders als Frankreich - sehr viele Menschen testen, um die Pandemie zu stoppen, heisst es in den Kommentaren. Es wird gleichzeitig ungewöhnlich deutliche Kritik am heimischen Krisenmanagement geäussert. Nicolas Baverez spricht im «Figaro» mit Blick auf die angeblich mangelnde Vorbereitung des Staates sogar von einem «Juni 1940 der Gesundheit». Er berührt damit das immer noch tabubehaftete Thema der deutschen Besatzung während des Zweiten Weltkriegs. Die militärische Niederlage gegen Nazideutschland vor fast 80 Jahren gilt als die schlimmste in der französischen Geschichte, und über die Zeit von 1940 bis 1945 werden immer noch viele Bücher geschrieben und Filme gedreht.

SCHWEIZ - «Corona-Graben» teilt das Alpenland

In der Schweiz tut sich entlang des «Rösti-Grabens» nun auch ein «Corona-Graben» auf. Beim Rösti-Graben geht es eigentlich um die unterschiedliche Lebensart in der Deutschschweiz, die knapp Zweidrittel des Landes ausmacht, und dem Rest des Landes. Rund 23 Prozent der Einwohner leben in der Westschweiz und sprechen französisch, rund acht Prozent der Einwohner sprechen italienisch, überwiegend im Tessin. Dort heisst es eigentlich «Polenta-Graben».

Die Corona-Fallzahlen sind nämlich höchst unterschiedlich. Im Tessin gab es etwa Mitte April mehr als 50 Todesfälle pro 100.000 Einwohner, in der Westschweiz rund 25 und in der Deutschschweiz weniger als sechs. Nun dringen Deutschschweizer Politiker und Wirtschaftsverbände gegen den Protest der Westschweizer und Tessiner auf ein schnelles Ende der Schutzmassnahmen. Westschweizer regen sich über Deutschschweizer auf, die trotz Empfehlung, zu Hause zu bleiben, Wochenendausflüge in die Westschweiz machen.

Ressentiments werden wieder laut: Zwar haben die hohen Zahlen in der Westschweiz und im Tessin vor allem etwas mit den vielen Grenzgängern aus den stark betroffenen Nachbarländern Frankreich und Italien zu tun. Aber unter Deutschschweizern heisst es auch, man habe eben mehr Disziplin, etwa Abstandsregeln einzuhalten. Tessiner und Westschweizer sagen hingegen, sie seien eher betroffen gewesen und die Deutschweizer hätten so mehr Zeit gehabt, sich vorzubereiten.

Rösti (ausgesprochen: Rööschti) sind eine deutschschweizerische Spezialität aus gebratenen rohen und gekochten Kartoffeln, Polenta ist eine italienische Spezialität aus festem Maisgries-Brei.

USA - Anstieg der Arbeitslosenquote bis zu 17 Prozent befürchtet

In den USA hat das Coronavirus inzwischen nicht nur Zehntausende Menschen das Leben gekostet. Auch für die US-Wirtschaft sind die Folgen verheerend. Innerhalb von nur fünf Wochen haben mehr als 26 Millionen Menschen wegen der Corona-Krise ihren Job verloren. Trumps Wirtschaftsberater Kevin Hassett sagte dem Sender CNBC am Montag (Ortszeit), im zweiten Quartal müssten sich die Amerikaner darauf einstellen, dass die Wirtschaft in den Vereinigten Staaten um 20 bis 30 Prozent schrumpfe - so stark wie seit der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre nicht mehr.

Hassett warnte, im kommenden Monat könne die Arbeitslosenquote auf 16 bis 17 Prozent ansteigen. Im Februar hatte sie noch bei 3,5 Prozent gelegen, dem niedrigsten Stand seit Jahrzehnten. US-Präsident Donald Trump droht damit sein wichtigstes Argument für die von ihm angestrebte Wiederwahl im November abhanden zu kommen: Die boomende Wirtschaft. Kein Wunder also, dass Trump sich darum bemüht, Zuversicht zu verbreiten. Das dritte, vor allem aber das vierte Quartal würden mit Blick auf das Bruttoinlandsprodukt «spektakulär», kündigte Trump am Montagabend bei einer Pressekonferenz im Weissen Hauses an. Auch das kommende Jahr werde «phänomenal».

Trump wies bei der Pressekonferenz Spekulationen seines Rivalen Joe Biden über eine mögliche Verschiebung des Termins für die Präsidentschaftswahl am 3. November wegen der Corona-Krise zurück. «Ich habe nie auch nur daran gedacht, den Wahltermin zu verschieben», betonte Trump. Ex-Vizepräsident Biden hatte nach Angaben von Journalisten am vergangenen Donnerstag gesagt, er glaube, Trump wolle den Wahltermin nach hinten verschieben, weil dieser sich nur so eine Chance auf einen Sieg ausrechne. Biden ist nach dem Rückzug des linken Senators Bernie Sanders der einzige verbliebene Präsidentschaftsbewerber der US-Demokraten.

TÜRKEI - Hilfslieferungen für die USA

Die Türkei schickte am Dienstag ein Militärflugzeug mit medizinischer Ausrüstung in die USA. Nach Angaben des Präsidialamts waren unter anderem mehr als 500 000 Schutzmasken, 40.000 Schutzanzüge sowie Desinfektionsmittel und Schutzbrillen geladen. Nach offiziellen Angaben hat die Türkei bislang medizinische Utensilien in 55 Länder geliefert, darunter auch Spanien und Italien.

Die Türkei plant wegen des kommenden langen Wochenendes eine dreitätige weitgehende Ausgangssperre in Istanbul und 30 weiteren Städten und Provinzen. Sie beginnt in der Nacht zum 1. Mai und endet am Sonntag um Mitternacht (Ortszeit/23.00 Uhr MESZ). Am Freitag sind Supermärkte noch zwischen 9 und 14 Uhr geöffnet. Seit drei Wochen erlässt das Land Ausgangssperren übers Wochenende in den betroffenen Städten. Die Massnahme soll nach Angaben des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan noch mindestens bis zum Ende des Fastenmonats Ramadan Ende Mai fortgeführt werde.

Nach offiziellen Angaben wurden bislang in der Türkei rund 112.000 Menschen positiv auf das Coronavirus getestet, 2900 Menschen starben an der Lungenkrankrankheit Covid-19.

CHINA - Krankenhäuser in Wuhan sollen virenfrei sein

Glaubt man den offiziellen Berichten aus China, dann sind die Krankenhäuser der Millionenmetropole Wuhan nun komplett virenfrei. Wie Chinas Staatsmedien am Montag berichteten, gab es am Ursprungsort der Corona-Pandemie keine Patienten mehr, die wegen einer Infektion behandelt werden musste. Auch die zwei Not-Krankenhäuser, die in Windeseile errichtet worden waren, um zusätzliche Kapazitäten zu schaffen, sind längst wieder geschlossen.

Bereits Anfang April wurde die Abriegelung der Millionenmetropole aufgehoben. Es war ein Signal, dass China das Coronavirus unter Kontrolle hat. Dennoch sitzt die Angst bei den Menschen in Wuhan noch tief. Kein anderer Ort in China war so schwer betroffen.

Die Pekinger Gesundheitskommission berichtet landesweit weiterhin nur noch wenige lokale Ansteckungen und zunehmend weniger eingeschleppte Fälle. Aber es gibt Zweifel an den Zahlen, auch in Wuhan, wo vor zwei Wochen plötzlich die Statistik um 1290 bislang nicht gezählte Tote auf 3896 nach oben korrigiert wurde. Viele seien daheim gestorben. Krankenhäuser seien überlastet gewesen. Es habe «verspätete, fehlende und falsche Berichte» gegeben, wird argumentiert. Auch in der offiziellen Statistik für das ganze Land, die heute rund 83.000 Infektionen und 4633 Tote zählt, dürften vermutlich viele Fälle nicht auftauchen.

LIBANON - Demonstranten zünden Banken an

Welche der vielen Krisen geht die libanesische Regierung zuerst an? Da sind zunächst die Massenproteste, die im vergangenen Oktober begannen und sich vor allem gegen die weit verbreitete Korruption richten. Zudem erlebt das kleine Land am Mittelmeer eine der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrisen seiner Geschichte. Der Staatsbankrott droht, die libanesische Lira befindet sich im freien Fall. Und seit Wochen legt zusätzlich die Corona-Pandemie auch im Libanon Wirtschaft und öffentliches Leben weitestgehend lahm.

Weil die offiziellen Zahlen nicht mehr stark steigen, lockert die Regierung jetzt die Beschränkungen. Auch die Demonstranten ziehen wieder auf die Strassen, die wegen Corona zuletzt nicht protestiert hatten. Jetzt ist die Wut noch grösser. Viele wissen nicht mehr, wovon sie leben sollen. «Mit meinem Einkommen kann ich nur noch zwei Packungen Milch kaufen», schrieb ein Demonstrant auf sein Plakat.

Den zweiten Tag in Folge griffen am Dienstag wütende Demonstranten in der libanesischen Stadt Tripoli Banken an und zündeten sie an. Augenzeugen berichteten, mindestens vier Banken seien in Flammen aufgegangen. Auch in sozialen Medien kursierten Videos, die brennende Filialen zeigten. Die libanesische Armee setzte Tränengas ein, um die Proteste zu stoppen. Den Augenzeugen zufolge brach die Gewalt nach der Beerdigung eines 26 Jahre alten Mannes aus, der am Vortag in Tripoli bei Zusammenstössen mit Sicherheitskräften verletzt worden war und später starb. Bereits am Montag hatten wütende Menschen Banken angegriffen und angezündet.

ISRAEL - Mehrere Holocaust-Überlebende an Covid-19 gestorben

Unter den Opfern des Coronavirus in Israel und weltweit sind auch viele Holocaust-Überlebende. Ein 88 Jahre alter Überlebender der Schoah war im vergangenen Monat das erste Corona-Todesopfer in Israel. Inzwischen sind es nach Medienberichten mindestens ein Dutzend unter den insgesamt mehr als 200 Corona-Toten im Land. Auch aus den USA und Europa kommen viele Berichte über ähnliche tragische Todesfälle von Hochbetagten, die in ihrer Jugend der Tötungsmaschinerie der Nationalsozialisten entkommen waren.

75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs leben nach Angaben des Finanzministeriums noch rund 189.500 Überlebende in Israel. 70 Prozent davon seien älter als 80 Jahre. Damit zählten sie zur besonders gefährdeten Gruppe, solange es keine Impfung gegen das Coronavirus gebe.

Auch der belgisch-israelische Karikaturist Michel Kichka hat seinen Vater verloren, der das deutsche Konzentrationslager Auschwitz überlebt hatte. Henri Kichka sei am Wochenende im Alter von 94 Jahren nach einer Coronavirus-Infektion in Brüssel gestorben, teilte die Holocaust-Gedenkstätte am Dienstag mit. «Ein mikroskopisch kleines Coronavirus hat geschafft, woran die ganze Nazi-Armee gescheitert ist», schrieb sein Sohn bei Facebook. «Mein Vater hat den Todesmarsch überlebt, aber heute endete sein Marsch des Lebens.»

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