Angela Merkel ist mit einem Satz über die Alternative für Deutschland laut Verfassungsgericht zu weit gegangen.
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Die ehemalige deutsche Kanzlerin Angela Merkel im November 2021. Das Verfassungsgericht hat eine Aussage Merkels über die Alternative für Deutschland im Zuge der Wahl in Thüringen 2020 gerügt. (AP Photo/Markus Schreiber, Pool, File) - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Das Verfassungsgericht rügt Angela Merkel für Äusserungen zur Thüringen-Wahl.
  • Ihr wurde vorgeworfen, gegenüber der AfD nicht neutral geblieben zu sein.
  • Auch Horst Seehofer war für die Veröffentlichung AfD-kritischer Äusserungen gerügt worden.

Eine deutsche Bundeskanzlerin muss bei Aussagen über die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) neutral bleiben. Solange sie in amtlicher Funktion und nicht als Parteipolitiker oder privat spricht.

Das Bundesverfassungsgericht gab bekannt, dass Angela Merkel diese rote Linie in ihrer Zeit als Kanzlerin ein Mal überschritten hat: Ihre Äusserungen zur Ministerpräsidenten-Wahl im Bundesland Thüringen 2020 hätten die AfD in ihrem Recht auf Chancengleichheit verletzt. Dies stellte das höchste deutsche Gericht auf Antrag der Partei fest.

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Das Verfassungsgericht rügt Angela Merkel für eine Äusserungen über die Alternative für Deutschland zur Thüringen-Wahl 2020. - Keystone

«Sie hat gegen die Antragstellerin Partei ergriffen, indem sie sie aus dem Kreis der Parteien ausgegrenzt hat.» So urteilten die Karlsruher Richterinnen und Richter. Dies sei nicht «durch den Auftrag des Bundeskanzlers zur Wahrung der Stabilität der Bundesregierung gerechtfertigt» gewesen.

Alternative für Deutschland feiert den Entscheid– Angela Merkel respektiert ihn

Eine Sprecherin Merkels teilte der Nachrichtenagentur dpa in Berlin auf Anfrage mit: «Bundeskanzlerin Angela Merkel respektiert selbstverständlich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.» Inhaltlich äusserte sich Merkel nicht. Die Alternative für Deutschland feierte das Urteil.

Thomas Kemmerich
FDP-Politiker Thomas Kemmerich gab seinen Rückzug bekannt. - dpa

Am 5. Februar 2020 hatte sich Thomas Kemmerich im Erfurter Landtag überraschend mithilfe von CDU und AfD zum Regierungschef wählen lassen. Es war das erste Mal, dass sich ein Ministerpräsident von der Alternative für Deutschland ins Amt verhelfen liess.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die gerade auf Reisen war, hatte sich einen Tag später zu Wort gemeldet. Sie hat ihrer Pressekonferenz mit dem südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa eine «Vorbemerkung» «aus innenpolitischen Gründen» vorausgeschickt.

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Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa hält eine Rede. - Keystone

Das Ergebnis müsse «rückgängig gemacht werden», sagte sie, zumindest die CDU dürfe sich nicht an dieser Regierung beteiligen. Und: «Es war ein schlechter Tag für die Demokratie.»

Kemmerich war nach drei Tagen zurückgetreten, die Amtsgeschäfte hatte er ohne Regierung noch bis März geführt. Ministerpräsident wurde dann doch wieder Bodo Ramelow (Linke). Dieser hatte im ersten Anlauf in den ersten beiden Wahlgängen nicht genug Stimmen bekommen.

Horst Seehofer
Auch Horst Seehofer war für die Veröffentlichung AfD-kritischer Äusserungen vom Bundesverfassungsgericht gerügt worden. - dpa

Auch Horst Seehofer und Johanna Wanka waren für die Veröffentlichung AfD-kritischer Äusserungen vom Bundesverfassungsgericht gerügt worden.

Nach dem Urteil ist es nicht zulässig, «dass die Bundesregierung die Möglichkeit der Öffentlichkeitsarbeit nutzen, um Oppositionsparteien zu bekämpfen». Das ändere aber nichts daran, dass die Bundesregierung «sogar verpflichtet ist, für die Grundsätze und Werte der Verfassung einzutreten. Und sich im Rahmen ihrer Pflicht zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung auch mit verfassungsfeindlichen Parteien zu befassen hat».

Keine Auswirkungen für Angela Merkel

Weitergehende Auswirkungen für Merkel hat die Entscheidung nicht. Nach sogenannten Organklagen gegen oberste Bundesorgane prüfen die Verfassungsrichter, ob tatsächlich Rechte verletzt wurden oder nicht.

Die Verfassungsrichter beanstandeten auch, dass die Äusserung auf den offiziellen Internetseiten der Kanzlerin und der Bundesregierung veröffentlicht wurde. Dies habe zur Verbreitung beigetragen und die Alternative für Deutschland noch einmal eigenständig in ihren Rechten verletzt.

Chrupallas
Tino Chrupalla, AfD-Bundesvorsitzender und Fraktionsvorsitzender der AfD, spricht in der Generaldebatte im Plenum im Bundestag. - Michael Kappeler/dpa

AfD-Chef Tino Chrupalla sagte, seine Partei werde «weiterhin für die Grundrechte kämpfen und auch für die Einhaltung des Grundgesetzes». Und: «Es ist ein guter Tag für die Demokratie.»

Die Alternative für Deutschland wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Verdachtsfall im Bereich Rechtsextremismus eingestuft. Dagegen wehrt sich die Partei in einem noch laufenden Verfahren vor den Verwaltungsgerichten.

Astrid Wallrabenstein
Richterin Astrid Wallrabenstein spricht das Urteil. - POOL/AFP/Archiv

Die Entscheidung war im Senat umstritten. Nur fünf der acht Richterinnen und Richter stimmten dafür. Die Richterin Astrid Wallrabenstein führte in einem sogenannten Sondervotum aus, dass die Kanzlerin nicht gegen die Verfassung verstossen habe.

«Bürgerinnen und Bürger erwarten von den Regierungsmitgliedern nur begrenzt Neutralität», schrieb sie. Diese würden immer in ihrer Doppelrolle wahrgenommen, Amt und Parteizugehörigkeit seien verschränkt.

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