Katzen und Hunde verhätscheln wir, Kühe und Hühner essen wir. Nicht nur wer vegan ist, stellt sich die Frage, wieso wir Tiere in Haus- und Nutztiere einteilen.
Frau mit Hund vegan
Es käme hierzulande wohl niemandem in den Sinn, diesen Hund zu essen – egal ob man vegan ist oder nicht. - Depositphotos

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Einteilung in Nutz- und Haustiere hat kulturelle Gründe.
  • Die meisten Menschen finden, dass Tiere schützenswert sind und ein gutes Leben verdienen.
  • Es gibt einen unbewussten Widerspruch zwischen Tierliebe und Fleischkonsum.
  • Dieser Widerspruch wird auch «Fleisch-Paradox» genannt.
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Wir lieben und verhätscheln unsere Haustiere. Niemals käme es uns in den Sinn, den eigenen Hund oder die Nachbarskatze zu verspeisen. Hühner zu essen, ist hingegen normal. Ebenso ist es in Ordnung, Kühe für ein Steak zu schlachten und ihre Haut als Schuhe oder Jacken zu tragen.

Wieso ist es selbstverständlich, manche Tiere zu essen, während wir bei anderen darüber schockiert wären?

Zwischen Tierliebe und Fleischgenuss

Die meisten Menschen finden, dass Tiere gut zu halten und schützenswert sind. Sie möchten nicht, dass sie leiden. Wird diese Überzeugung verletzt, kommt es zu Empörung, egal ob es sich um Hund, Löwe oder Schweine handelt.

Viele wissen mittlerweile, dass in der Nutztierhaltung gravierende Missstände herrschen. Ganz zu Schweigen davon, dass der Fleischgenuss nicht ohne den unfreiwilligen Tod der Tiere geschehen kann. Zugleich isst die Mehrheit der Menschen gerne Fleisch und andere tierische Produkte wie Milch und Käse.

Hund und Hund vegan
Wen essen, wen streicheln? Wer vegan ist, macht keinen Unterschied zwischen Hund und Huhn. - Depositphotos

Auf der einen Seite stehen also der Genuss und die Lust am Fleischessen. Auf der anderen Seite gibt es das Leid der Tiere, das man eigentlich vermeiden möchte. Für diese kognitive Dissonanz – das heisst, ein scheinbar unauflöslicher Widerspruch – gibt es sogar einen Begriff: Fleisch-Paradox.

Konfrontation mit vegan lebenden Menschen führt zu Konflikt

Das Hirn hat nun aber gelernt, mit diesen kognitiven Dissonanzen umzugehen. Dazu gibt es verschiedene Strategien, die oft unbewusst ablaufen oder gesellschaftlich antrainiert sind.

Eine Strategie ist, eine Seite des Konflikts zu ignorieren – in diesem Fall, dass Tiere für die Fleischherstellung leiden müssen. Oder: Den Tieren werden geistige Fähigkeiten oder das Fühlen von Schmerz abgesprochen. Es ist dann leichter, das Fleisch auf dem Teller gedanklich vom Leid der Tiere zu trennen.

Schnitzel Pommes nicht vegan
Gedanklich hat dieses Schnitzel nichts mehr mit dem Schwein zu tun, das dafür sein Leben lassen musste. - Depositphotos

Damit lässt man die Wirklichkeit im Stall und die Bilder der Massentierhaltung nicht ins Bewusstsein drängen. Kurz: Das Problem wird verdrängt.

Eine weitere Strategie ist, das eigene Verhalten schönzureden. «Ich esse nur ganz wenig Fleisch», oder «Ich esse nur Fleisch vom Bauer um die Ecke», sind klassische Aussagen dafür.

Werden Fleischesser nun mit der veganen Lebensweise konfrontiert, funktionieren diese Tricks nicht mehr. Sie fühlen sich unbewusst für das eigene Verhalten verurteilt, auch wenn das objektiv nicht der Fall ist. Aber durch die Begegnung mit einer Person, die den internen Widerspruch auslöst, wird die eigene Inkonsequenz vor Augen geführt.

Schlägt die kognitive Dissonanz zu, führt das unbewusst zu Stress und Wut. Diese negativen Gefühle werden auf die vegan lebende Person projiziert, denn sie ist schliesslich der Auslöser dafür.

Unterteilung der Tiere ist soziales Konstrukt

Die Einteilung in Nutz- und Haustiere hat auch kulturelle Gründe. In einigen Gesellschaften werden Hunde als Haustiere geliebt und geschätzt, während sie in anderen als Nahrung betrachtet werden. Ähnliches gilt für Kühe oder Schweine.

In Indien zum Beispiel ist die Kuh für viele heilig. In China gibt es ein Hundefleisch-Festival. Orthodoxe Juden und praktizierende Moslems hingegen essen kein Schwein.

Die Einteilung von Tieren in «Haustiere» und «Nutztiere» basiert also eher auf kulturellen Gewohnheiten als auf objektiven Kriterien.

Golden Retriever Hund
Der Hund gilt hier als Haustier, also wird er nicht gegessen. - Depositphotos

Die US-amerikanische Psychologin Melanie Joy hat dafür Begriff des «Karnismus» geprägt. Er beschreibt die ideologische Überzeugung einer Gesellschaft, bestimmte Tiere als essbar und andere als unantastbar zu betrachten. Diese Ideologie ermöglicht es uns, den inneren Widerspruch zwischen Tierliebe und Fleischkonsum zu überwinden und unser Verhalten zu rechtfertigen.

Melanie Joy sagt: «Der Karnismus schützt uns vor den Gefühlen, die wir hätten, wenn wir Fleisch von einem Golden Retriever serviert bekämen.»

Sofort vegan werden? Eher nicht

Aufgelöst werden können kognitive Dissonanzen durch eine Verhaltensänderung. Zum Beispiel würde ein Verzicht auf Fleisch die Dissonanz aufheben.

Können Sie sich vorstellen, vegan zu leben?

Aber: Die eigenen Gewohnheiten zu verändern, ist unbequem und gar nicht so einfach. Einfacher ist es, die Einstellung an das Verhalten anzupassen.

Das bedeutet in diesem Fall: Tierleid wird zum notwendigen Übel erklärt. Deshalb ist nicht zu erwarten, dass die Mehrheit der Menschen nun plötzlich vegan wird.

Paradox gibt es auch in anderen Bereichen

Das Prinzip der kognitiven Dissonanz kommt aus der Sozialpsychologie und zeigt sich nicht nur im Fleisch-Paradox. Auch Menschen, die vegan essen, leben übrigens mit kognitiven Dissonanzen.

Zum Beispiel kann man vegan für die Umwelt sein, aber trotzdem mit dem Flugzeug verreisen. Es kommt zu einer Spannung zwischen dem Wissen, dass Fliegen umweltschädlich ist und der Lust am Reisen.

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