Die frühere deutsche Regierungschefin Angela Merkel meldete sich am Dienstagabend erstmals zur Lage der Welt und zum Leben als Ruheständlerin.
Angela Merkel
Angela Merkel und Alexander Osang am Dienstagabend in Berlin. - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Angela Merkel gab Alexander Osang am Dienstagabend in Berlin ein Interview.
  • Die Ex-Kanzlerin sprach über den Ukraine-Krieg und wie das Leben im Ruhestand.

Nach einem halben Jahr meldet sich Angela Merkel zurück - in einer politischen Welt, die eine völlig andere ist. Sie zeigt sich gut erholt, gut gelaunt und ohne Reue, was ihre Russland-Politik angeht.

Und? Wie geht's denn so? Nach einem halben Jahr Erholungskur von 16 Jahren Regierungszeit? «Heute geht es mir persönlich sehr gut», sagt Angela Merkel, einst mächtigste Frau der Welt, jetzt nur noch politisch interessiert.

Es ist ihre erste Antwort in einem 88-minütigen Gespräch, mit dem sie sich am Dienstagabend aus der Versenkung zurückmeldet. Das Treffen war im berühmten Brecht-Theater Berliner Ensemble.

Alexander Osang
Angela Merkel und Alexander Osang in Berlin. - AFP

Das Interview des Journalisten Alexander Osang ist das erste, seit sie am 8. Dezember im Kanzleramt die Amtsgeschäfte an Olaf Scholz mit den Worten übergeben hat: «An die Arbeit.» Merkel ist also zurück, in neuer Rolle als Zuschauerin des Berliner Politikbetriebs - und gut gelaunt.

Angela Merkel: «Erstaunlicherweise ist es mir nicht langweilig geworden»

Die 67-Jährige hat es sich gut gehen lassen im zurückliegenden halben Jahr und war fünf Wochen an der Ostsee. Ein Experiment nach 16 Jahren, in denen sie immer irgendwie im Dienst war. Sie habe gar nicht mehr gewusst wie das ist, so gar keine Termine zu haben, erzählt sie. «Erstaunlicherweise ist es mir nicht langweilig geworden, ich habe den Tag einfach richtig gut rumbekommen.»

Auch ein neues Hobby hat Merkel: Sie habe sich «das Feld des Hörbuch ein bisschen erarbeitet», sagt sie. Da müsse man sich weniger konzentrieren als beim Lesen. Klingt entspannt. Seit ihrem Ostsee-Besuch glaube sie, dass sie «mit diesem neuen Lebensabschnitt sehr gut zurechtkomme und sehr glücklich sein kann.»

«Ich bleibe natürlich auch ein politischer Mensch»

Es könnte der Ex-Kanzlerin also so richtig gut gehen, wäre da nicht das, was sie «Zäsur» und andere «Zeitenwende» nennen. Merkel meint: «Ich bleibe natürlich ein politischer Mensch und deshalb bin ich in diesen Tagen so wie viele, andere auch manchmal bedrückt».

Angela Merkel
Die Besucher hörten Angela Merkel im Berliner Ensemble gespannt zu. - keystone

Gemeint ist der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, den der russische Präsident Wladimir Putin angezettelt hat. «Das ist ein brutaler, das Völkerrecht missachtender Überfall, für den es keine Entschuldigung gibt», sagt Merkel.

Was man von ihr nach drei Monaten Ukraine-Krieg an diesem Abend aber vor allem wissen will: Was hat ihr eigener Umgang mit Russland als Kanzlerin mit diesem Krieg zu tun? Hätte er verhindert werden können? Hat sie, Merkel, Fehler gemacht?

Russland-Politik: «Werde mich nicht entschuldigen»

Merkel verteidigt ihre Russland-Politik dagegen. «Also ich sehe nicht, dass ich da jetzt sagen müsste: Das war falsch, und werde deshalb auch mich nicht entschuldigen», sagt sie.

Ihre Kernaussage ist: Sie habe das Richtige getan, um eine Eskalation mit Russland zu verhindern, es sei nur leider das Falsche herausgekommen. «Ich habe es glücklicherweise ausreichend versucht. Es ist eine grosse Trauer, dass es nicht gelungen ist.»

Angela Merkel
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der russische Präsident Wladimir Putin. - dpa

Der Annexion der ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim durch Russland hätte man 2014 zwar härter begegnen können. Man könne aber auch nicht sagen, dass damals nichts gemacht worden sei. Sie verwies auf den Ausschluss Russlands aus der Gruppe führender Industrienationen (G8). Ebenso auf den Beschluss der Nato, dass jedes Land zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben soll.

Auch dass sie sich 2008 gegen eine Nato-Osterweiterung um die Ukraine und Georgien gewandt habe, verteidigte Merkel. Hätte die Nato den Ländern damals eine Beitrittsperspektive gegeben, hätte Putin schon damals einen «Riesenschaden in der Ukraine anrichten können».

Mit Putin «wenig zu besprechen» - Vermittlung nur auf Anfrage

Kann sie denn jetzt noch irgendetwas tun, um zu einer Deeskalation beizutragen? So mancher meint, Merkel könne auf Putin Einfluss nehmen, weil die beiden sich so lange kennen. Die Ex-Kanzlerin selbst glaubt das nicht.

Es gebe «aus meiner Sicht wenig zu besprechen», sagt sie. Ganz ausschliessen will sie eine Vermittlerrolle aber nicht - dann aber nur im Auftrag der Bundesregierung.

Alexander Osang
Der Jounalist Alexander Osang. Foto: Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa - dpa-infocom GmbH

Der ukrainische Botschafter in Berlin hatte Osang vor dem Gespräch Fragen an Merkel geschickt, von denen der auch zwei stellte. Über die Antworten zeigte sich Andrij Melnyk am Mittwoch erschüttert. Merkel habe «keinen Hauch Selbstkritik» gezeigt, sagt er. «Die Äusserungen der Ex-Kanzlerin über die Unfehlbarkeit ihres Russland-Kurses und ihres viel zu nachsichtigen Umgangs mit Diktator Putin sind befremdlich.»

Der Labrador und die «tapfere Bundeskanzlerin»

Trotz des Kriegs und der Differenzen mit Putin kann Merkel noch über frühere Begegnungen mit dem russischen Präsidenten scherzen. Zum Beispiel über das denkwürdige Treffen im Schwarzmeer-Badeort Sotschi 2007, als Putin die Kanzlerin mit seiner schwarzen Labrador-Hündin sichtlich verschreckte. «Eine tapfere Bundeskanzlerin muss mit so einem Hund fertig werden», sagt Merkel heute. Das sind die Momente, die ihr Applaus und Lacher im Publikum einbringen.

«Volles Vertrauen» in die neue Regierung

Über ihren Nachfolger verliert Merkel kein schlechtes Wort - zumindest nicht direkt. Sie habe «volles Vertrauen» in die neue Bundesregierung und Olaf Scholz, sagt sie. Es seien Menschen am Werk, die keine «Newcomer» seien und die Gegebenheiten kennen würden.

Olaf Scholz
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (Archivbild). - dpa

Und für den Fall, dass es mal nicht so laufe, habe sie noch ihre Hebel. «Wenn jetzt etwas passieren würde, wo ich sage, das geht in die falsche Richtung, dann kann ich sehr viele anrufen. Das musste ich aber noch nicht.»

Nur noch «Wohlfühltermine»

Richtig mitmischen will Merkel in der Politik aber nicht mehr. «Das ist nicht meine Aufgabe, jetzt Kommentare von der Seitenlinie zu geben», sagt sie. 16 Jahre lang sei alles, was irgendwie von Relevanz gewesen sei, an ihrem Tisch vorbeigekommen.

Nun wolle sie sich erst einmal erholen und Abstand gewinnen. Aber auch weitere öffentliche Auftritte sind von ihr zu erwarten, das macht Merkel klar. Die will sie aber mit Bedacht wählen. Wenn sie lese, sie mache nur noch «Wohlfühltermine», dann sage sie: «Ja.»

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