Die Biodiversität vieler Regionen lässt sich oft nur schwer bestimmen. Messstationen zur Luftqualität könnten helfen, indem sie DNA von Pflanzen und Tieren herausfiltern – doch es gibt ethische Bedenken.
Messgeräte stehen auf einer Luft-Messstation der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) in der Stuttgarter Innenstadt.
Messgeräte stehen auf einer Luft-Messstation der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) in der Stuttgarter Innenstadt. - Marijan Murat/dpa
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Das Wichtigste in Kürze

  • Messstationen, die rund um den Globus die Luftqualität überwachen, könnten entscheidend dazu beitragen, den Zustand der globalen Artenvielfalt zu dokumentieren.

Eine Studie kanadischer und britischer Forschender zeigt, dass die Luftproben Umwelt-DNA (eDNA) von Tieren und Pflanzen enthalten – und damit eine «Schatzkammer» bislang verborgener Daten zur Biodiversität.

Neben der Klimakrise ist der Verlust der Artenvielfalt eine der grössten planetaren Herausforderungen, das betonte etwa die UN-Konferenz zum Schutz der biologischen Vielfalt im Dezember. Doch dieser Schwund lässt sich nur schwer quantifizieren. «Häufig wird als Problem genannt, dass die erforderliche Infrastruktur für eine globale Überwachung nicht vorhanden ist», erläutert das Forschungsteam im Fachblatt «Current Biology» – und stellt diese Behauptung mit ihrer Studie in Frage.

Riesige und bislang ungenutzte Quelle

Tatsächlich gebe es bereits ein weltweites Netzwerk, das Aufschluss geben könnte zu Entwicklung und Zustand der Biodiversität, schreibt das Team und verweist auf die Messstationen zur Kontrolle der Luftqualität. «Diese Netze gibt es schon seit Jahrzehnten, aber wir haben den ökologischen Wert der von ihnen gesammelten Proben nicht wirklich berücksichtigt», erklärt Elizabeth Clare von der York University Toronto in einer Mitteilung.

Diese Netzwerke seien eine riesige und bislang ungenutzte Quelle für Biodiversitätsdaten, ergänzt Andrew Brown vom National Physical Laboratory (NPL) im britischen Teddington. Anstoss für den Ansatz gaben zwei frühere Studien, die etwa zeigten, dass sich Arten in Zoos mithilfe von Luftproben identifizieren lassen.

Dies brachte Brown und Kollegen auf die Idee, Messstationen für Luftqualität zu nutzen, um nach eDNA zu suchen. Diese Umwelt-DNA extrahierten und analysierten die Forschenden nun aus zwei Überwachungsstationen in London und Schottland.

«Könnte sich als absoluter Wendepunkt erweisen»

«An nur zwei Standorten fanden wir eDNA-Nachweise für mehr als 180 verschiedene Pflanzen und Tiere», sagt Biologin Clare. Die Liste umfasste demnach unter anderem Tiere wie Dachse, Siebenschläfer, Igel und Teichmolche, Bäume wie Esche, Linde, Kiefer, Weide und Eiche sowie Pflanzen wie Schafgarbe, Malve oder Gänseblümchen. Zudem fand das Team genetisches Material von 34 Vogelarten.

Für Erstautorin Joanne Littlefair von der Queen Mary University of London enthalten die Daten ein enormes Potenzial: «Das könnte sich als absoluter Wendepunkt für Erfassung und Monitoring der biologischen Vielfalt erweisen.» Fast jedes Land verfüge über ein Netz zur Überwachung der Luftverschmutzung. Auch in Deutschland kontrollieren Hunderte Messstationen täglich die Luftqualität.

«Damit könnte ein globales Problem gelöst werden, nämlich die Frage, wie man die biologische Vielfalt in grossem Massstab messen kann», so Littlefair. Zudem würden Proben teilweise jahrzehntelang aufbewahrt, so dass auch Rückblicke auf die Entwicklung der Biodiversität möglich wären. Nun sei eine globale Anstrengung nötig, um die darin enthaltenen Informationen auszuschöpfen, sowie ein standardisiertes Protokoll zum Sammeln neuer Daten.

Auch eine Frage des Datenschutzes

Mögliche ethische oder datenschutzrechtliche Aspekte erwähnen die Wissenschaftler nicht. Dies wurde jüngst in einer Studie im Fachblatt «Nature Ecology & Evolution» thematisiert. Demnach könnte bei der Entnahme von eDNA auch identifizierbares menschliches Genmaterial erfasst werden – in überraschenden Mengen und guter Qualität.

«In den meisten Fällen ist die Qualität fast so gut, als ob man eine Probe von einem Menschen genommen hätte», erläuterte Autor David Duffy von der University of Florida dazu. Nötig sei daher eine Abwägung zwischen dem möglichen Nutzen von eDNA-Untersuchungen und dem Datenschutz.

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