Die Hamas hat einen Vorschlag für einen Geisel-Deal vorgelegt. Doch Israel lehnt den Abzug der Truppen aus dem Gazastreifen ab. So ist die aktuelle Lage.
In Tel Aviv demonstrieren Menschen für die Freilassung der israelischen Geiseln.
In Tel Aviv demonstrieren Menschen für die Freilassung der israelischen Geiseln. - Oded Balilty/AP

Die Islamistenorganisation Hamas hat eigenen Angaben zufolge in den Verhandlungen über eine Feuerpause im Gaza-Krieg und die Freilassung weiterer Geiseln einen umfassenden Vorschlag vorgelegt. Dieser sehe unter anderem ein Ende der Kämpfe im Gazastreifen, Hilfslieferungen für die Bevölkerung und die Entlassung palästinensischer Gefangener aus israelischen Gefängnissen im Gegenzug für die Freilassung von Geiseln vor, teilte die Hamas am Donnerstagabend auf Telegram mit.

Sie pocht aber weiter auf einen Abzug der israelischen Truppen aus dem Küstengebiet, was Israel ablehnt. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte nach Angaben seines Büros, die Hamas halte weiterhin an «unrealistischen Forderungen» fest. Während in Israel und den Palästinensergebieten die Spannungen weiter zunehmen, wird Bundeskanzler Olaf Scholz Medienberichten zufolge am Sonntag zu einem Besuch in Israel erwartet.

Der Druck, den Katar als Vermittler zwischen Israel und der palästinensischen Seite auf die Hamas ausübe, beginne zu wirken, sagte Netanjahu nach Angaben seines Büros. Demnach soll das Golfemirat damit gedroht haben, Mitglieder der Islamistenorganisation aus Katar auszuweisen und ihnen kein Geld mehr zu geben, sollten sie bei den Verhandlungen nicht einlenken. Die Angaben liessen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Bundeskanzler Scholz bekräftigte zuletzt, dass Israel jedes Recht habe, sich gegen den Terror der Hamas zu verteidigen. Er warb aber auch erneut für eine länger anhaltende Waffenruhe im Gazastreifen, um die aus Israel entführten Geiseln freizubekommen und humanitäre Hilfe zu ermöglichen. Die bevorstehende Reise des Kanzlers nach Israel und Jordanien wurde der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag aus deutschen Regierungskreisen bestätigt. Es wird Scholz' zweiter Besuch in Israel seit Beginn des Gaza-Kriegs am 7. Oktober sein.

Deutschland leistet nach Angaben der Bundesregierung einen Beitrag zum geplanten Hilfskorridor für Gaza auf dem Seeweg. Die deutsche Luftwaffe hat ausserdem ein erstes Transportflugzeug für den Abwurf von Hilfsgütern über dem Gazastreifen nach Jordanien verlegt. Die Hilfsgüter sollen in Jordanien eingeladen werden und die Abwürfe noch in dieser Woche beginnen. Die Bundeswehr stellt dafür zwei Transportflugzeuge vom Typ C-130 Hercules bereit, die jeweils bis zu 18 Tonnen Last transportieren können.

US-Senator kritisiert Netanjahu

Seitens der USA wird derweil die Kritik an Israels Ministerpräsident Netanjahu immer lauter. Der einflussreiche demokratische Mehrheitsführer im US-Senat, Chuck Schumer, forderte Neuwahlen in Israel. Er glaube, dass der Regierungschef «vom Weg abgekommen ist, indem er sein politisches Überleben über die besten Interessen Israels gestellt hat», sagte Schumer, der selbst jüdisch ist und sich als eisernen Unterstützer Israels bezeichnete. Netanjahu habe sich in eine Koalition mit Rechtsextremisten begeben und sei infolgedessen «zu sehr bereit, die zivilen Opfer im Gazastreifen zu tolerieren». Die weltweite Unterstützung für Israel sei deshalb auf einen historischen Tiefstand gefallen. Israel könne aber nicht überleben, wenn es zu einem «Paria» werde.

Netanjahus konservative Likud-Partei kritisierte Schumers Äusserungen scharf. «Israel ist keine Bananenrepublik, sondern eine unabhängige und stolze Demokratie», hiess es in einer Erklärung der Partei. Der Regierungschef sei gewählt worden, seine «entschlossene Politik» werde von einer grossen Mehrheit unterstützt. Laut aktuellen Umfragen müsste Netanjahus rechtsreligiöse Koalition bei einer Neuwahl allerdings mit massiven Verlusten rechnen.

Schumer bezeichnete Netanjahu als Hindernis für den Frieden – unter anderem durch seine Ablehnung einer Zweistaatenlösung. Netanjahus Likud-Partei entgegnete, das israelische Volk sei gegen eine internationale Anordnung zur Errichtung eines Palästinenserstaats.

EU-Parlament: Israel muss Lieferung von Hilfsgütern nach Gaza zulassen

Ägypten pocht unterdessen auf mehr Hilfslieferungen in den Gazastreifen auf dem Landweg. Die von den USA geplante Errichtung eines temporären Hafens dauere zu lange, sagte der ägyptische Aussenminister Samih Schukri am Donnerstag. Land-Korridore stünden hingegen schon jetzt zur Verfügung. Schukri zufolge gelangen am Grenzübergang Rafah derzeit etwa 200 Lastwagen täglich in den Gazastreifen. Das sei aber noch immer nicht ausreichend, um die notleidende Bevölkerung im Gazastreifen zu versorgen. Israel wiederum argumentiert, es kämen derzeit mehr Hilfen in das Küstengebiet als vor Kriegsbeginn. Probleme gebe es vielmehr bei der Verteilung der Güter vor Ort.

Auch das EU-Parlament forderte Israel am Donnerstag dazu auf, sofort die uneingeschränkte Lieferung von Hilfsgütern in den Gazastreifen über alle bestehenden Grenzübergänge zu ermöglichen. Die Abgeordneten seien zutiefst besorgt über die katastrophale humanitäre Lage in dem Küstengebiet. Eine deutliche Mehrheit der Abgeordneten stimmte für eine – rechtlich nicht bindende – Resolution, in der auch die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Geiseln gefordert wird. Darin heisst es, dass es keine Aussicht auf Frieden, Sicherheit, Stabilität und Wohlstand für den Gazastreifen geben könne, solange die Hamas und andere terroristische Gruppen dort entscheidenden Einfluss haben.

Auslöser des Kriegs war das schlimmste Massaker in der Geschichte Israels, das Terroristen der Hamas sowie anderer extremistischer Palästinenserorganisationen am 7. Oktober in Israel nahe der Grenze zum Gazastreifen verübt hatten. Sie ermordeten dabei mehr als 1200 Menschen und verschleppten 250 weitere in das Küstengebiet. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive im Gazastreifen. Nach Darstellung der dortigen von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde sollen seither mehr als 31 400 Palästinenser getötet worden sein. Die kaum unabhängig zu überprüfende Zahl fasst getötete Zivilisten und Kämpfer zusammen.

Israeli stirbt nach Messerattacke

Während Muslime in Israel und den Palästinensergebieten derzeit den Fastenmonat Ramadan begehen, könnten die Spannungen in der Region – wie auch in den Vorjahren während dieser Zeit – weiter zunehmen. Bei einer Messerattacke im Süden Israels wurde am Donnerstag nach Angaben der Armee ein Unteroffizier getötet. «Der Terrorist, der die Messerattacke ausführte, wurde vor Ort ausgeschaltet», teilte die Polizei mit. Israelischen Medien zufolge soll der mutmassliche Täter ein arabischer Israeli sein, der ursprünglich aus dem Gazastreifen stammt.

Als Reaktion auf die wachsenden Spannungen im Westjordanland verhängte die US-Regierung Einreiseverbote und Vermögenssperren gegen drei israelische Siedler, denen sie vorwirft, sich an Gewalt gegen palästinensische Zivilisten beteiligt zu haben. Zuletzt hatte die US-Regierung schon andere israelische Siedler im Westjordanland sanktioniert.

Abbas ernennt neuen Ministerpräsidenten

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas ernannte am Donnerstagabend laut der amtlichen palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa einen neuen Ministerpräsidenten. Der Ökonom und ehemalige Weltbank-Mitarbeiter Mohammed Mustafa erhielt demnach den Auftrag, eine neue palästinensische Regierung zu bilden – mutmasslich mit weiteren Kabinettsmitgliedern ohne Parteibindung. Sein Vorgänger Mohammed Schtaje hatte auf Druck arabischer Länder und der USA Ende Februar seinen Rücktritt eingereicht.

Die USA wollen, dass die im Westjordanland regierende und von Abbas geführte Palästinensische Autonomiebehörde (PA) umgestaltet wird und dann auch im Gazastreifen wieder die Kontrolle übernimmt. Damit will Washington auch eine Zweistaatenlösung als umfassenden Ansatz zur Befriedung des Nahen Ostens vorantreiben. Die Hamas hatte die PA 2007 gewaltsam aus dem Küstenstreifen vertrieben.

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